Dachau:Der Auftrag

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SZ Grafik (Foto: N/A)

Landrat Löwl muss jede Woche 20 Asylbewerber unterbringen. Er wirbt um Verständnis für das Elend, vertritt aber gleichzeitig die CSU-Linie, die zwischen guten und schlechten Flüchtlingen unterscheidet

Von Helmut Zeller, Dachau

In Petershausen läuft es für Landrat Stefan Löwl (CSU) glatt. Das hat er auch nicht anders erwartet. 75 Asylbewerber werden Mitte Juli in der 6000 Einwohner großen Gemeinde eintreffen, einen Monat früher und mehr als geplant war. Besorgte Bürger kann Löwl, wie er sagt, auf seiner Tour durch die Gemeinden meistens beruhigen. In Petershausen muss er sich nicht besonders anstrengen: Unter den 80 Menschen in der Schulaula macht sich fast schon freudige Erwartung breit. Einige wollen gleich über den Inhalt der Begrüßungskörbe sprechen. "Lassen Sie die Menschen erst einmal ankommen", sagt Bürgermeister Marcel Fath (Freie Wähler). Als eine Lehrerin klagt, wer aus ihrem Kollegium denn noch Zeit für den Deutschunterricht haben solle, ruft eine ältere Frau dazwischen: "Das übernehme ich." Fath beschwört am Ende den Gemeinschaftsgeist: "Lassen Sie es uns anpacken. Wir machen es besser als die große Politik." Donnernder Applaus. Löwl und Fath strahlen. Ein kräftiger Händedruck. Fast sieht es aus, als wollten sie sich umarmen.

Alles wird gut. In den Gemeinden, in denen Flüchtlinge untergebracht sind, haben sich spontan Helferkreise gebildet. Vor 15 oder 20 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Asylbewerber stießen im Landkreis auf feindselige Ablehnung. Das gibt es in einzelnen Fällen heute noch. Auch in Petershausen. Gemeinderat Josef Wittl (FW) sagt nach der Veranstaltung: "Die waren heute aber nicht hier." Im Dachauer Stadtteil Mitterndorf protestieren Anlieger der ehemaligen Griechischen Schule gegen eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Areal. "Pegida"? Nein, sagt Wittl. So etwas hält er in seiner Gemeinde, im ganzen Landkreis nicht für möglich. Auf der Heimfahrt von Petershausen spricht Löwl von seiner großen Angst. Er nennt das auch so. Was ist, wenn etwas passiere, was ja Gott sei dank noch nicht passiert sei, sagt er und klopft dreimal auf die Holzverschalung an der Wagentür. Eine Straftat eines Flüchtlings, befürchtet er, könnte unterschwelligen Ressentiments in der Bevölkerung Auftrieb geben.

Im Jahr 2012 registrierte das Innenministerium zwei rechtsextreme Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Freistaat. 2013 waren es 13, ein Jahr später bereits 25. Januar 2014 brannte ein Asylbewerberheim in Germering. Übergriffe und Attacken ereignen sich in einem gesellschaftlichen Milieu, über das die "Mitte-Studie" der Universität Leipzig sagt: 33,1 Prozent der Bayern stimmten ausländerfeindlichen Thesen zu. Und Politiker der CSU zündeln mit populistischen Parolen wie "Wer betrügt, der fliegt". Überhaupt hat die Flüchtlingspolitik schizophrene Züge. Einerseits wirbt der Landrat um Verständnis: "Glauben Sie mir, und wenn nur einer Danke sagt, das gibt Ihnen etwas. Das sind gute Menschen." Daran zweifeln viele Bürger jedoch nicht - erschüttert von den Fernsehbildern der Toten im Mittelmeer wollen sie helfen.

Andererseits rechnet ein Staatsminister, Markus Söder, den Menschen vor, was der Freistaat für die zwei Milliarden Euro Flüchtlingsausgaben alles an Lehrern oder Kindergärtnerinnen hätte einstellen können. An der subtilen Hetze seines Parteifreundes nimmt Löwl jedoch keinen Anstoß. Er verfolgt seinen Auftrag: Unterbringung der Flüchtlinge. Jede Woche schickt die Bezirksregierung 20 Asylbewerber in den Landkreis, bis Jahresende sollen 1400 hier leben; die Zahl wird ständig nach oben korrigiert. Löwl ist Major der Reserve und so tritt er auf: energisch und stramm. Und sehr selbstbewusst. Im März 2014 wurde der 41-jährige Jurist gewählt, mit einem knappen Vorsprung vor dem SPD-Kandidaten Martin Güll. Er ist überall, 16 Abendtermine in Folge sind keine Seltenheit, sucht bei jedem Thema den Dialog mit den Bürgern, half beim Aufstellen von elf Maibäumen und bei drei Maibaumwachen.

In den Landkreisen Fürstenfeldbruck oder Bad Tölz stellen sich Bürgermeister gegen ihren Landrat. Löwl legt der Zuteilung den Königsteiner Schlüssel zugrunde, nach dem die Asylbewerber auf die Bundesländer verteilt werden. Der hat aber für Gemeinden keine bindende Wirkung. Doch Löwl hat die Bürgermeister der 17 Kommunen auf seine Seite gebracht. Bis Jahresende werden in allen Gemeinden Asylsuchende untergebracht. Bayern nimmt 15 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland auf; das sind 117 100 Menschen. In Oberbayern sind es 39 700 und davon 3,1 Prozent im Landkreis Dachau. Eine eigentlich lächerlich geringe Zahl.

