Dachau:Standgehalten

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Trotz Bedrohungen und Anschlägen stellt sich die brandenburgische Bürgerinitiative "Zossen zeigt Gesicht" seit 2009 den Umtrieben der Neonazis in ihrer Kleinstadt entgegen. Jetzt erhält sie den Dachau-Preis für Zivilcourage.

Von Sophie Burfeind

Es sind erschreckende Bilder. Hakenkreuze an Containern, beschmierte Stolpersteine. Ein türkischer Dönerbudenbesitzer, der brutal zusammengeschlagen wird. Demos von Nazis, auf denen es kaum Gegendemonstranten gibt. Immer wieder sprayen Rechtsradikale die Worte "Zossen bleibt braun" an Hauswände. Eines Tages ist auch "Jörg Wanke stirbt bald" in roten Buchstaben an einer Mauer zu lesen.

Dass es sich nicht um leere Drohungen handelt, zeigte der Brandanschlag auf das "Haus der Demokratie" im Jahr 2010. (Foto: privat)

Jörg Wanke ist Versicherungsmakler in Zossen, einer Kleinstadt mit etwa 18 000 Einwohnern im Landkreis Teltow-Fläming in Brandenburg. Im Februar wurde im ZDF die Reportage "Ich lass' mich nicht vertreiben" mit dem Untertitel "Standhalten gegen rechte Gewalt" von Klaus Balzer ausgestrahlt, in der Jörg Wanke und seine Lebensgefährtin Petra Reinhard acht Monate lang filmisch begleitet wurden. Der Film lässt den Zuschauer einen guten Einblick in das Alltagsleben der beiden in der ruhigen Kleinstadt gewinnen. Deutlich, aber unaufdringlich, zeigt er, wie sie Tag für Tag in einer Atmosphäre latenter Bedrohung leben müssen.

Jörg Wanke ist seit 2009 Sprecher der Bürgerinitiative "Zossen zeigt Gesicht", einer Initiative gegen Rechtsextremismus mit nunmehr 15 Mitgliedern. Seitdem hat er mit Beleidigungen, Anschlägen oder sogar Morddrohungen zu kämpfen. Weil er für viele Zossener "unbequem" ist, haben sich auch Kunden von ihm abgewandt. Dennoch lassen sich Wanke und seine Mitstreiter nicht entmutigen.

Für ihr unermüdliches Engagement gegen rechte Gewalt wurde Wanke nun stellvertretend für die Bürgerinitiative von der Stadt Dachau mit dem Dachau-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Der Einsatz von Jörg Wanke beweist, wie viel Mut und Stärke Zivilcourage benötigt und dass sie einen hohen Preis fordert: Einschränkungen im Alltagsleben und das Risiko sowie die ständige Angst, Opfer eines Anschlages zu werden.

Wankes Arbeit gegen Rechtsradikale begann Ende des Jahres 2008, als er auf dem Zossener Marktplatz einen Fackelzug von Nazis beobachtete. Von diesem Moment an habe er entschieden, dass er dem nicht länger tatenlos zusehen könne. Er gründete die Bürgerinitiative "Zossen zeigt Gesicht". Im September 2009 eröffnete die Gruppe das "Haus der Demokratie", das als Treffpunkt für alle Altersgruppen gedacht war - Ausstellungen und Lesungen sollten dort stattfinden, aber auch ein Internetcafé und eine Fahrradwerkstatt sollte es beherbergen. Kultur und ein Treffpunkt für Jugendliche waren als Gegenpol zur rechten Szene geplant.

Doch der erste Schlag gegen die Gruppe ließ nicht lange auf sich warten. Schon fünf Monate später brannte das Haus ab. Brandstiftung einer Gruppe junger Neonazis. Im selben Jahr wurde Wankes Büro beschmiert, die Scheiben eingeschlagen und die Morddrohung "Jörg Wanke stirbt bald" an die Mauer gesprayt. Der Terror gipfelte darin, dass in der Nacht vom 9. Oktober 2012 ein Anschlag auf sein Haus verübt wurde, bei dem Unbekannte Scheiben einschlugen und die Haustür aufbrachen. "Die Nazis wollen uns einschüchtern", sagt Wanke. "Aber wir lassen uns nicht aus Zossen vertreiben."

Das eigentlich Beunruhigende der Geschichte sind allerdings nicht unbedingt die Rechtsradikalen. Es ist vielmehr die Tatsache, dass die Arbeit der Bürgerinitiative hauptsächlich von Lokalpolitikern behindert wird. "Die Auseinandersetzung mit der Stadt ist ernüchternder als die mit den Rechtsextremen", sagt Wanke. Einige Zossener Politiker wie auch manch ein Einwohner hielten der Bürgerinitiative vor, dass sie die Aktivitäten der Nazis provoziere - ja, sie sei schuld daran, dass es überhaupt Probleme mit Rechtsradikalen gäbe. Häufig heißt es außerdem, Wanke wolle bewusst das Image der Stadt schädigen. Von einem Stadtverordneten wurde Wanke im Dezember 2012 als "Hassprediger" beschimpft. In öffentlichen Stellungnahmen relativiert die Bürgermeisterin das Problem der Stadt mit Rechtsextremismus - das gebe es überall in Deutschland. Den Bau eines neuen Hauses der Demokratie weiß sie zu verhindern.

"Wir würden uns einfach wünschen, dass man aufhört, uns Steine in den Weg zu legen", bemerkt Wanke. Er wolle kein Held sein, aber auch kein Buhmann. Als Buhmann habe man in einer kleinen Stadt wie Zossen, wo jeder jeden kennt, keine Chance. Mit dem Dachau-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet zu werden, bedeute der Bürgerinitiative sehr viel. "Die Auszeichnung ist etwas ganz Besonderes, wir waren sehr gerührt als wir davon erfahren haben", sagt Wanke. Es sei aber insbesondere eine Motivation, ein Ansporn, der von diesem Preis ausgehe, trotz aller Mühen weiterzumachen. Weiterhin Schmierereien zu dokumentieren und zu beseitigen, Fälle von Übergriffen von Rechtsradikalen zu melden, Aufklärungsprojekte an Schulen durchzuführen und jede Form von Protest gegen rechte Gewalt in der Stadt zu unterstützen.

"Zossen kann schon als Beispiel gelten, dass sich mit hartnäckigen Bürgerinitiativen etwas erreichen lässt", sagt Wanke, der auch Erfolge melden kann. Im Jahr 2011 sei beispielsweise die rechte Vereinigung "Freie Kräfte Teltow-Fläming" verboten worden. Außerdem zeigten sich viele Bewohner der Stadt mittlerweile weniger tolerant gegenüber Schmierereien und nationalsozialistischen Kundgebungen.

Mit dem Preisgeld will die Initiative Ausstellungen im Zeitraum von Ende Mai bis September finanzieren, die sich mit dem, was in Zossen im Jahr 1933 passierte, befassen. 15 bis 20 Informationsveranstaltungen, Zeitzeugengespräche und Informationstafeln für Stadtspaziergänger und Schulen sind geplant. Das Thema ist nicht zufällig gewählt - die Zossener Neonazis feiern zur selben Zeit das 80. Jubiläum der Machtergreifung Hitlers.

© SZ vom 29.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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