Ein Schelmenroman:Neue Einblicke

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Ingo Schulze liest aus seinem Roman über Geld und Schicksal. (Foto: Toni Heigl)

Wie Ingo Schulze sein eigenes Buch kennen lernt

Von Jana Rick, Dachau

Der neue Roman von Ingo Schulze ist ein Schelmenroman. "Am Ende sehen wir Peter Holtz, den Helden und Ich-Erzähler als ökonomischen Häftling in Gewahrsam", schreibt die Süddeutsche Zeitung. Denn Holtz hat Tausend-Mark-Scheine am Berliner Alexanderplatz angezündet. Das konnten die Passanten nicht lange ertragen. Es folgt die Einweisung in ein Heim. Moderator Thomas Kraft, Literaturwissenschaftler und Autor aus München, bittet Schulze bei der Lesung in der Dachauer Stadtbibliothek um eine genauere Beschreibung des Romanhelden. Schulze antwortet prompt: "Peter Holtz ist jemand, der stets das Gute will. Er ist dumm und beschränkt, aber gutwillig." Er führt noch eine zweite Hauptperson ein: "Das Geld. Es geht von vorne bis hinten ums Geld."

1989 wacht Peter nach einem Unfall aus dem Koma aus. Nicht mehr als einfacher Maurer, sondern nun plötzlich als Immobilienmillionär: Die zahlreichen Mietshäuser, die ihm vor der Wende vom DDR-Regime überlassen wurden, sind nun viel wert. Peter ist entsetzt, warum gerade er? "Vom Waisenkind zum Millionär - wie konnte das so schief gehen?" An dieser Stelle blickt Ingo Schulze auf und ins Publikum. "Oder kennen Sie etwa einen Multimillionär, der glücklich ist?" Er bekommt keine Antwort. Irgendwie ist nicht klar, ob sie dem Autor in eine ironische Falle laufen würden. Und schweigen.

Der gesamte Roman ist im Präsens geschrieben - ungewöhnlich für eine Geschichte, die 28 Jahre zurück liegt. Ein Zuschauer hakt nach. Ingo Schulze erklärt, dass er die Distanz zur Vergangenheit überwinden wollte, auch wenn ihm das Schreiben im Präsens nicht immer leicht gefallen ist. In seinem Buch gibt es "nichts Vergangenes". Apropos Geschichte: Die nächste Frage des Publikums überrascht den Autor: "Was sind Sie denn, Ossi oder Wessi?" Wieder wird gelacht. Der Autor antwortet: "Ich lebe seit 1993 in Berlin, ob Osten oder Westen, dass spielt für mich keine Rolle." Er lächelt. "Ich bin nun das zweite Mal mit einer Frau aus dem Westen verheiratet und ich muss immer wieder sagen: Man staunt über das Andere." Plötzlich wird das Hauptthema der DDR zweitrangig. Ingo Schulze spricht von unterschiedlichen Sozialisierungen. Von Fettnäpfchen, wie sie jeder kennt. "Also muss Peter, der Schelm, gar nicht aus dem Osten kommen?", hakt ein Zuschauer nach. Der Autor nickt. "Er kann von der ganzen Welt kommen."

Für eine maßgebliche literarische Frage nimmt sich Ingo Schulze viel Zeit und denkt nach, bevor er antwortet: "Ist das Schelmische eine Strategie, um das Tragische zu umschiffen?" Schließlich könnte Peter als ein moderner Simplicissimus durchgehen. Mit der Analogie zum ersten deutschen Abenteuerroman, in dem ein junger Mann die Zeit des 30-jährigen Krieges durchleidet, trifft er ins Schwarze. Schulze: "Tragik und Komik sind für mich nie wirklich zu trennen. Man muss viel lachen, aber manchmal bleibt einem wirklich das Lachen im Hals stecken." "Ein trauriges Buch also!", wirft ein Zuhörer ein. "Ja, es ist auch ein trauriges Buch." Nach der Veranstaltung wird Schulze sagen: "Bei einer Lesung lerne ich das eigene Buch erst richtig kennen."

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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