Briefmarkenverein Dachau:Geschichte in Miniaturformat

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Der Brief als Kommunikationsmittel stirbt im digitalen Zeitalter aus - und damit auch die Briefmarken. Das tut der Sammelleidenschaft von Fritz Hartmann keinen Abbruch.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Hunderte Ordner, Alben und Karteikästen türmen sich in dem Raum, den Fritz Hartmann als sein "Geheim-Kabinett" bezeichnet. Aus einem der Ordner entnimmt der 83-Jährige ein Gedenkblatt, darauf ein grüner Linolschnitt mit der Dachauer Altstadt-Silhouette. Hartmann zeigt mit dem Finger auf einen Poststempel, der sich auf dem Druck befindet. Der Stempel - auch er zeigt die Dachauer Altstadt vom Fuße des Karlsbergs betrachtet - ist auf den 9. Juni 1991 datiert. Hartmann erinnert sich, wie er an jenem Tag eine Briefmarkenausstellung im Dachauer Ludwig-Thoma-Haus organisiert hatte. "Sie war die Geburtsstunde des Dachauer Briefmarkensammlervereins."

An diesem Samstag feiert der eingetragene Verein seinen 25. Geburtstag. Der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) hat die Schirmherrschaft für das Jubiläum übernommen: Er wird im Gasthaus Drei Rosen zu den knapp 100 Vereinsmitgliedern und geladenen Ehrengästen sprechen. Gründungsvater Fritz Hartmann, der dem Verein lange vorstand, sitzt zwei Tage vor der Feier an seinem Wohnzimmertisch, blättert in seinen Alben und lässt die Geschichte des Vereins Revue passieren.

Der jetzige Vorsitzender des Briefmarkenvereins, Robert Seidel, hat Karten aus der Zeit entdeckt, in der Deutschland Kolonien in Afrika hatte. (Foto: oh)

Am Anfang, so Hartmann, sei er mit seiner Leidenschaft noch ziemlich alleine gewesen in Dachau. In München gab es bereits unzählige Vereine, in denen sich die Sammler, viele auch aus Dachau, organisierten. In der Großen Kreisstadt hatten sich nach 1945 bereits zwei Mal Sammlervereine gegründet. "Aber sie haben sich nur wenige Monate gehalten", sagt Hartmann.

Er selbst sammelte Briefmarken seit seiner Kindheit und saß als Experte in Jurys bei Briefmarkenausstellungen. Der Landesverband Bayerischer Philatelisten-Vereine, dem er bis heute angehört, regte an, Hartmann solle in Dachau einen erneuten Versuch starten. Schließlich organisierte er am 9. Juni 1991 die Ausstellung im Thoma-Haus. Das Interesse der Bürger war unerwartet groß, blickt Hartmann zurück. Und noch am selben Abend wurde der Verein gegründet, anfangs mit 13 Mitgliedern.

Ihre Zahl sollte sich schnell vervielfachen. Hartmann besuchte dazu die Dachauer Gymnasien, um seine Leidenschaft jungen Menschen nahe zu bringen. Durch sein Engagement wuchs der Verein innerhalb von nur zwei Jahren auf 50 Mitglieder. Der Bund deutscher Philatelisten überreichte dem Verein für sein rasantes Wachstum einen Wanderpokal, worauf Hartmann noch heute stolz ist.

Inzwischen sind aus den zu Spitzenzeiten 150 Mitgliedern 100 geworden. "Das ist nicht wenig dafür, dass wir kein Sportverein sind", sagt Vereinsvorsitzender Robert Seidel aus Dachau. An den Vereinsabenden, die immer am letzten Donnerstag des Monats im Gasthaus Drei Rosen stattfinden, nehmen im Schnitt 40 Personen teil. "Wer Interesse hat, ist herzlich willkommen", sagt Seidel. Nachwuchs zu finden, sei generell nicht einfach. Der Brief als Kommunikationsmittel stirbt im digitalen Zeitalter aus - und damit auch die Briefmarken. Junge Menschen, die dem Verein beitreten, werden meist von ihren Vorfahren mit der Leidenschaft infiziert. "Mittelfristig könnte es einen Nachwuchsschwund geben", schlussfolgert Seidel.

Die Geschichte Deutschlands in all ihren Widersprüchen: Fritz Hartmann sammelt Postkarten von KZ-Häftlingen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Philatelisten, so werden Briefmarkensammler bezeichnet, sammeln in erster Linie Briefmarken und postalische Belege wie Poststempel. Meist aber weiten sie ihre Suche auch auf Post- und Ansichtskarten aus. Damit einher geht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Fundstücken, die oftmals Dokumente der Zeitgeschichte darstellen. Hartmann besitzt beispielsweise einen ganzen Ordner voll mit Originalbriefen, die Häftlinge aus dem KZ Dachau an ihre Angehörigen geschickt haben. E

ine der Karten wurde von einem Häftling an seine im "Protektorat Mähren" lebende Frau adressiert. Sie ist mit dem Stempel der Poststelle "Dachau 3" versehen, die sich auf dem Lagerareal befand. Der Stempel ist auf den 23. Oktober 1941 datiert. Er entwertete eine rote Briefmarke, auf dem der Kopf von Reichskanzler Hindenburg abgebildet ist. Die Briefe der Häftlinge wurden von den Aufsehern gelesen, zensiert und anschließend mit einem Lagerstempel versehen. So auch auf dieser Karte.

Fritz Hartmann ist Gründer des Briefmarkenvereins. (Foto: Niels P. Jörgensen)

Robert Seidel, der an der Odelzhausener Realschule unter anderem Geschichte unterrichtet, sucht überwiegend nach Briefmarken aus der Zeit vor 1948. In seinem Besitz befindet sich etwa eine Postkarte aus Dar-es-Salaam. Die Stadt ist heute die größte Tansanias und Regierungssitz des Landes. Als die Karte 1899 nach Schwäbisch Gmünd verschickt wurde, gehörte der Ort zur Kolonie Deutsch-Ostafrika. "Die Karte zeigt recht schön das Interesse an der exotischen Ferne, das damals in Deutschland herrschte, aber durch Massentourismus nicht befriedigt werden konnte", erklärt Seidel.

Andere Sammler konzentrieren sich auf bestimmte Motive, etwa auf Abbildungen von Katzen oder Pferden. Besonders häufig sind Sammlungen, die einen Bezug zum eigenen Heimatort haben. Beim Dachauer Verein widmen sich fünf Mitglieder, darunter auch Hartmann, ganz gezielt Sammlerstücken aus dem Landkreis Dachau. In fünfjähriger Arbeit ist so ein ganzer Katalog über den Landkreis entstanden.

Hartmann ist ob seines voranschreitenden Alters gerade dabei, seine Sammlung an Vereinsmitglieder zu veräußern. Seine Alben werden leerer. "Ohne Verein kommt man als Sammler nicht weiter", sagt Hartmann. "Man braucht Gleichgesinnte, die einem Widerspruch und neue Ideen geben." Im Verein wird rege getauscht und diskutiert.

Wer Einblick in den Verein erhalten will, kann dessen Ausstellung im Bürgertreff am Ernst-Reuter-Platz besuchen, Samstag, 25. Juni, und Sonntag, 26. Juni jeweils von 11 bis 17 Uhr. Thema ist die Geschichte der Stadt Dachau und ihrer Post.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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