Atelierausstellungen:Wie in einem Narrenschiff

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Gigi, Gebhard Schmidl, Thomas Vesely und Florian Marschall öffnen ihre Ateliers zum Wochenende. Dort zeigen sie viele neue Arbeiten, die um die Kuriositäten des Lebens und des Alltags kreisen.

Von Bärbel Schäfer

Thomas Veselys Amperbilder sind Seelenlandschaften. (Foto: Toni Heigl)

Die Atelierausstellungen in der Kleinen Moosschwaige, dem historisch verbürgten Zentrum der ehemaligen Dachauer Künstlerkolonie, sind Tradition. Man kennt sich, man weiß, was die einzelnen Künstler dort so machen. Aber Vorsicht! Diesmal gibt es sehr viel Neues und Ungewöhnliches zu sehen. Skurriles, Surreales, Landschaften als Seelenbilder und kurios Rätselhaftes.

Erst vor kurzem hat Gebhard Schmidl den 82. Geburtstag gefeiert. Der Spruch auf der Rückseite der handgeschriebenen Einladungskarte ist ein fatalistischer Blick auf die eigene Existenz. Die Karte zeigt eine angedeutete Hafenszene mit einem verwesenden Fischkopf und burlesken Figuren, die etwas Schelmenhaftes und gleichzeitig Maliziöses und Dominantes haben: "Immer noch am Leben." Seit je her ist Schmidl der Meister der kritischen, unsentimentalen Selbstreflexion.

Die Welt ist für ihn ein Narrenschiff, sie dreht sich immer weiter, auch wenn der Untergang schon droht. Schmidl findet seine Motive im Biergarten, beim Schwammerlsuchen, auf dem Spaziergang an der Amper. Aus diesen kleinen Alltäglichkeiten entwickeln sich seine Geschichten: Die menschenleere Landschaft mit den laublosen Bäumen wird zur apokalyptischen Vorahnung, der Wald zur Folie für düstere Gedanken, der Biergarten zur Kulisse für mehr oder weniger schöne Begegnungen.

Nichts ist auf den ersten Blick klar, alles ist verrätselt. Gleichzeitig ist nichts schwer oder drückend, denn die Farben sind hell und lasierend aufgetragen. Sie stehen nach wie vor in delikaten Verhältnissen. Mit der Farbe steigert Gebhard Schmidl den Aussage- und Stimmungsgehalt seiner Bilder. In ihrer expressiven Figürlichkeit berichten die Grafiken und Zeichnungen von Gebhard Schmidls wichtigstem Thema: der Mann-Frau-Beziehung. Nicht zu vergessen die Plastiken und Skulpturen. Sie greifen die Ironie des Malers und Zeichners auf und tragen sie mit heiterer Leichtigkeit in den Raum.

Gekrümmt und mit weit aufgerissenem Maul liegt ein toter Fisch auf dem Kopf einer menschlichen Figur, wie ein sonderbarer, verrückter Hut. Die Figur, nicht klar ob männlich oder weiblich, hebt unschuldig die Hände, als wolle sie sagen: "Ich kann doch auch nichts dafür, ich bin wie ich bin." Gigi bemerkt dazu lakonisch: "Der Fisch ist klar zu identifizieren. Jedenfalls kann er kein Büffel sein." Nach einer Krise hat gigi wieder neue Bilder gemalt. Das Motiv der unschuldvoll gehobenen Hände taucht noch in einem anderen neuen Bild auf. Es handelt sich um ein so genanntes Drehbild, lebensgroß, beidseitig bemalt und auf einer Mittelachse schwenkbar, so dass beide Seiten gleichberechtigt sind. Auf der einen Seite ist eine schemenhafte Figur mit erhobenen Händen zu erkennen, das Gesicht unklar, der Körper von Spuren und Schüttungen roter Farbe zurückgedrängt.

