Dachau:Immer schön bei der Stange bleiben

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Janine Hollung hat in der Brunngartenstraße das erste Poledancestudio der Stadt eröffnet. Die Trendsportart erfreut sich wachsender Beliebtheit, hat aber immer noch mit alten Klischees aus dem Rotlichtmilieu zu kämpfen.

Von Benjamin Emonts

"Schülerinnen, Hausfrauen, Studentinnen, Friseusen: Alles da", sagt Janine Hollung über die Teilnehmerinnen ihrer Kurse. Die 32-Jährige hat im April Dachaus erstes Poledance-Studio eröffnet. (Foto: joergensen.com)

Marie, die junge Dame mit dem frechen Kurzhaarschnitt, trägt knappe Hotpants und ein Tanktop - nicht viel. Mit beiden Händen hält sie sich an der Stange fest, zieht mit einer schnellen Bewegung die Beine hoch, geht dabei in die Grätsche und dreht sich - mit den Beinen über dem Kopf - wie ein Rotor um die Stange. Im Fachjargon heißt das: Helikopter. Für den Helikopter braucht man schon etwas Übung im Poledance. "Klappt doch gut", lobt Trainerin Janine Hollung.

Trotzdem ist Marie ein wenig ungehalten, als vom Reporter die Frage kommt, weshalb sie ausgerechnet an einer Stange tanzt. Es ist eine Frage, die Marie und die anderen Frauen oft zu hören bekommen, meist von Männern. Fragen, in denen oft auch Klischees mitschwingen. Wenn eine Frau an einer Stange tanzt, ist sie bestimmt oben ohne, trägt String-Tanga und High-Heels. Kurzum: Sie macht Tabledance. Marie aber sagt: "Poledance ist in erster Linie Sport. Es geht um Ästhetik, nicht um Erotik."

In Amerika ist Poledance längst ein Trendsport, in Dachau aber, wo Janine Hollung in der Brunngartenstraße das erste Poledancestudio der Stadt eröffnet hat, haftet dem Poledance noch etwas Exotisches an. Doch ein Blick in das Studio zeigt: Poledance ist nichts Anrüchiges. Es gibt keine Bühne, kein Rotlicht, keine nackten Frauen. Nichts. Stattdessen eine liebevoll gestaltete, hell beleuchtete Turnhalle in Kleinformat; eine verspiegelte Wand, und Bilder von weiblichen Comic-Helden wie She-Hulk, Wonderwoman oder Catwoman. Echte Powerfrauen.

Janine Hollung hat sich all das einfallen lassen - sie hat das "Supergirl"-Studio im April eröffnet. Seither haben sich 45 Frauen im Alter von 16 bis 50 Jahren zu ihren Kursen angemeldet: "Schülerinnen, Hausfrauen, Studentinnen, Friseusen: Alles da", sagt Hollung. "Nur leider keine Stripperinnen." Hollung ist 32 Jahre alt, 1,66 Meter groß. Wenn sie an der Stange steht, sieht alles ganz einfach aus. Denn die Frau hat Kraft, viel Kraft. Ihren 51 Kilo schweren Körper schwingt sie mit behänder Leichtigkeit um die Stange, als wäre es das Einfachste der Welt. In Wahrheit aber steckt harte, wochenlange Arbeit hinter den Übungen, die sie ihren Schülern beibringt. "Der Anfang ist nicht immer einfach", weiß Hollung, "es werden Muskelgruppen beansprucht, die bei Frauen meist nicht so ausgeprägt sind". Heißt: Arme, Schultern, Bauch, Rücken, Beine. Wer untrainiert kommt, muss erst einmal Muskeln aufbauen. Aber: "Es gab noch keine Frau, die nach sechs Wochen nichts konnte", sagt Hollung.

Trotzdem seien die meisten Frauen anfangs sehr unsicher. Schon vorab erhalte sie oft Entschuldigungen oder besorgte Fragen per E-Mail: "Seid ihr da nackt? Ich glaube, meine Beine sind zu schwach. Ich kann keine kurze Hose tragen." Dennoch bleiben die meisten Teilnehmerinnen den Kursen treu, entwickeln Ehrgeiz und werden von Mal zu Mal fitter. Sagt Hollung. Ihre Schülerinnen Marie-Lena und Sophie berichten sogar von einem tollen Gefühl, "drei Tage lang einen Muskelkater zu haben". Und Anna-Lena, 21 Jahre aus Dachau, sagt: "Es macht einfach Spaß, sich rumzuschwingen." Anna-Lena hat wie einige andere Frauen aus dem Kurs vorher in der Ballettschule Marie Taglioni getanzt - als Schülerin von - richtig - Janine Hollung. Deren Tanzkarriere hat nämlich in der Ballettschule ihres Stiefvaters begonnen. Von klein auf übte sie dort Ballett, später wurde sie zu einer ausgebildeten Lehrerin. Trotzdem bezeichnet sie den klassischen Tanz nicht als ihre Leidenschaft. "Ballett ist Arbeit", sagt sie.

Als Hollung schließlich eines Nachts mit einigen Freunden ein Münchner Nachtlokal besuchte, war sie von der tänzerischen Darbietung der leicht bekleideten Frauen schwer enttäuscht. Sie ging zu einem Kurs und versuchte es selber. Und siehe da, sieben Monate später hatte sie bereits den Trainerschein. Eine steile Karriere, die ihr nun sogar ein eigenes Studio beschert hat. Das betreibt Janine Hollung nun hauptberuflich. Auf Innenarchitektur, die sie studiert hat, habe sie keine Lust mehr, sagt sie. Lieber möchte sie tanzen - oder besser gesagt: Tanzen beibringen.

Mit ihren Schülerinnen studiert sie Choreografien ein, die sie aus einem Repertoire von mehr als 100 verschiedenen Tricks und Figuren zusammensetzt. Gefragt sind Körperspannung, Kraft, Beweglichkeit, Dehnbarkeit. "Und", wie Janine Hollung nicht zu sagen vergisst, "Fleiß, Ehrgeiz und Schmerzunempfindlichkeit." Denn gerade am Anfang, wenn Haut und Bindegewebe noch nicht an den Druck durch die Stange gewohnt sind, gebe es viele blaue Flecken und teilweise auch Verbrennungen. "Rutscht man langsam, zieht's. Rutscht man schnell, wird's heiß", erklärt Hollung und lacht. Und die 32-Jährige lacht oft. Auch bei der Frage, ob sie denn eine eigene Stange zu Hause habe. "Nein", sagt sie, "und ich gebe meinem Freund auch keine Privatvorführungen."

© SZ vom 30.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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