Der Abendgang des Unterlands:Apokalyptischer Schmäh

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Wie der Wiener Kabarettist Severin Gröbner in Haimhausen dem drohenden Weltuntergang begegnet

Von Renate Zauscher, Haimhausen

Der Untergang der Welt steht kurz bevor. Und wenn nicht gleich der ganzen Welt dann doch zumindest der des Christlichen Abendlands. Davon sind mittlerweile nicht nur einige wenige Endzeit-Gläubige überzeugt, sondern immer mehr Menschen - die jüngsten Wahlergebnisse beweisen es. Severin Groebner nahm sich des Phänomens auf kabarettistische Weise an. Als "Grenzgänger zwischen Humor und Musik, Pointen und Poesie, Genie und Wahnsinn" wurde Groebner bezeichnet - so beschrieb ihn der Kulturkreis Haimhausen, bei dem Groebner am Samstag mit seinem Programm "Der Abendgang des Unterlands" auf der Bühne stand. Darüber hinaus ist Groebner ein Grenzgänger zwischen Deutschland und Österreich: ein Wiener nämlich, der - welch schöner Hinweis auf die spätere Karriere - im "Helmut Qualtinger-Hof" in Wien zur Welt kam. Wienerisch ist jedenfalls Severin Groebners Themenwahl: Dem Wiener lag der drohende Untergang seiner Welt immer schon näher als, sagen wir, dem Bayern oder anderen Nachbarn Österreichs.

Groebners kultureller Hintergrund bestimmt nicht nur seinen unverwechselbaren Zungenschlag, mit dem er wunderbare Dialoge im Taxi oder auf der Straße wiedergibt, sondern auch den gemütlich scheinenden Zugang zum Thema. Was tun, wenn der Weltuntergang exakt am nächsten Morgen um 9.48 Uhr erfolgen wird? Schnell noch, wie die Piefkes im Norden, neue Gesetze und Anordnungen erlassen und entscheiden: "Was schaffen wir an, wen bringen wir um?" Nein, der Wiener geht anders vor: Er bestellt in aller Seelenruhe ein letztes Kaiserfleisch mit Kren und Salzkartoffel und dazu ein Achtel Roten, "aber den guten bitte".

Kurz vor dem Ende will Groebner "noch etwas erleben": eine rauschende Liebesnacht etwa oder einen schönen, erholsamen Urlaub. Aber wo könnte der stattfinden? Da "Last Minute Syrien" oder Ägypten unter Sisi keine prickelnden Angebote sind, entscheidet sich Groebner für einen All-Inclusive-Club mit türkischer Security und hochwertigem ungarischem Stacheldraht, zudem gesichert durch Roboter mit automatischer Hautfarben- und Bleibeperspektive-Erkennung. Die schießen gleich, ohne irgendwelches "Humanitätsgedusel". Als dann aber doch "andere", nämlich "durch den halben Kontinent Dahergelaufene", im Hochsicherheitsresort auftauchen, mündet die Begegnung mit ihnen in wüstes Geschrei: "Wir sind das Volk".

Aber welches Volk denn? Wenn irgendwelche "Identitären" Groebner seine "Identität" erklären wollen, kontert er mit dem schönen Verweis auf seine Familienherkunft: Da verzweigt sich die Ahnenreihe quer durch Europa, reicht vom Balkan ins Zweistromland, schließlich bis nach Afrika - "da haben wir laufen gelernt" -, und am Ende steht die älteste aller Urgroßmütter, die noch "im Wasser" gelebt hat.

Groebner, dieser dünne, große Mann im Pyjama, erzählt diese Geschichten nicht nur, er spielt sie mit seinem ganzen Körper, mit exzessiver Gestik und Mimik. Dazu nimmt er immer wieder seine Cigar-Box-Gitarre zur Hand, singt oder schreit sich seine ganze Seele aus dem Leib, mit dem Furor eines Menschen, der seine Wut auf menschliche Dummheit und Hybris nur mühsam hinter dem Schutzschild des Humors zu verbergen trachtet.

Seine Wut ist für Severin Groebner natürlich auch der Humus seiner Kreativität. Sie lässt ihn wunderbare Sprach- und Gedankenbilder finden und bringt ihn auf Ideen wie die von der Verwertungsstelle für "historische Ballaststoffe". Dort nämlich landen die Reste vergangener "großer" Reiche: die der "zerbröselten" K&K-Monarchie oder jenes ominösen "Tausendjährigen Reichs". Demnächst sollen - Vorsicht, Platz da! - "die ersten Brocken des amerikanischen Imperiums" angeliefert werden. Auch wenn Groebners politische Giftpfeile oft nur in Nebensätzen abgeschossen werden, so ist sein Programm doch durch und durch politisch. Dabei gelingen ihm immer wieder Sätze, die das Zeug zum Klassiker haben: wie jener etwa, dass "die größte Gefahr für eine Kultur" von denen ausgeht, "die sie verteidigen wollen und selber gar keine besitzen".

Dem Publikum in Haimhausen war klar, dass da ein ganz Großer seiner Zunft ihnen die Welt erklärte. Sie dankten mit begeistertem Applaus - auch dann noch als Groebner zuletzt noch etwas "Lustiges" zum Besten gab: Das makabre Lied vom Ende nicht nur der Welt, sondern auch eines jeden seiner Zuhörer.

© SZ vom 30.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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