Flüchtlingshilfe in Bergkirchen:Den Menschen auf Augenhöhe begegnen

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Wie der Bergkirchener Jugendpfleger Johannes Bockermann junge Flüchtlinge begleitet und stärkt, damit sie sich selbst helfen können. Seine wöchentlichen Treffen in der Traglufthalle mit Vertretern verschiedene Kulturen kommen gut an

interview Von Anna-Sophia Lang, Bergkirchen

Johannes Bockermann hat vor ein paar Monaten auf einen Schlag mehrere hundert neue Schützlinge dazu bekommen. Der Jugendpfleger von Bergkirchen setzt sich für die Belange der Kinder und Jugendlichen ein, die in der Gemeinde leben. Seit Ende des vergangenen Jahres zählen dazu auch die etwa 300 Asylsuchenden, die in der Traglufthalle im Gewerbegebiet Gada wohnen. Gerade einmal 20 Jahre alt sind sie im Durchschnitt, damit gehören sie in die Zielgruppe der Jugendarbeit, die Menschen bis 26 einschließt. Einmal pro Woche trifft sich Bockermann mit einem Rat aus Vertretern der verschiedenen Nationalitäten zum "Asylum meeting". Auch in Karlsfeld, aber dort als privater Helfer. Das Konzept hat er aus den Grundlagen des Kreisjugendrings für die Gemeindejugendarbeit und die Einbeziehung von Flüchtlingen erarbeitet. Auf Vorerfahrungen aus ähnlichen Projekten konnte er kaum zurückgreifen. Im Interview mit der SZ Dachau erklärt er, wie er den Menschen auf Augenhöhe begegnet und warum er hofft, sich irgendwann aus den Hallen zurückziehen zu können.

Wieso wurden Sie gerade in den Traglufthallen tätig?

Mit einer Massenunterkunft wie der Traglufthalle wird von einer auf die andere Woche ein Dorf mit vielen Menschen eingerichtet, die verschiedene Interessen und kulturelle wie soziale Hintergründe haben. Ich gehe davon aus, dass sie sich selbst organisieren wollen und können. Dadurch aber, dass dieses "Dorf" aus verschiedenen Kulturen zusammengewürfelt und zudem in einem fremden Land ist, halte ich es für wichtig, Begleitung anzubieten. Wir Deutschen sind selbst sehr organisiert, denken wir an das Vereinswesen, Familienkonferenzen, Klassensprecher und demokratische politische Strukturen. Wir lernen also von klein an, uns zu organisieren. Genau das wollte ich den Flüchtlingen näherbringen.

Johannes Bockermann kommt mit Sprechern der 18 verschiedenen Nationen zusammen. Gemeinsam werden am Tisch Probleme besprochen und Ideen entwickelt. (Foto: oh)

Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?

Am Ende soll ein selbst organisiertes Gremium aus gewählten und akzeptierten Sprechern existieren, das im Idealfall einen Helferkreis weitestgehend ersetzen kann. Der Helferkreis trägt derzeit Projekte und Themen in die Halle. Das ist auch dringend notwendig. Wenn die 300 Leute sich aber selbst organisieren, bringen sie Projekte aus der Halle und suchen sich dann beim Helferkreis Hinweise und Hilfe. Bis es soweit kommt, ist aber noch viel Arbeit und Lernen nötig.

Wie läuft ein Asylum meeting ab?

Einmal pro Woche komme ich mit Sprechern der 18 verschiedenen Nationen zusammen. Ich informiere sie über allgemeine Themen, Themen vom Kümmerer, der Security und dem Helferkreis. Dann bringen einzelne Sprecher Ideen und Probleme vor. Im Hallenleben kommen diese manchmal durch Streits zu Tage, im Asylum meeting ruhig und sachlich. Viele können dadurch abgeschwächt, wenn nicht sogar gelöst werden. Aber auch Ideen wie Musikworkshops können in diesem Gremium angesprochen werden, die ja länderübergreifend bestehen können. Ich halte die Sprecher bei jedem Thema dazu an, es in ihre Gruppen weiterzugeben, dort Stimmungen, Fragen und Reaktionen aufzunehmen und dann im nächsten Meeting vorzubringen.

Nehmen viele Bewohner teil?

Viele sind froh und sehr engagiert. So sind schon herkunftsübergreifende Gruppen entstanden. Andere meinen, ein Asylum meeting bringe ihnen persönlich nichts, sie wollen nur arbeiten und Deutsch lernen.

