Diskussion mit Oberbürgermeister Hartmann:Der belastete Stadtteil

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Zwischen Gewerbegebieten und Resten von Grünflächen wachsen in Dachau Ost mit jeder neuen Bebauung auch die Probleme: Über Lärm und Verkehr klagen die Anwohner auf der Bürgerversammlung im Adolf-Hölzel-Haus. Besonders laut ist der Ruf nach Freiräumen

Von Petra Schafflik, Dachau

"Das war eine intensive Diskussion heute", sagt Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) am Mittwochabend, als sich nach gut zweistündigem Frage-Antwort-Spiel die Bürgerversammlung im Adolf-Hölzel-Haus langsam auflöst. Die Veranstaltung in Dachau Ost ist traditionell gut besucht, diesmal ist das Interesse so groß, dass für einige Zuhörer zusätzlich Stühle aufgestellt werden müssen. Engagiert wird die Entwicklung des Viertels diskutiert, in dem die Einwohner Planungen der Stadt für Gewerbegebiete kritisch begleiten und für den Erhalt der wenigen verbliebenen Freiflächen kämpfen. Auch der Wohnungsmarkt bereitet Sorge. Daneben bewegen die Menschen die alltäglichen Ärgernisse wie parkende LKW im Wohngebiet, kaputte Straßen, fehlende Autostellplätze und Raser in Tempo-30-Zonen.

"Dachau Ost ist massiv bedroht", mahnt Peter Heller, Anwohner des Viertels und Ortsvorsitzender des Bundes Naturschutz. Die geplante Umgehungsstraße, zwei neue Gewerbegebiete an der Siemensstraße und auf dem ehemaligen Seeber-Gelände erhöhten die Belastungen für den Stadtteil, der schon jetzt stark durch Verkehr und Gewerbe beeinträchtigt ist, sagt er. Gleichzeitig wird der letzte Freiraum zwischen Dachau und Karlsfeld vorläufig nicht, wie von der Stadt beantragt, als Landschaftsschutzgebiet geschützt, weil die CSU-Fraktion im Kreistag anders entschieden hat. "Ein demokratischer Witz", beklagt Heller. "Die Bürger wollen Frischluft und freie Wege in die Natur und nicht noch ein Gewerbegebiet." Heller appellierte, Dachau Ost als "lebenswerten Stadtteil" zu erhalten.

"So kann es nicht weitergehen"

Oberbürgermeister Hartmann hatte in seinem Bericht die seltsame Volte der Kreispolitik kritisiert, nach der nun Hebertshausen ein nicht gewünschtes Schutzgebiet erhalten soll. "Aber wir bekommen keines, obwohl wir eines wollen, das verstehe, wer will." In Sachen Stadtentwicklung erläutert Hartmann den "Teufelskreis", in dem sich die Kommunalpolitik bewege. In der Boomregion werden Wohnungen gebraucht, doch Zuzug erfordere einen Ausbau der Infrastruktur, was wieder Gewerbegebiete notwendig mache, um alles zu finanzieren. "So kann es nicht weitergehen", sagt der OB. Wie es weitergehen soll in der Stadt, ist Thema des neuen Flächennutzungsplans, an dem die Dachauer mitarbeiten sollen. Bei den Bürgerversammlungen erhalten die Teilnehmer Gelegenheit, an Stellwänden ihre Meinung zu einigen Fragen kund zu tun. Abbilden soll das fertige Konzept dann "Visionen für die Stadt".

Auf einem weiteren kurzen Stück soll die Würm am ehemaligen Seeber-Gelände renaturiert werden, ein kleines Erholungsgebiet soll entstehen. Libellen und Eidechsen sollen sich ansiedeln. (Foto: Niels P. Joergensen)

Deutlich konkretere Fragen bewegen die Anwohner der geplanten Gewerbeflächen südlich der Schleißheimer Straße. Im Planverfahren wurde die benachbarte Siedlung an der Anton-Josef-Schuster-Straße als allgemeines Wohngebiet eingestuft. Die Anwohner fordern die Kategorie reines Wohngebiet, "dann gelten um fünf Dezibel niedrigere Lärmgrenzen", erklärt Gerhard Schlabschi. Auch sollten die Belastungen aller Gewerbegebiete ganzheitlich untersucht werden. "Jedes einzelne ist vielleicht machbar, aber insgesamt reicht die Infrastruktur nicht aus." Als ökologischer Ausgleich zum Gewerbe wird am trostlosen Würmkanal ein "schönes Fleckchen Natur" entstehen, kündigt Hartmann an. Die Bürger sind skeptisch. "Wie sicher ist diese Renaturierung?", fragt Michael Ruhs. Die Flächen erhält die Stadt über städtebauliche Verträge, erklärt Bauamtsleiter Michael Simon. Bevor das Projekt starten kann, muss allerdings das Bayerische Fernsehen die Soap "Dahoam ist Dahoam" beenden, die an der Schleißheimer Straße 100 gedreht wird. "Die Stadt will nicht Totengräber dieser Serie sein", sagt Hartmann. Anwohner Leonhard Reif stört, dass auf dem geplanten Gewerbegebiet eine enorm dichte und hohe Bebauung zulässig sein wird. "Im aktuellen Industriegebiet ist kein Gebäude so hoch." Künftigen Nutzern will der Stadtrat viel Flexibilität geben und zudem "möglichst viel auf der Fläche unterbringen", erklärt Hartmann. Mit intensiver Nutzung lassen sich mehr Steuern generieren. "Die Stadt hat einen Riesennachholbedarf", wirbt der OB um Verständnis.

