Dachau:Schicksalsfragen für Schönbrunn

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Gerda Hasselfeldt verkneift sich eine Nachfolge-Empfehlung. (Foto: Toni Heigl)

Das Franziskuswerk beteiligt sich an einer bundesweiten Aktion gegen den Entwurf eines neuen Eingliederungsgesetzes für Behinderte. Das Unternehmen fürchtet erhebliche Verschlechterungen

Von Wolfgang Eitler

Schönbrunn - Die gemeinnützige Franziskuswerk GmbH in Schönbrunn warnt vor dem neuen Eingliederungsgesetz, wie es als Entwurf des Bundeskabinetts dem Deutschen Bundestag vorliegt. Dadurch würden die Behindertenhilfe und ihr pädagogisches Ethos in der Substanz gefährdet, fürchtet das Unternehmen. Schönbrunn würde vor Veränderungen stehen, die zu massiven Verschlechterungen der Lebensqualität der Bewohner führten. Deshalb beteiligt sich das Unternehmen an der bundesweiten Aktion aller Wohlfahrtsverbände gegen maßgebliche Vorgaben, die der Gesetzesentwurf enthält. Das neue Gesetz entscheidet somit auch über die Zukunft von 1600 Arbeitsplätzen in Schönbrunn. Das Franziskuswerk ist der größte Arbeitgeber im Landkreis.

Dabei hatten die Verbände und Organisationen darauf gehofft, dass mit einem neuen Teilhabegesetz endlich die Prinzipien der Inklusion nach der UN-Behindertenkonvention umgesetzt werden. Tatsächlich sorgen sie sich vor allem um die Zukunft mehrfach behinderter Menschen. Angenommen, ein Mann ist geistig behindert und sitzt im Rollstuhl: Zusätzlich zur Eingliederungshilfe erhielte er künftig nur noch einen gedeckelten Pflegesatz von 266 Euro zugesprochen. Wenn der Betrag nicht ausreicht, weil die Pflege wesentlich intensiver ist, würde er an ein Pflegeheim überwiesen.

Dann fielen sämtliche pädagogischen und sozialen Leistungen der Eingliederungshilfe weg. Im konkreten Fall: die Option, Arbeiten unter Betreuung in einer Förderstätte zu verrichten, und auch die Teilhabe an kulturellen oder sozialen Veranstaltungen. Krass formuliert: Es könnte passieren, dass ein jetzt 20-jähriger behinderter Mann künftig sein ganzes Leben in einem Pflegeheim verbringen müsste. Weil 60 bis 70 Prozent aller Bewohner des Franziskuswerks mehrfach behindert sind, sagt Pressesprecher Tobias Utters: "Würde der Gesetzentwurf in der bestehenden Form im Bundestag verabschiedet, muss das Franziskuswerk damit rechnen, einen Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr in der jetzigen Form, individuell und auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten, begleiten zu können." Wie Utters weiter mitteilt, habe der Geschäftsführer des Franziskuswerks, Markus Tolksdorf, in einem Gespräch mit der Landesgruppenchefin der CSU und Dachauer Wahlkreisabgeordneten im deutschen Bundestag, Gerda Hasselfeldt, "Nachbesserungen beim geplanten Bundesteilhabegesetz" gefordert. "Insbesondere der Vorrang von Pflegeleistungen vor Leistungen der Eingliederungshilfe wird, sofern das Gesetz so verabschiedet wird, ein großes Problem", sagte er. Es stehe zu befürchten, dass Menschen mit schweren Behinderungen nicht die Pflege bekommen, die sie brauchen - oder in die Pflegeversicherung wechseln müssen, wo sie keine Teilhabeleistungen der Eingliederungshilfe mehr bekommen. Ein Beispiel: Wenn ein behinderter Menschen lernt, mit dem Löffel zu essen, wird die Leistung über die Eingliederungshilfe finanziert. Wenn er aber trotzdem auf Hilfe angewiesen bleibt, müsste der Betrag aus der Pflegeversicherung kommen.

Um solche Absurditäten zu vermeiden, fordert der oberbayerische Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU), diese Trennung im Gesetzentwurf aufzuheben. Der Bezirk ist für die Eingliederung Behinderter zuständig. Mederer sagt: "Beides gehört zusammen." Auch er berichtet von einem Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten Hasselfeldt und zeigt sich überzeugt, in ihr eine Mitstreiterin gefunden zu haben. Seine Verwaltung habe Hasselfeldt bereits die schriftlichen Ausführungen zur Kritik an dem Entwurf zum Eingliederungsgesetz zukommen lassen. Mederer: "Sie hat zugesagt, die wesentlichen Punkte im Bundestag vorzubringen." Er hofft, dass Hasselfeldt wegen "des Gewichts ihrer Stimme" das Gesetz noch maßgeblich beeinflussen kann.

Im Kern begrüßen Mederer und das Franziskuswerk das Eingliederungsgesetz, das versuche, die Prinzipien der Inklusion umzusetzen. Dazu zählt Mederer, dass das Vermögen von Ehepartnern künftig nicht mehr zur Finanzierung herangezogen wird. Auch könnten behinderte Menschen Vermögen ansparen, was ihnen bisher versagt war. Noch müssen sie Beträge über 2000 Euro an die Sozialhilfe abgeben. Dass Eltern behinderter Kinder nicht mehr ohne weiteres ihr Vermögen für die Betreuung einsetzen müssten, hält er ebenfalls für einen Fortschritt. Aber es dürfe nicht passieren, dass mehrfach behinderte Menschen plötzlich schlechter gestellt würden als vorher.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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