Und in Karlsfeld?

Da habe ich bereits zum Jahresbeginn mit regelmäßigen Treffen angefangen, als privater Helfer. Allerdings ist die Situation dort eine andere. Es sind hauptsächlich drei Nationen, mittlerweile vier. Dabei ist eine Gruppe mit über 180 Personen sehr groß. Außerdem sind die Leute in Karlsfeld im Schnitt sicher zehn Jahre älter als in Bergkirchen. Hier gibt es also ganz andere Motivationen und Lebenserfahrungen. Wir haben aber im Asylum meeting bereits Ideen gesammelt, wie die Flüchtlinge ihrerseits auf Deutsche zugehen könnten, um die Halle von innen heraus zu öffnen. So sind Ideen wie ein internationales Fußballturnier, ein Konzertabend mit traditioneller pakistanischer Musik und ein Cricket-Showmatch mit Schnuppertraining entstanden, die noch auf die Umsetzung warten. Klar sind Ideen wie Fußball auch von Helfern angedacht, aber es macht einen Unterschied, wenn die Motivation von innen kommt. Es braucht nicht immer einen Deutschen, der eine Aktion anleitet.

Sie haben die Streits schon angesprochen: Auch in der Traglufthalle in Bergkirchen gab es immer mal wieder Zwischenfälle.

Was heißt denn "immer mal wieder"? Mir sind drei Polizeieinsätze bekannt. Einer mit mehreren Fahrzeugen ist durch einen einzigen Betrunkenen passiert. Die Polizei muss bei solchen Menschenansammlungen eben immer mit mehreren Wagen kommen, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist.

Kleinigkeiten, die durch die Art der Unterbringung ausgelöst werden?

Bei 300 Leuten, die auf engem Raum mit verschiedenen Kulturen untergebracht werden, ist es völlig normal, dass Probleme hochkochen. Wir haben ja auch mit dem Nachbarn mal Meinungsverschiedenheiten, nur trennt uns nicht nur eine drei Zentimeter dicke Wand, wir teilen uns nicht die Toiletten und müssen auch nicht zur selben Zeit essen. Viele Leute sind traumatisiert und stehen unter enormen Druck, sie wollen arbeiten und dürfen es nicht. Wenn sie keinen Platz in den Deutschkursen bekommen, steigt der Druck. Dann versucht man, diesen Druck abzubauen. Das machen auch Deutsche so. Sport, Alkohol oder eben auch Auseinandersetzungen sind die üblichen Wege. Und dafür, dass in beiden Hallen 300 Leute auf einem Fleck sind, ist es erstaunlich ruhig.

Kann Ihre Betreuung solche Konflikte verhindern?

Ich betreue niemanden. Das sind hauptsächlich Erwachsene, die begleite ich vielmehr, rege an und netzwerke. Wie gesagt, ich plane ja auch, mich mehr und mehr herauszuziehen. Ich nehme die Leute und deren Probleme ernst, rege zur Selbstständigkeit an.

Mit Erfolg?

Es sind schon Effekte festzustellen. In Bergkirchen gibt es zum Beispiel kaum mehr Streitereien beim Anstehen in der Essensschlange. Das kann zum einen daran liegen, dass die Leute sich an das System gewöhnt haben. Aber auch an der Aufklärung im Asylum meeting. Jetzt wissen die Bewohner, dass eben jeder nachholen kann, bis er satt ist.

Wie sieht es mit der Selbstorganisation aus, einem Ihrer erklärten Ziele?

In Bergkirchen haben sich die Bewohner schon ohne mich länderübergreifend zu einem Meeting getroffen, das hat mich sehr gefreut. Mit den Asylum meetings stehen wir aber noch am Anfang. Einige Sprecher sind jedes Mal dabei und sehr engagiert in ihrer Landesgruppe, geben Informationen weiter und sammeln Rückmeldungen. Aber noch hat sich das Asylum meeting nicht in beiden Hallen komplett herumgesprochen. Es kommen auch immer wieder Leute dazu. Meine Bitten um herkunftsspezifische Gruppentreffen kann und will ich ja nicht erzwingen. Es ist eben auch eine freiwillige Angelegenheit. In Karlsfeld bilden sich mehr und mehr Gruppen in der Halle, die sich ihrerseits organisieren, da sind zum Beispiel zwei, die ihrerseits Bewerbungstrainings für ihre Mitbewohner anbieten, da kann der Helferkreis gut anknüpfen.

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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