Kultur-Schranne:Witzige Wortspiele

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Elf Teilnehmer aus ganz Deutschland treten beim Poetry-Slam in Dachau an und beeindrucken mit ihren kritischen, selbstbewussten und leidenschaftlichen Texten.

Von Jeannette Oholi, Dachau

Da sitzen sie nun alle an einem großen Tisch in der Ecke der Kultur-Schranne. Wissenschaftler würden sie vermutlich als Generation Y oder Z bezeichnen. Die meisten von ihnen sind Anfang und Mitte zwanzig. Aus Frankfurt, Heidelberg, Berlin, Dortmund und München sind sie nach Dachau gereist, um mit dabei zu sein. Rechts neben dem Tisch wird die Bühne vorbereitet, auf der die elf Teilnehmer an diesem Abend stehen werden. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass der Poetry-Slam stattfindet. Auf die Frage, ob die Poetinnen und Poeten nervös vor ihren Auftritten seien, kommt ein kollektives "Nee" zurück. Es liegt Vorfreude in der Luft. Bald werden die jungen Wortkünstler auf die Bühne stürmen.

Newcomer und Poeten mit Erfahrung treten in der Schranne auf

Die 23-Jährige Özge Cakirbey ist heute nicht nur das erste Mal in Dachau, sondern in Bayern überhaupt. Dafür erntet sie ungläubige Blicke am Poeten-Tisch. Viele unter ihnen kommen selbst aus Bayern. Kaleb Erdmann zum Beispiel oder Dave Appleson und Antonia Lunemann, die bereits den U20-Slam-Wettbewerb gewonnen hat. Newcomer und Poeten mit Erfahrung treten heute in der Schranne auf. Sie alle mussten einst den ersten Schritt auf die Bühne wagen. Cakirbey erzählt, dass sie das erste Mal mehr oder weniger von Freunden auf die Bühne geschubst wurde. Jahre später liebt sie es, auf der Bühne zu stehen und kostet jeden Moment voll aus. "Das schönste am Slam ist, dass ich fünf Minuten habe, die ganz mir gehören", sagt sie. Cakirbey ist eine großartige Poetin. Mit klarer Stimme, Ausstrahlung und Leidenschaft trägt sie an diesem Abend ihr Gedicht "20 Sekunden" vor. Nur zwanzig Sekunden "Mut, Befreitheit, Initiative" würde es kosten, diesen interessanten Menschen anzusprechen, den sie schon so oft im Café gesehen hat. Stattdessen flüchtet sie sich in Gedanken, sinniert darüber, wie der andere wohl sein mag, und erzählt gleichzeitig in einem Kopfgespräch, was sie für ein Mensch ist.

Auch die Berliner Poetin Pauline Cebulla fordert in "Pathos" mehr Eigeninitiative und Leidenschaft eines jeden, sich einzusetzen und die eigene gesellschaftliche Verantwortung nicht auf Politiker abzuwälzen. "Was ist denn mit Gegensteuern?", fragt sie, "trau dich mal wieder, pathetisch zu sein". Die von Lethargie Geplagten sollten sich selbst ernst nehmen, denn "es gibt nur weiter oder stehen bleiben". An diesem Abend dreht sich überhaupt viel um politische und gesellschaftliche Verhältnisse der Gegenwart. Viele Interpreten des Abends haben gemein, dass sie hinterfragen, fehlendes Engagement anprangern und mehr Menschlichkeit fordern. So auch Kaleb Erdmann, einer der bekanntesten Slammer aus München und Sieger des Abends. In seinem Gedicht "Wie viel Mal Bus verpassen sind ein Mal Ebola" wendet er sich gegen alle, die Leid abwiegeln und "Trauerökonomie" betreiben. Für ihn ist es menschenverachtend, Leid zu vergleichen und durch Sätze wie "Traurig, was in Paris passiert ist, aber woanders gibt es auch viel Leid" zu relativieren. "Leid ist nicht vergleichbar, Leid ist nicht aufrechenbar, Leid muss beendet werden", sagt er eindringlich.

Der Slam-Sieger bekennt sich dazu, nicht gut in "sozialen Interaktionen" zu sein

In seinem Text "Smalltalk", den Erdmann im Finale vorträgt, steht ein anderes Thema im Mittelpunkt. Weniger schwer als das erste Gedicht liegt es dem Publikum im Bauch. Ironisch bekennt sich der Slam-Sieger darin, nicht gut in "sozialen Interaktionen" zu sein. Erdmann bekommt viele Lacher, als er den Smalltalk preist, da durch ihn eine Bürde wegfalle, "jemanden kennenzulernen, den man nicht kennenlernen will". "Wie lebt man gut?", fragt sich Daniel Wagner, Zweitplatzierter des Abends. Mit viel Humor und scharfem Sarkasmus skizziert er eine Gesellschaft, in der es zum guten Ton gehört, Fairtrade-Produkte zu kaufen und gegen Massentierhaltung zu sein, es jedoch Realität ist, Billigburger zu essen, bei Textildiscountketten einzukaufen und Milch in den Fairtrade-Kaffee zu schütten, die Bauern zu Dumpingpreisen verkaufen müssen. Mit intelligenten Wortspielen bringt Wagner schnell das Publikum auf seine Seite. In seinem Finaltext "Wer wird Millionär?" nimmt Wagner den Reichtum von einzelnen Menschen und ganzen Ländern in den Blick. Zynisch kritisierte er den deutschen Waffenhandel, denn "Waffen machen die einen zu Reichen, die anderen zu Leichen". Auch die anderen Slammer beeindrucken durch ihre Wortkünste, ihre Leidenschaft zum Leben, zu kritisieren und zu hinterfragen. Ein großartiger Auftakt in das neue Slam-Jahr. Am 3. März findet der nächste Slam in der Schranne statt.

© SZ vom 08.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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