Dachau:Das ganz andere Schlosskonzert

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Gilles Apap und ein ungewöhnlicher Auftritt im Schloss. (Foto: Toni Heigl)

Wie Gilles Apap und Miska Daric Partituren von Ravel oder Enescu in ihre freie musikalische Gestaltung einbinden

Von Karl Adolf Gottwald, Dachau

Ausgesprochen locker treten der in Algerien geborene amerikanische Geiger Gilles Apap und Misha Dacic, sein aus dem ehemaligen Jugoslawien stammender Begleiter am Klavier, beim ersten Dachauer Schlosskonzert nach langer Sommerpause auf, sehr leger gekleidet und ebenso leger musizierend. Als die ersten Töne erklingen, ist das Publikum nicht sicher: Gilt das schon als Konzert? Oder spielen sich die beiden erst warm?

Nach der Programmvorlage sollte die Komposition "Pièce en forme de Habanera" von Maurice Ravel den Abend eröffnen. Allerdings präludiert Misha Dacic ein Vorspiel in Form der Freien Musik, bis darin die ersten Töne der Habanera von Ravel auftauchten. Daran anschließend spielen Gilles Apap auf der Geige und Misha Dacic am Flügel Ravels Stück sehr virtuos, aber auch sehr frei interpretierend. Ravels Stück ist zwar eindeutig zu erkennen, aber in einer derartig freien Interpretation hat man es im Schloss noch nicht gehört.

Nun war im Programmheft zu lesen, dass Yehudi Menuhin mit Gilles Apap befreundet war und ihn den "exemplarischen Geiger des 21. Jahrhunderts" nannte. Exemplarisch, man kann auch sagen völlig neu ist tatsächlich Apaps Umgang mit der jeweiligen Partitur. Bei anderen Solisten bleibt sie selbst in den freiesten Interpretation unangetastet. Diese Grenze überschreitet der Geiger mit seinem Partner. Sie entwickeln auf der Grundlage einer Komposition ihre ganz eigene Musik.

Wie bei Ravels 1923 bis 1927 geschriebener Sonate für Violine und Klavier. Ravel hat darin als zweiten Satz einen Blues geschrieben, der erste, der in der Kunstmusik auftaucht, wie Gilles Apap in seiner lockeren, in Englisch gehaltenen Moderation betonte. Diese Sonate kennt man auch in Dachau recht gut, zuletzt stand sie im Januar dieses Jahres auf dem Programm der Schlosskonzerte. Freilich, mit der klassischen Art, wie Mirjam Contzen und ihr Klavierbegleiter Tobias Bredohl dieses Stück im Januar aufführten, war die Interpretation von Apap und Dacic nicht zu vergleichen.

Der erste Satz der Sonate verlief noch weitgehend notengetreu, aber dann setzte Gilles Apap zu einer ausgedehnten Blues-Improvisation an, die zwar die dem Blues von Ravel zugrunde liegenden Ideen aufgriff, aber weiter darüber hinaus in extreme Virtuosität und Klangexzesse vorstieß. Bei der Interpretation des Blues in Ravels Violinsonate scheiden sich die Geister. Manche Geiger betonen mehr den Blues, andere halten es lieber mit der feinsinnig eleganten Art von Ravel. Bei Gilles Apap und Misha Dacic war trotz der richtig gespielten Noten nichts mehr von Ravels Eleganz zu spüren. Der letzte Satz, ein Perpetuum mobile im Allegro, war jetzt ein schier atemberaubender Hochleistungsakt.

Eigentlich eröffnet "Siete canciones populares españolas" von Manuel de Falla in dessen eigener Bearbeitung für Violine und Klavier eröffnet keinen großen Spielraum: Die Melodien der spanischen Volkslieder sind klar, die Klavierbegleitung ist in ihrer Art und Weise eindeutig. Doch Misha Dacic am Klavier gelang ein Kabinettstück der Improvisation. Vor jedem dieser sieben spanischen Stücke wühlte er im Blätter-und Kopiensalat auf dem Notenpult des Flügels, bis er endlich die richtigen Noten beieinander hatte und mit dem Musizieren beginnen konnte. Manche Zuhörer sahen darin eine Show, andere fanden das ausgedehnte Suchen eher peinlich. Jedenfalls ging ein Raunen durch den Saal. Alles andere aber begleitete Misha Dacic auswendig, und das ist eine schier unglaubliche Leistung des virtuosen Zusammenspiels.

Nach der Pause betrat Gilles Apap auf seiner Geige sehr leise spielend den Saal allein, so wie das einst - übrigens auch in Dachau - Giora Feidman mit seiner Klarinette machte. Er wanderte vom rechten Seitengang entlang bis zur letzten Stuhlreihe, dann den Mittelgang zurück bis zum Podium. Dann erklärte er, was er auf dieser musikalischen Tour alles gespielt hatte: Rechts nach hinten Musik von Bach aus dessen Solopartita d-Moll, dann schottische Fiddle-Faddle-Music und zuletzt ein "Reel", das ist ein altenglischer Tanz, alles sehr virtuos und - das muss man betonen - Bach ganz ausgezeichnet, sauber und musikalisch. Die Sonate des rumänischen Komponisten George Enescu aus dem Jahr 1926 "in volkstümlichem rumänischen Charakter". Das ist ein großartiges, hierzulande aber kaum einmal gespieltes Stück. Gilles Apap und Misha Dacic interpretierten es in hinreißender Virtuosität, wiederum sehr frei. Mit rumänischer Volksmusik, die Gilles Apap in der Art des Stehgeigers vortrug, und Zugaben ging der Abend zu Ende.

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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