Dachau:Der weite Weg ins Himmelreich

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Seit Jahren fordern die Bewohner des Stadtteils in Dachau-Süd eine eigene Buslinie. Dort gibt es nur einen Bäcker und einen Metzger. Alte Menschen müssen ihre Einkäufe eine halbe Stunde und länger zu Fuß schleppen.

Helmut Zeller

Einsamer Busstopp: Die Linie 791 verbindet den Stadtteil Himmelreich mit dem S-Bahnhof. Aber der Bus fährt nur zweimal am Tag, am frühen Morgen und am Mittag. Allenfalls Schüler können ihn benutzen, die anderen Bewohner des Viertels müssen teilweise bis zu 30 Minuten lang zu einer Haltestelle marschieren. (Foto: © joergensen.com)

Manfred Schendzielorz schätzt seine Wohnlage schon sehr, sie zählt ja auch zu den schönsten in Dachau. Vor seiner Haustür hat er Wälder, Streuobstwiesen, einen See - der Stadtteil in Dachau-Süd trägt nicht ganz zu Unrecht den Namen "Himmelreich". Wirklich zufrieden sind er und andere Bewohner aber nicht. Denn außer Natur gibt's nichts im Himmelreich: Gerade mal ein Metzger und ein Bäcker mit Getränkemarkt versorgen die Bewohner. Und das Viertel ist völlig abgeschnitten: Es gibt keine direkte Busverbindung. Wenn Schendzielorz von der Adolf-Hölzel-Straße bis zur nächsten Bushaltestelle in der Schillerstraße will, geht er 25 Minuten, bis zum S-Bahnhof sind es mehr als 30 Minuten. Aber der 56-jährige frühere Beamte fährt natürlich mit dem Fahrrad oder Auto. Doch das können nicht alle: Alte Menschen müssen den endlos langen Himmelreichweg bis zum Anfang gehen, um sich beim Bäcker Frühstückssemmeln zu holen. Oder sie schleppen Einkaufstüten von den Läden der Münchner Straße zurück, die günstigeren Supermärkte in Dachau-Ost sind ohnehin so gut wie unerreichbar. Das, sagt Manfred Schendzielorz, sei doch unzumutbar.

Doch das geht schon seit 50 Jahren so. Eine Busverbindung mahnten die Himmelreicher denn auch in fast jeder Bürgerversammlung an - bis vor zwei Jahren. Seitdem schweigen sie resigniert. Manfred Schendzielorz erinnert sich noch gut daran, dass vor 50 Jahren schon über eine Buslinie für den Stadtteil in Dachau-Süd gesprochen wurde. Damals war er sechs, wohnte mit seinen Eltern in der Feldgedingerstraße und ging zur Grund- und Hauptschule Dachau-Süd an der Eduard-Ziegler-Straße zu Fuß. Ein Bus fährt schon: Der 791 von der Wilhelm-Dürr-Straße zum S-Bahnhof - um 7.11 Uhr und um 7.48 Uhr zum S-Bahnhof ab und zurück um 12.26 Uhr und 13.06 Uhr. Aber das ist doch ein Witz, wie Schendzielorz sagt. Für wen sind diese Fahrzeiten sinnvoll, außer für Schüler? "Ältere Menschen, die kein Auto haben und auch nicht mehr mit dem Fahrrad fahren können, haben massive Probleme ihre Einkäufe nach Hause zu bringen", erklärt er. Das gilt vor allem für diejenigen, die weit draußen in Richtung Neuhimmelreich wohnen. Sie müssen gewaltige Entfernungen zurücklegen, um zu den zwei Bushaltestellen in der Schillerstraße (720 und 722) und der Hermann-Stockmann-Straße (724) zu gelangen. Manfred Schendzielorz erwägt eine Unterschriftensammlung, vielleicht sogar ein Bürgerbegehren. An Unterstützung dürfte es nicht fehlen. Schade, dass der frühere Bundespräsident Roman Herzog nicht mehr am Aschenbachweg wohnt. Vielleicht hätte er das Anliegen unterstützt. Aber zunächst wartet Schendzielorz die Antwort des Landratsamtes auf seinen Beschwerdebrief ab. Doch die wird ihn eher enttäuschen: Albert Herbst, zuständiger Sachgebietsleiter im Landratsamt Dachau, würde zwar gerne helfen. Aber er kann nicht. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) sei immer ein Zuschussgeschäft, sagt Herbst. Aber das Betriebskostendefizit einer eigenen Buslinie für Himmelreich sei nicht hinnehmbar. Die Nachfrage ist in dem Viertel mit seinem hohen Motorisierungsgrad und wenig dichten Bebauung zu gering. 3200 Einwohner zählt Himmelreich zwischen Schillerstraße, Gröbenrieder Straße und Aschenbach.

Es ist nicht so, dass sich die Behörde bisher keine Gedanken gemacht hätte. Wie im Stadtteil Etzenhausen, der in einer vergleichbaren Situation ist, gibt es seit 1997 rund um die Uhr das günstige Anruf-Sammel-Taxi. Zwar klagen Bürger darüber, dass das Angebot unzuverlässig sei. Herbst sieht das aber anders: "Nach Anlaufproblemen läuft das jetzt rund." Für Manfred Schendzielorz ist das nicht die Kernfrage. In Dachau-Süd und Himmelreich liegen ein Naherholungsgebiet der Stadt, das Kunsteisstadion und der ASV. Erreichbar sind diese Einrichtungen aber nur mit dem Auto. Entweder kommt, wie Schendzielorz meint, mehr Einzelhandel in das Viertel oder eine eigene Buslinie. Für Einzelhandelsansiedelungen ist die Stadt aber nicht zuständig, wie Hauptamtsleiter Günther Domcke sagt. Eine Chance sieht er dennoch, wenn der 13 Hektar großen Acker am Himmelreichweg einmal bebaut würde. Zuletzt scheiterten vor zehn Jahren konkrete Pläne am Widerstand einiger Eigentümer. Doch jetzt sind sich die Besitzer offenbar einig und wollen das Gebiet zu Bauland entwickeln. Den Bauausschuss des Stadtrats haben sie schon auf ihrer Seite. Dann könnten sich dort Geschäfte ansiedeln. Wird die Baulücke geschlossen, meint Albert Ernst, könnte vielleicht der Gedanke einer eigenen Buslinie für Himmelreich wieder aufgegriffen werden.

Doch die Himmelreicher haben noch gut in Erinnerung, dass schon etwas geht, wenn man politisch nur will. Die ÜB setzte vor zwei Jahren eine Testphase für einen Bus an Sonntagen nach Dachau-Süd durch, den die Bewohner gefordert hatten. Auch damals hieß es, der Bedarf sei zu gering. Der 724 fährt heute regelmäßig an Sonn- und Feiertagen, zunächst noch im Probebetrieb bis 2014. Schendzielorz verweist auch auf den Citybus 719 vom Bahnhof in die Altstadt. Das aber ist ein Zusatzangebot der Stadt, wie Ernst erklärt. Nur, seine Sache ist das ohnehin nicht mehr. Im Dezember übernimmt die Stadt als Aufgabenträger den Busverkehr. Dann entscheiden Stadtwerke und Stadtrat, welche Linien sie wo einsetzen. Eigentlich, so Herbst, wäre da jetzt schon die Stadt gefragt - "in so weiter Ferne liegt der Dezember nicht". Aber die Stadtwerke wollten dazu nichts sagen und verwiesen auf das Landratsamt. Das klingt gar nicht gut.

© SZ vom 01.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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