Die Künstlerin sagt, es sei ihr schwergefallen, die Augen nicht zu malen, sondern nur in Form von zwei Reißzwecken darzustellen. Sie sind klein, fast zu übersehen. Seitlich steht auf einem kleinen Etikett: Rauchen kann tödlich sein. Die Antwort darunter: Leben ist tödlich. Gigi sagt über sich und ihrer Kunst: "Es ist noch Zeit genug für alles." Und: "Es kommt aus mir heraus."

Thomas Vesely ist ein unbeirrbarer Maler. Sein Motiv, die Amperlandschaft, begleitet ihn seit bald drei Jahrzehnten. Immer wieder entdeckt er in seinen Bildern neue, faszinierende Facetten dieser charaktervollen Flusslandschaft. Seine neuen Bilder nennt er "Amperwege". Diesmal spielt das Gegenüber und Miteinander von Flusslauf und Uferweg die Hauptrolle. Er malt die Bäume am Ufer, lässt ihr Laub im silbrigen Licht leuchten und ihre Silhouetten im Wasser reflektieren. Er stellt die Farbspiele in den Blättern und die Erscheinungen des Himmels und der Wolken dar, die von Licht und Luft zu lebendigen Gebilden modelliert werden. Heuer hat er sich besonders der Herausforderung der Herbstfarben gestellt. Veselys Bilder sind aber nicht nur Stimmungsmalereien. Er ist beeinflusst vom Prager Surrealismus, der sich von Paris ausgehend in den 1930er zu einer wichtigen europäischen Kunstrichtung entwickelte. Scherenschnitthaft ragen die dunklen Baumstämme vor der hellen Wasserfläche auf. Ihre Zweige und Äste sind von einem goldenen Lichtschleier umfangen. Die lebhaften Kräuselungen im Wasser scheinen etwas sagen zu wollen: Die Landschaft lebt, sie hat eine Seele, sie ist ein geheimnisvoller Ort, sie ist verletzbar. Und immer wieder regiert dieses magische Licht. Ein Bild fällt aus der Reihe der vielen Amperlandschaften. Es zeigt einen Fluss, aber diesmal mit Häusern zwischen den dichten Bäumen. Es handelt sich um ein altes Dorf in Südmähren, Thomas Veselys Heimat, aus der er 1979 vor dem kommunistischen Regime floh.

Der immer und überall rauchende Helmut Schmidt scheint über die Ausstellung zu wachen, und die wunderbare Romy Schneider blickt aus geheimnisvollem Halbschatten ins Atelier. Viel Neues gibt es auch bei Florian Marschall zu sehen. Die Charakterköpfe sind alle en face, lebensecht aber nicht naturalistisch. Eine Farbpalette gibt es nicht, Marschall beschränkt sich auf Schwarz, Weiß und feingraue Zwischentöne, zeichnet aus Tausenden übereinandergelegten Strichen und erfasst in unterschiedlicher Intensität alles Wesentliche, was einen Kopf ausmacht: Plastizität, Stofflichkeit, Ausdruck. Die weißen, unbezeichneten Stellen auf dem Papier ergeben erst durch das Zusammenwirken mit den gezeichneten Partien einen Sinn. Der heuer verstorbene Schauspieler Otto Sander ist verewigt, und Romy Schneider ist der erste weibliche unter den Charakterköpfen. Die Serie der Gräser führte Florian Marschall in ein abstrakt-gegenständliches Spiel von Linien und Flächen, von Hell- und Dunkelwerten: Anmutige Abstraktionen, die sich erst in geraumer Entfernung zum schlüssigen Bild fügen. Nicht mehr die Halme interessieren den Künstler, sondern der Ackerboden mit all seinen Verwerfungen, die Krume, das was nach der Ernte übrig bleibt.

Moosschwaige: Vernissage Freitag, 29. November, 19 Uhr (gigi 18 Uhr). Samstag und Sonntag, 30. November/1. Dezember, von 14 bis 18 Uhr geöffnet (gigi von 14 Uhr an.

© SZ vom 28.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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