Die Grande Dame des Dachauer Kulturlebens:Durchs Leben flanieren

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Karin-Renate Oschmann vor ihrem Wasserturm, einem zentralen künstlerischen Lieblingsmotiv der Altstadt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

In der zur Schwermut neigenden Dachauer Kunstszene wirkt Karin-Renate Oschmann wie ein Antidepressivum. Sie wird 80

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Die Reizwort-Geschichte ist Karin-Renate Oschmann als ehemaliger Lehrerin geläufig. Sie ist fester Bestandteil jeder Deutschdidaktik. Mal schauen, ob aus fünf Begriffen eine ordentliche Erzählung des Lebens der Jubilarin entsteht, die am Sonntag, 23. Juli, ihren 80. Geburtstag oben im Dachauer Wasserturm feiert. In jenem Gebäude, das sie maßgeblich zu einem Bürgerzentrum der Künste mit aufgebaut hat und durch das sie zur Grande Dame der Dachauer Kultur geworden ist

Oper: Die blauen Augen blitzen schelmisch, weil Oschmann irgendeinen rhetorischen Hinterhalt vermutet oder zumindest eine ironische Sottise, wie sie sie selbst schätzt. Oder ist der Begriff doch eine Bemerkung dazu, dass die erste Ehe an ihrer Faszination für diese Kunstrichtung die ersten Risse bekam? Die Vorsitzende des Fördervereins Dachauer Wasserturm sagt: "Schon immer war die Oper bei mir. Seit meiner Jugendzeit." Sie erzählt von ihrer Musiklehrerein, einer Urenkelin von Robert Schumann: "Sie hat mich geprägt."

Kulturpolitik: Karin-Renate Oschmann verdreht ihren Körper, als wäre gerade etwas Unangenehmes geschehen. Dabei hat sie beim Stadtrat durchgesetzt, dass am Jugendstilturm der Brandschutz erneuert wird und das Gebäude endlich fließend Wasser bekommt. Er ist jetzt ein Kulturzentrum, das Kunst und Begegnung miteinander verbindet. Insofern ist die Jubilarin die richtige Vorsitzende: "Mit Menschen kann ich."

SPD: "Oh, dass ich jemals in eine Partei eintreten würde, hätte ich nicht geglaubt." Vor einem Monat hat sie es getan. Aber so wie ihre Musiklehrerin sie kulturell beeindruckt hat, sieht sie im ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, eine Lichtgestalt der deutschen Zeitgeschichte. Gleiches gilt für Willy Brandt und Helmut Schmidt. "Wegen dieser alten Männer, obwohl sie nicht immer alt waren, bin ich Mitglied geworden." Der Beitritt rundet ihre Biografie ab, die sie von Berlin, über München und Schönbrunn nach Dachau in den Wasserturm gebracht hat." Sie sagt auch: "Politik ist nichts für mich." Denn: "Ich lache gern." Und: "Ich will das Lachen nicht verlernen."

Glück: "Ein Geschenk." Karin Renate Oschmann empfindet ihr Leben als ein erfülltes. Vier Kinder, acht Enkel, eine Urenkelin. Alle wohlgeraten. Nach dem Abitur lernt sie ihren ersten Mann bei einem Pfadfindertreffen kennen, es folgt der Umzug nach München wegen dessen Anstellung bei Siemens. Statt der ersehnten Ausbildung zur Dolmetscherin wird sie mehrfache Mutter, lässt sich scheiden, wird Alleinerziehende, schafft das Studium zur Grundschullehrerin und hat dann eine Art Erweckungserlebnis. Ein Mädchen in ihrer ersten Klasse ist schon zwei Mal durchgefallen. Es wird getestet. "Ihr bombiger Intelligenzquotient war wie eine Ohrfeige für mich." Sie fragte nach den Gründen für ihre Fehleinschätzungen und entschied sich, Sonderpädagogik zu studieren. Damals lebte sie in Oberschleißheim und blieb dort, auch als sie Konrektorin an der Johannes-Neuhäusler-Schule in Schönbrunn im Landkreis Dachau wurde. Als die Kinder ausgezogen waren und das Haus viel zu groß wirkte, folgte der Wechsel in eine Wohnung nach Dachau, direkt unterhalb des Wasserturms.

Und dann kam der Abend, als Bruno Schachtner, ehemaliger städtischer Kulturreferent, Grafiker, Künstler und im Gegensatz zur Oschmann leidenschaftlicher Kulturpolitiker, zur Rettung des Wasserturms aufrief. Denn die Kommunalpolitik blickte hilflos zu ihm hinauf. Es war der Abend, an dem Karin-Renate Oschmann sich zur Vorsitzenden des Fördervereins im Ludwig-Thoma-Haus wählen ließ. Rückblickend sagt sie: "Dann fing ein neues Leben an." Bis dahin, also vor ziemlich genau 19 Jahren, engagierte sie sich kulturell in der Schule. Sie gestaltete Kunstaktionen, spielte Puppentheater und konzentrierte sich auf die musische Erziehung. Nicht aber darauf, programmatisch tätig zu werden. Selbst Ideen zu entwickeln. Andere zuzulassen. Nicht auf den eigenen Vorlieben beharren. Offenheit zeigen. Kultur ermöglichen. Verständnis zeigen. Da reicht eben auch mal ein Lachen oder eine heitere Frage nach dem Sinn eines Werks.

Leichten Fußes schwebt sie sommerlich gekleidet durch die Altstadt, als flaniere sie durch das Leben. In der er sich oft schwermütig gebärdenden Dachauer Kunstszene wirkt sie wie ein Antidepressivum. Sie radelt gerne. Die Blicke von Passanten besagen: "Also, in Ihrem Alter?" Sie sagt: "Mir fehlt nichts. Ich habe keine Schmerzen." Aber der heitere Eindruck darf nicht über ihre Hartnäckigkeit hinwegtäuschen. Denn sie hat die Lange Nacht der Galerien und Ateliers gerettet, nachdem sich die kommunale Kulturbürokratie aus dem Projekt zurückzog. Das entscheidende Reizwort wirft sie selbst ins Gespräch ein.

"Rückblick." Für ihre Feier zum 80. Geburtstag mit genau 80 Gästen im Wasserturm hat sie sich überlegt, das Chanson "Je ne regrette rien" von Edith Piaf vielleicht sogar selbst zu singen. Aber der Refrain des Liedes ist voller Trotz. Und Verse wie "Avec mes souvenirs/ J'ai allumé le feu" würde Karin-Renate Oschmann über sich und ihr Leben niemals formulieren. Sie verbrennt Erinnerung nicht. Sie sagt: "Rückblickend schmerzt mich gar nichts." Deshalb passen die Zeilen aus Brechts Dreigroschenoper wesentlich besser, die sie in ihrer Geburtstagsrede zitieren wird. Im Alter von 80 darf man sich nach dem Sinn von Zielen fragen. Man muss sich die Zukunft in der Gegenwart abringen. So wie Brechts Peachum: "Der Mensch ist zwar nicht gut / doch Planung macht mir Mut! / Mein Wünschen bleibt vielleicht ein Traum/vielleicht wird alles gut." Dann vermengen sich Zuversicht und Vergeblichkeit zur Melancholie: "Hoffnung wird mich tragen durch so manches tiefe Tal, / drum versuch ich's eben stets ein weit'res Mal."

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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