DGB-Chef Jena in Dachau:"In Wirklichkeit eine Selektionsdebatte"

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Bayerns DGB-Chef Matthias Jena kritisiert mit drastischen Worten die derzeitige Diskussion um Integration - und das ausgerechnet bei einer Feier in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Walter Gierlich

Erstmals ist Matthias Jena als neuer DGB-Landesvorsitzender bei der traditionellen Feier in Dachau, mit der die bayerische Gewerkschaftsjugend seit 1952 der Pogromnacht vom 9.November 1938 gedenkt, als Redner aufgetreten. Und hat sich kräftig im Ton vergriffen: "Manches, was derzeit unter dem Deckmantel einer Integrationsdebatte daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Selektionsdebatte", sagte er vor etwa 200 Teilnehmern der Veranstaltung vor dem Krematorium in der KZ-Gedenkstätte.

Matthias Jena, Vorsitzender des DGB Bayern, bei der traditionellen Gedenkfeier zur Pogromnacht in Dachau. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Jena attackierte damit all jene Politiker, "die in der augenblicklichen Zuwanderungsdebatte ausschließlich unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Verwertbarkeit argumentieren". Man dürfe nicht nur jene Ausländer ins Land lassen, die der deutschen Wirtschaft nützen. Gerade angesichts des Ortes und der Erinnerung an die Pogromnacht, als die Nazis einen ersten Höhepunkt der Verfolgung der Juden und ein Vorspiel zu ihrer späteren Vernichtung inszenierten, müsse man fragen, was mit all jenen sei, die ihre Heimatländer aus religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Gründen verlassen müssten. Jena mahnte nachdrücklich, man dürfe nicht "Menschen vorrangig nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit" klassifizieren.

Marian Offman, Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde München, nannte das Wort "Selektionsdebatte" eine "unfassbare" Formulierung. "Wenn an einem solchen Ort und in diesem Zusammenhang das Wort 'Selektion' in Bezug auf Menschen verwendet wird, ist es für die Opfer verletzend. Die, die selektiert wurden, leben nicht mehr." Das sei "gerade an diesem Ort ein unsensibler Umgang mit der Sprache, mit dem Thema und mit der Vergangenheit", kritisierte Offman, sichtlich erschüttert: "Das ist eine Respektlosigkeit vor den Opfern." Offman kritisierte den "geschichtslosen und rüden Umgang mit der Sprache".

Der DGB-Landeschef sieht in den eigenen Reihen enormen Aufklärungsbedarf: "Befragungen zeigen, dass unter Gewerkschaftsmitgliedern eine rechtsextreme Einstellung etwa im gleichen Maße vorzufinden ist wie in der Gesamtgesellschaft."

© SZ vom 08.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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