Alltäglicher Ärger

Die Entwicklung des Wohnungsmarkts macht Engin Aydin Sorgen. Nur Bürger mit extrem niedrigem Einkommen hätten Anspruch auf eine Sozialwohnung. Wer um wenige Euro darüber liege, "bei dem reicht das Geld trotzdem nicht für eine Wohnung auf dem freien Markt". Zudem fürchte er eine Ghettoisierung in Sozialwohnanlagen. Hartmann erklärt darauf, er wolle für Bürger mit bescheidenem Einkommen ein Einheimischen-Modell entwickeln. Soziale Brennpunkte entstünden nicht in der Stadt, "weil wir alles verteilen."

Auch alltäglicher Ärger bewegt die Bürger. Gottfried Habersetzer beklagt, dass die von ihm gespendeten Trixi-Spiegel, die LKW an Einmündungen eine bessere Sicht geben, nicht an vereinbarten Kreuzungen, sondern an anderer Stelle montiert worden seien. Auch bemängelt er Wurzeln als Stolperfallen auf dem Schulweg, Sichtbehinderungen durch Falschparker und Lärm am Glascontainer. Mit Habersetzer ärgert sich Elfriede Beifaller über LKW, die im Wohngebiet parken. "Jeden Morgen um sechs Uhr ein Riesenlärm, weil der Motor warm laufen muss und das Containerfahrzeug laut scheppert, das ganze Viertel ist wach." Auch die lauten Stadion-Ansagen beim TSV 1865 ärgern sie. "Der Verein beschallt den ganzen Stadtteil."

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Erika Hartmann: "Wir Anwohner in der Jakob-Schmid-Straße hören seit einiger Zeit einen lauten Dauerton, der auch im Alltag massiv nervt. Wir haben schon nachgeforscht, aber nicht herausgefunden, wo dieses seltsame Geräusch herkommt. Ähnliche Phänomene hat es ja bereits anderswo gegeben. Der Ton stört enorm, ohne Musik kann man abends gar nicht mehr einschlafen."

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Gerhard Schlabschi: "Die Belastungen der neuen Gewerbegebiete wie Lärm und Schadstoffaustausch dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssten ganzheitlich untersucht werden. Denn jedes einzelne der Gebiete ist vielleicht für sich machbar, aber insgesamt ist die Belastung etwa der Straßen zu hoch, die Infrastruktur reicht nicht aus."

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Peter Heller: "Der Stadtteil Dachau Ost ist massiv bedroht. Die Umgehungsstraße soll kommen, Gewerbeflächen werden ausgebaut. Was tut die Stadt, um die Freiflächen zwischen Karlsfeld und Dachau frei zu halten? Unser Stadtteil ist schon durch Lärm enorm belastet. Das ist etwas anderes, als wenn in einem Gebiet, wo man ruhig lebt, ein Windrad geplant wird."

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Angelika Zotz: "An der Roßwachtstraße wird seit Anfang vorigen Jahres herumrepariert, alles dauert enorm lange. Die Fahrbahn wurde aufgerissen und über den Winter nicht richtig zugemacht. Dort fahren schwere LKW, da nimmt die Straße doch auf Dauer Schaden. Am Ende wird komplett saniert und wir Anlieger werden dann dafür zur Kasse gebeten, das ist nicht in Ordnung."

Erika Hartmann beunruhigt "ein lauter Dauerton", der die Anwohner der Jakob-Schmid-Straße um den Schlaf bringe. An der Berliner Straße fehlen Parkplätze, weil Autoliv-Mitarbeiter Stellplätze blockieren, moniert ein Anlieger. Sein Nachbar Werner Stingl machte auf ein neu eröffnetes Wettbüro in seiner Wohnanlage aufmerksam. "Ist das zulässig?" Magdalena Demel fordert kürzere Taktzeiten der S-Bahnlinie A, die abends nur stündlich fährt. "Ungünstig, wenn man in München im Einzelhandel arbeitet." Auf Widerspruch aus dem Saal trifft der Wunsch von Stephan Oehring, die Leinenpflicht für Hunde im Amperwald auf die Hauptwege zu begrenzen.

© SZ vom 31.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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