Erinnerung an KZ-Häftlinge:Damit ihr Lied nie verklingt

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Wenn er liest, ist es still im Saal: der Schriftsteller Titus Müller in der Stadtbücherei. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Titus Müller berührt mit seiner Lesung zu "Geigen der Hoffnung"

Von Laura Winter, Dachau

"Ich will daran erinnern, dass die Überlebenden der Konzentrationslager Individuen waren, dass jeder seine eigene Geschichte hat", sagt Titus Müller. Gemeinsam mit der Journalistin Christa Roth hat er den Roman "Geigen der Hoffnung - Damit ihr Lied nie verklinge" geschrieben. Teils belletristisch, teils sachlich erzählen Müller und Roth die Geschichte des ehemaligen KZ-Inhaftierten und Musikers Abram Merczynski sowie dessen Brüder, die 1944 in das Konzentrationslager Dachau deportiert wurden. Sie überlebten; Merczynskis Geige fand ihren Weg über Umwege zu dem israelischen Geigenbauer Amnon Weinstein. Er restauriert die Geigen ehemaliger KZ-Inhaftierter, gibt ihnen wieder eine Stimme und bewahrt so ihre Geschichte.

Marek und Stani, die Protagonisten des Romans, verkörpern Merczynski und seine Brüder. Für Marek bedeutet Musik Hoffnung auf ein Überleben. Seine Geige wird zu ihrem Symbol. Was für eine teils groteske Rolle Musik in dem Lager einnimmt, schildert Müller am Beispiel des Lagerorchesters. Am Freitagabend veranstaltete Brigitta Unger-Richter, Kreisheimatpflegerin des Landkreises Dachau, eine Autorenlesung mit Titus Müller.

Und eben diese Geige, die als Leitmotiv der Hoffnung eine zentrale Rolle in der Geschichte einnimmt, befindet sich an diesem Abend in der Stadtbücherei. Die Anwesenden können das so zerbrechlich wirkende Instrument nicht nur sehen. Niklas Liepe, Stipendiat der Villa Musica, spielt begleitend zur Lesung zwei Stücke. Der Bogen hüpft leicht über die Saiten, als er die Veranstaltung mit Paganinis Caprice Nr. 14 eröffnet. Mit dem abschließenden Stück von Johann Sebastian Bach, dem ersten Satz der ersten Sonate Adagio, scheint er den bittersüßen Schmerz, den die Protagonisten erleiden, in Töne zu fassen.

"Ich kann mich gut in andere hineinversetzen - das ist, was ich zu diesem Projekt beisteuern kann", sagt Müller. Für die Recherche habe er Tagebücher gelesen, mit Angehörigen telefoniert, und Stunden in der Archiven des ehemaligen Konzentrationslagers in Dachau verbracht. "Irgendwann habe ich angefangen, nachts zu träumen, ich sei selbst im KZ", erzählt er. Was Müller am meisten berührt habe, sei die Tatsache, dass so etwas Schönes wie Musik in so einer Hölle wie einem Konzentrationslager überlebt hat. "Musik machte aus Marek wieder einen Menschen", schreibt Müller. Er liest die belletristischen Passagen vor. Mit seiner Stimme imitiert er mal den brutalen Aufseher, dann den ängstlichen Insassen. Durch die vielen Vergleiche, mit denen er arbeitet, können sich die Anwesenden in die Situation der Häftlinge hineinversetzen. Etwa 15 Zuhörer sind zu der Lesung erschienen. Interessiert und bedrückt zugleich hören sie zu, wie der Autor Mareks und Stanis Leben in Gefangenschaft schildert.

Wenn er liest, ist es still im Saal. Einige halten den Kopf gesenkt. In der ersten Reihe sitzen Assaela und Avshalom Weinstein, Frau und Sohn des Geigenbauers Amnon Weinsteins. Nach der Lesung betritt Avshalom Weinstein das Podest und nimmt neben Müller Platz. Er beantwortet Fragen, erzählt unter anderem von seiner Arbeit mit den Geigen. Oft bekämen sie Instrumente, die an Orten wie Dachböden gefunden wurden. Manchmal wisse niemand, woher die Geige kommt. "Wir können Auskunft darüber geben, wer sie wann hergestellt hat. Aber wir werden nie erfahren, welche Geschichte die Geige hat, welche Reise sie gemacht hat."

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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