Die Flüchtlingspolitik setzt in ganz Europa auf Abwehr. Sie nimmt durch unterlassene Hilfe Tausende von Toten im Mittelmeer in Kauf. Der Abschottung dient auch die Unterscheidung in Kriegs- und Armutsflüchtlinge. Als ob für Menschen, die vor dem Hungertod fliehen, nicht die allgemeinen Menschenrechte gelten würden. Zwei Drittel der Flüchtlinge hat keine Chance auf Asyl und wird abgeschoben. Schauen Sie also, rät Löwl in Petershausen, in wen Sie investieren. Jeder Flüchtling habe "einen supertollen Grund, aber nicht jeder einen Asylgrund". So sei das Gesetz, sagt der Jurist. "Wir können nur denen helfen, die ein Recht auf Asyl haben." Die anderen, die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge, sind eine Frage der Einwanderungsregelung. Darüber müsse man separat diskutieren, welche Leute Deutschland brauchen könne, sagt Löwl. Diese Kosten-Nutzen-Analyse klingt für einen Eucharistiehelfer seltsam, der von sich sagt, er habe in der katholischen Kirche "einen wichtigen Anker für mein persönliches Wertesystem" gefunden.

Es ist nicht so, dass Landrat Löwl kein Mitgefühl hätte. Im Gegenteil. Er kritisiert sogar die deutsche Entwicklungspolitik, auch die Haltung Deutschlands, das viele Jahre lang das Problem auf die Mittelmeeranrainer-Staaten abgewälzt hat - und in seiner Amtspraxis verfolgt er dann die Parteilinie. Das geht nicht ganz ohne Erschütterungen ab. Löwl erzählt schon zum zweiten Mal die Geschichte der Roma-Familie, die in den Kosovo abgeschoben wurde. Die Eltern sagten ihm, dann würden in dem Land, in dem es absolut keine Arbeit für Roma gibt, ihre Töchter sich prostituieren müssen. "Um Himmels willen. Ich bin doch auch Familienvater", sagt Löwl, "aber was kann ich tun?" Seinen Ermessensspielraum nutzen? Habe er nicht. Er könne allenfalls eine Abschiebung hinauszögern, sagt der Landrat.

Die CSU-Staatsregierung leidet, sagt der bayerische Flüchtlingsrat, unter einer "Balkan-Phobie". Flüchtlinge aus Serbien, Bosnien, Mazedonien, Albanien und dem Kosovo sollen durch ein Arbeitsverbot abgeschreckt werden. Ein entsprechender Erlass aus dem Innenministerium trifft auch diejenigen, die eine Beschäftigungserlaubnis haben und eigenes Geld verdienen. Dieser Erlass stieß im Landkreis bei den Helferkreisen auf vehemente Kritik, zumal der Landrat es ihnen überließ, die betroffenen Flüchtlinge darüber zu informieren. Die Mehrzahl der Flüchtlinge vom Balkan sind Roma, die heute zu der am meisten verfolgten Minderheit in Europa zählen, also nach der Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht auf Asyl haben. Gerade in Dachau: Eben lauschen CSU-Kommunalpolitiker in der evangelischen Versöhnungskirche Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, der die anhaltende Diskriminierung seines Volkes anprangert. Mehr als eine halbe Million Menschen fiel dem Genozid zum Opfer, Tausende litten im Konzentrationslager Dachau. Einen Tag später exekutiert man die Order aus München. "In gewisser Weise entstand in den Lagern der Nazis zum ersten Mal so etwas wie ein europäischer Geist", schrieb der Buchenwald-Überlebende Jorge Semprún. Es war eine schöne Idee von Europa als Garant der Menschenrechte - die Flüchtlingspolitik verfolgt andere Ziele.

Darüber entsteht offenbar unter Helfern Streit. Zum Beispiel der Arbeitskreis Asyl (AK), der sich schon seit den Achtzigerjahren um Flüchtlinge in Dachau kümmert - lange Zeit nur mit politischer Hilfe der SPD. Heute aber ist der AK dem Landratsamt willkommen. Ohne Ehrenamtliche kann die wachsende Zahl von Asylbewerbern nicht betreut werden. Einzelne Mitglieder beklagen jedoch eine Entpolitisierung des AK unter dem Einfluss der CSU. "Die Stimmung ist nicht gut", sagt die Kassenverwalterin Heidemarie Bartmann, die nicht mehr mitmachen will. Eine Mediation soll jetzt helfen. Wer der Filmemacherin Jutta Neupert im April auf dem Stationenweg zum Todesmarsch-Gedenken genau zuhörte, wundert sich nicht darüber, dass dicke Luft herrscht. "Ich spreche nicht für den AK, weil der keine homogene, sondern eine heterogene Arbeitsgruppe ist."

Landrat Löwl soll das gar nicht gefallen haben. Auch als eine Frau in Petershausen mehr Aufklärung der Flüchtlinge über ihre Rechte fordert, wiegelt Löwl ab. Das sei nicht Aufgabe seiner Behörde. Sein Auftrag ist eben ein anderer: Ruhe schaffen. Was wird das aus dem jungen Kommunalpolitiker machen? "Das muss ein Ende haben", sagt Löwl - er meint schon auch die zynische Flüchtlingspolitik, vor allem aber die Migration in den Landkreis.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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