Dachau:Ein Stück Heimat geht verloren

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Die Metzgerei Gasteiger in der Altstadt schließt nach 55 Jahren. Die Kunden sind sehr traurig darüber

Von Benjamin Emonts, Dachau

Jeden Dienstag, 11.45 Uhr. In der Metzgerei Gasteiger bildet sich eine lange Schlange. Hinter der Theke wuseln aufgeregt fünf Damen. Rentner tragen Körbe mit Kochtöpfen mit sich. Menschen mit Anzug und Krawatte halten einen Tratsch. Ein kleiner Bub isst genüsslich seine Gelbwurst. Und Hausfrauen lesen ihre Fleischeinkäufe vom Zettel. Das alles ist aber nur gemütliches Beiwerk. In Wirklichkeit geht es um den Schweinsbraten. Wo sonst, als beim Gasteiger, bekommt man seit Jahrzehnten schneeballgroße, goldgelbe Kartoffelknödel, eine Bratensauce wie aus der Wirtschaft und zwei Scheiben Schweinsbraten, so resch und saftig, wie man ihn sich nur wünschen kann. So war es eben, dienstags beim Gasteiger.

Doch damit ist nun ein für alle Mal Schluss. Die Metzgerei in der Dachauer Altstadt muss am 27. März aus familiären und gesundheitlichen Gründen schließen. Damit endet eine seit 1962 währende Ära. Metzgermeister Johann Gasteiger hatte das Geschäft damals mit seinem Vater eröffnet, der zwei Jahre später bei einem Unfall auf dem Weg zum Vieheinkauf starb. Die Geschichte der Metzgerei aber ging weiter, und zwar ziemlich erfolgreich, wovon der goldene Meisterbrief an der braun gekachelten Wand im Geschäft zeugt. Die Handwerkskammer für München und Bayern hatte Gasteiger für ein erfolgreiches berufliches Leben ausgezeichnet - seit 46 Jahren führte er damals das Unternehmen.

Für viele Dachauer bedeutete die Metzgerei nicht nur hervorragende Bratensülze und Leberkäs - sie war ein Stück Heimat. Kommunalpolitiker, Angestellte aus der Altstadt, Hausfrauen, Rentner, Jugendliche und häufig auch Auswärtige gaben sich hier die Klinke in die Hand. Trotz langer Schlangen war der Gasteiger ein heimeliger Ort des gesellschaftlichen Lebens. Anna Fritz, die seit 1979 Stammkundin ist, verdrückt am Mittwochnachmittag einige Tränen. "Eine Katastrophe", sagt sie. "Im Gasteiger war immer eine besonders persönliche Atmosphäre. Man konnte Neuigkeiten austauschen - ein kleiner Tratsch ging eigentlich immer."

Die Entscheidung, den Laden zu schließen, fiel vor zwei Wochen. Gasteiger senior ist mit 79 Jahren nicht mehr der Jüngste. Ausschlaggebend war aber, dass Sohn und Metzgermeister Hans-Peter "krankheitsbedingt länger ausfällt", wie Chefin Maria Gasteiger erzählt. Sie stand mehr als vier Jahrzehnte an der Theke der Metzgerei und sprach fast alle ihre Kunden mit Nachnamen an. "Ich bin jeden Morgen frisch motiviert in die Arbeit gegangen" sagt sie. "Es ist schrecklich. Ich fühle mich schlecht, wenn ich nicht mehr arbeiten kann." Die meisten Kunden haben schon erfahren, dass ihr Metzger bald schließt. Die Stimmung ist anders als sonst. Einige kaufen nun auf Vorrat ein, wie eine Frau, die 24 Bratwürste einfrieren will. Das wohlige Gefühl, wenn man den Gasteiger betritt, kann sie aber nicht mitkaufen. Die Dachauer haben wirklich ein Stück Heimat verloren.

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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