Dachau:Der ahnungslose Kronzeuge

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Ein Mann verpetzt seinen Cousin, der Spielautomaten geknackt haben soll. Vor Gericht kann er sich an nichts mehr erinnern

Von Benjamin Emonts, Dachau

Gerichtsverhandlungen mit Fernseh-Richterin Barbara Salesch oder ihrem Pendant Alexander Hold haben normalerweise mit einem tatsächlichen Prozessverlauf wenig gemeinsam. Aber manchmal holt die Realität das Fernsehen tatsächlich ein. Und dann kommt eine Art Entertainment heraus, das ähnlich abstrus ist wie das der TV-Sendungen. Vor dem Amtsgericht Dachau gab es jetzt einen Prozess zu bestaunen mit einem wutentbrannten Richter, einem Zeugen, der sich dümmer stellte, als es bekanntlich die Polizei erlaubt, und einem Fall, der an Kuriosität den TV-Prozessen in nichts nachstand.

Laut Anklage schien eigentlich alles ganz klar: Ein 25-jähriger Karlsfelder aus dem Irak, ein leidenschaftlicher Zocker, hatte sich im Mai 2014 angeblich im Klo einer Dachauer Kneipe einsperren lassen und anschließend zwei Spielautomaten aufgebrochen. Er ergaunerte dabei einen beachtlichen Gewinn von 2000 Euro und verursachte nebenbei noch einen Sachschaden von weiteren 6000 Euro. Diebstahl und Sachbeschädigung lauteten folgerichtig die beiden Anklagepunkte gegen den mutmaßlichen Täter, der von alledem aber nichts wissen wollte: "Stimmt überhaupt nicht. Kann gar nicht sein."

Die Polizei jedoch stellte unmittelbar nach dem Einbruch eine Wasserflasche, eine geöffnete Keks-Tüte und zwei Zangen am Boden zwischen den aufgebrochenen Automaten sicher, inklusive brauchbarer DNA-Spuren. Wer auch immer der Täter war - er hat sich tatsächlich noch eine gemütliche Brotzeit während des Einbruchs gegönnt und sich nicht die Mühe gemacht, seinen Müll wegzuräumen.

Trotzdem verlief die Suche nach dem Einbrecher ein Jahr lang ergebnislos, bis die Ermittler der Anruf des Cousins des mutmaßlichen Täters erreichte. Der Mann schilderte den Ermittlern wortreich, was ihm der Angeklagte ein Jahr zuvor über den Einbruch erzählt hatte. Demnach versteckte sich der Mann in der Toilette, trank noch eine Cola und eine Fanta, um dann in aller Ruhe das Geld aus den Automaten zu holen und gegen ein Uhr nachts wieder zu verschwinden. Das polizeiliche Protokoll war eineinhalb Seiten stark, so gesprächig war der Cousin.

Umso fassungsloser war nun das Gericht über dessen Auftritt bei dem Prozess. Denn der Vetter, der Kronzeuge in dem Fall, stellte sich unvermittelt als ahnungslos hin und sagte in durchaus verständlichem Deutsch über den Angeklagten: "Ich weiß nicht, was er mir erzählt hat. Ich habe nichts gesehen." Dann aber sagte er plötzlich: "Ich kann nicht gut Deutsch, ich brauche einen Dolmetscher."

Er stammt wie der Angeklagte aus dem Irak. Dem Vorsitzenden Richter Christian Calame platzte der Kragen. "Ich bin doch nicht doof. Strengen Sie ihr Gehirn an, sonst sind Sie der Nächste, der hier auf der Anklagebank sitzt. Aus dieser Nummer kommen Sie so nicht raus", ermahnte er den Zeugen durchaus lautstark. Der 30-jährige Dachauer setzte sein Schauspiel jedoch in bester TV-Manier fort und forderte immer wieder einen Dolmetscher. Bis der entnervte Richter ins Protokoll diktierte: "Der Zeuge wird wegen Sprachproblemen entlassen."

Der 25-jährige Angeklagte, der freiwillig eine Speichelprobe abgab, nachdem ihn sein Cousin verpetzt hatte, gab von Beginn an das Unschuldslamm. Er sei in der Kneipe monatelang Stammgast gewesen und habe täglich einen Kaffee getrunken und zehn Euro in den Automaten gemünzt. Mit seinem Cousin habe er einen fiesen Streit gehabt. Dessen Partnerin, die angeblich bei der Staatsanwaltschaft in München arbeitet, habe dem Cousin eine Anzeige empfohlen, um ihn endgültig aus dem Weg zu schaffen. Und so soll es dann auch geschehen sein. Dass seine DNA-Probe mit jener der Wasserflasche am Tatort übereinstimmte, erklärte er sich damit, dass er Stammkunde in dem Lokal war. Schließlich stellte er das Gutachten der Expertin vom Landeskriminalamt ganz in Frage. "Kann es nicht sein, dass zwei Menschen die gleiche DNA haben?", fragte er. Die Antwort der Gutachterin: "Die Chance liegt bei eins zu 6,8 Trilliarden." Die Verhandlung wird am Dienstag, 10. Mai, fortgesetzt. Mit einem Dolmetscher.

© SZ vom 06.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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