Dachau:Die kleinen Demokraten

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Er sei gerne zur Schule gegangen, behauptet Oberbürgermeister Florian Hartmann auf Nachfrage der Grundschüler der 4a aus Dachau Süd. (Foto: Toni Heigl)

Grundschule Dachau-Süd zu Besuch bei OB Florian Hartmann

Von Anca Miruna Dunga, Dachau

Es ist kurz nach halb elf im Dachauer Rathaus, und die Gemüter sind erhitzt. Doch statt der Damen und Herren des Stadtrates rutschen 24 Neun- und Zehnjährige unruhig in den cognacfarbenen Ledersitzen des großen Sitzungssaals hin und her und debattieren über die Frage: Sollen Hausaufgaben abgeschafft werden oder nicht? "Hausaufgaben stehlen mir Zeit, um mit meinen Kumpels zu spielen! Ich bin für die Abschaffung", sagt Georg. "Ich gebe dir recht," erwidert Zoé. "Aber Lernen ist mindestens genauso wichtig wie Spielen!" Florian findet Hausaufgaben prima: "Ich bin dafür, dass es noch mehr auf gibt, da kann man auch mehr lernen!" Auf breite Unterstützung stößt sein Vorschlag erwartungsgemäß nicht gerade.

"Demokratie zum Anfassen" steht an diesem verregneten Freitagmorgen auf dem Stundenplan der Klasse 4a der Grundschule Dachau-Süd. In Begleitung ihrer Klassenlehrerin Luisa Ehnes dürfen die Kinder den seit Wochen erlernten Stoff im Heimat- und Sachunterricht nun mal in der Praxis erleben: Welche Aufgaben hat das Standesamt, warum tagt der Stadtrat und bis zu welcher Summe darf der Bürgermeister Entscheidungen alleine treffen?

Es ist ein herzlicher Empfang im Rathaus, Hausmeister Rainer Seuß hat sichtlich Spaß, die Klasse durch das große Haus mit den vielen Treppen zu führen. Die Mädchen und Buben merken schnell: Hier sind sie und ihre Fragen willkommen. Dann betritt Bürgermeister Florian Hartmann (SPD) den alten Sitzungssaal mit der imposanten Holzdecke. Im typischen Sprechchor mit "Gu-ten Mor-gen, Herr Hart-mann!" begrüßen 24 Kindermünder den 30-Jährigen. Hartmann lächelt. Bei Orangensaft, Sprudelwasser und Butterbrezen dürfen die Grundschüler "den Chef" löchern. Ob er sich gern an seine Kindheit erinnere, will Henry wissen. Oh ja, vor allem die Schule habe er gemocht, weil er gern gelernt habe. Wie viel er in der Woche denn so arbeite, fragt Victoria. Alles in einem etwa 80 Stunden, sagt er, aber genau nachgezählt habe er nie. Großes Gelächter bei der Frage über welchen Antrag er in seiner letzten Sitzung entscheiden hat müssen: Soll man beim nächsten Volksfest Bier auch in 0,33- oder 0,5-Liter-Gläsern ausschenken? Seltsam, worüber sich Erwachsene so den Kopf zerbrechen.

Was auffällt: Die Mädchen interessieren sich mehr für den Bürgermeister privat. Ob es auch mal schwierig sei, der jüngste Bürgermeister Deutschlands zu sein, will die Klassenjüngste wissen. Hartmann sagt, darüber denke er nicht groß nach. Die Buben interessieren sich eher für Zahlen, etwa für die Kosten des neuen Pausenhofs in Dachau-Süd: Eine Million Euro habe der gekostet. Ein Raunen geht durch den Sitzungssaal. Und die Baukosten des neuen Schwimmbads sind gerade auf etwa 18,5 Millionen Euro geschätzt worden. Wenn man in Mathematik gerade einmal bis Zehntausend rechnet, sind solche Dimensionen zum Staunen. Eine Dreiviertelstunde nimmt sich Hartmann Zeit für die Viertklässler, dann muss er weiter. Zum Schluss wünscht er den Kindern, dass die eine oder der andere vielleicht auch einmal die Chance ergreife, die Stadt zu regieren.

9.55 Uhr: Abstecher zum Standesamt. Im Trauungssaal dürfen die Kinder Probe sitzen, die Stühle jedoch nicht verrutschen, denn nur eine knappe halbe Stunde später lässt sich das erste von vier Paaren trauen. Ganz nebenbei erfahren die Kinder die Geschichte vom armen Mann, der im alten Stadtwappen von Dachau von der Schlange verschlungen wird. Der Hausmeister erzählt, wie man sich 1969 per Beschluss im Stadtrat entschieden habe, den Mann aus dem Maul der Schlange im Wappen zu entfernen. Dass diese Entscheidung mit Dachaus dunkler Vergangenheit zusammenhängt, werden die Viertklässler erst in den kommenden Jahren lernen. Vorerst schnappt für sie die Schlange einfach nur ins Leere, die Mädchen finden es prima, einige der Jungs eher langweilig. Dafür wird das in Leder gebundene Geburtenregister von 1886 allgemein bestaunt, die Schrift versucht zu entziffern, herrlich altmodische Namen tauchen auf. Zum Schluss überrascht die nette Standesbeamtin die Kinder mit einer Liste aller Geburtsdaten der Klasse 4a, inklusive Uhrzeit.

Inzwischen ist es kurz vor elf, im neuen Sitzungssaal sind alle Wortmeldungen vernommen, der Tagesordnungspunkt "Hausaufgaben abschaffen" abstimmungsreif. Kinderbürgermeisterin Johanna ermahnt ihre kleinen Stadträte zur Ruhe. Wer sei gegen eine Abschaffung: Sechs Hände gehen hoch. Und wer dafür? Das Ergebnis fällt eindeutig aus. Mit 18 Ja-Stimmen werden die unbeliebten Hausaufgaben abgeschafft, zumindest für heute. Demokratie kann so einfach sein, wenn man in der vierten Klasse ist.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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