Angriff:"Ich hatte Angst um mein Leben"

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Ein junger Mann schließt auf Facebook Freundschaft mit einem Mädchen. Dessen ehemaliger Freund misshandelt ihn daraufhin äußerst brutal. Das Amtsgericht verurteilt den Schläger zu einer Jugendstrafe auf Bewährung

Von Benjamin Emonts, Dachau

Er hatte auf Facebook die Freundschaftsanfrage eines Mädchens angenommen und ein paar unverbindliche Worte gewechselt - mehr nicht. Am selben Abend dann klopft es an der Wohnungstür von Lukas P. (alle Namen geändert). Vor ihm steht sein Nachbar, der Ex-Freund des Mädchens, sowie ein zweiter Mann. Von diesem Zeitpunkt an beginnt für Lukas P. ein zweistündiges Martyrium. Er wird geschlagen, genötigt, gepeinigt. Am Montag begegnete Lukas P. seinem Peiniger vor dem Dachauer Amtsgericht wieder. Der heute 22-jährige Harald B. musste sich unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Nötigung verantworten.

Das Szenario, das Lukas P. dem Jugendschöffengericht schilderte, könnte grausamer kaum sein. An jenem Abend im Dezember 2013 klopft es heftig an seine Tür. Lukas P. spielt gerade über Headset Playstation mit einem Freund. Er will zunächst nicht aufmachen, doch das Klopfen wird immer lauter. Schließlich öffnet Lukas P. die Tür. Sofort drängen ihn die zwei Männer in sein Wohnzimmer. "Du hast meine Freundin gefickt", schreit Harald B. Er schlägt sein Opfer vier oder fünf Mal mit der offenen Hand ins Gesicht. Mittlerweile im Schlafzimmer schubst Harald B. Lukas P. zu Boden, er versetzt ihm mehrere Tritte. "Drei trafen mich direkt ins Gesicht, die anderen konnte ich mit meinen Händen abwehren. Ich habe ihn angefleht, endlich aufzuhören", erzählt Lukas P. Der andere Mann wird zwar nicht handgreiflich, aber demütigt ihn: "Die meisten, die ich kenne, sind nicht so verweichlicht wie du." Lukas P. beschreibt eine Situation, in der er völlig perplex gewesen sei. "Ich konnte ja den Zusammenhang erst gar nicht herstellen."

Das Horrorszenario geht weiter: Auf dem Balkon zwingt Harald B. sein Opfer, eine Facebook-Nachricht an seine Ex-Freundin zu verfassen. "Ich habe versucht, dich dem Harald auszuspannen. Das war ein riesen Fehler", muss Lukas P. schreiben. "Bitte lass mich in Ruhe. Ich will keinen Ärger mit Harald." Es folgen Beleidigungen weit unter der Gürtellinie. "Vor dem Abschicken der Nachrichten hat er mich jedes Mal mit der offenen Hand ins Gesicht geschlagen. Mein ganzes Gesicht hat pulsiert vor Schmerzen. Ich habe mehrmals gesagt, dass es reicht. Aber es nahm einfach kein Ende", erinnert sich Lukas P.

Danach nimmt Harald B. eine Flasche Whiskey aus der Küche und fordert Lukas P. auf, mit in seine Wohnung zu kommen. Dort sitzen beide Männer nebeneinander auf der Couch. Immer und immer wieder äußert Harald B. den Vorwurf, Lukas P. habe mit seiner Freundin geschlafen, sie heimlich getroffen. Lukas P. versucht, den Blickkontakt zu vermeiden und hält die Hände vors Gesicht. Das aber verbietet ihm Harald B. "Er hat immer gesagt, ich soll die Hände vom Gesicht wegnehmen. Dann hat er mich wieder mit der offenen Hand geschlagen, bestimmt 20 Mal." Der andere Mann habe währenddessen seelenruhig auf der Couch gelegen. Bis er sich schließlich mit den Worten verabschiedet: "Ich gehe jetzt. Du kannst jetzt mit ihm machen, was du willst." Kurze Zeit später holt Harald B. eine Gaspistole hervor. Er nötigt sein Opfer, mehrere Schüsse damit nach draußen abzugeben. Lukas P. schießt. "Ich hatte Angst um mein Leben. Ich wusste ja nicht, zu was er noch alles imstande ist."

Endlich, unter dem Vorwand, aus seiner Wohnung Zigaretten holen zu wollen, kann Lukas P. der Folter entkommen. Er verriegelt seine Wohnung und bittet einen Freund per SMS, die Polizei zu rufen. Anschließend flieht Lukas P. durch das Treppenhaus nach unten und fährt mit seinem Auto zur Polizeidienststelle.

Amtsrichter Daniel Dorner sagte bei der Verhandlung: "Ich habe selten eine Zeugenaussage gehört, die so glaubwürdig war." Der aggressiv und einsilbig auftretende Angeklagte hatte die Tat zuvor gestanden, er bestritt lediglich die Tritte. Kurz nach der Tat wurde bei ihm ein Alkoholwert von 2,2 Promille festgestellt.

Amtsrichter Dorner beschuldigte Harald B. obendrein der Freiheitsberaubung und verurteilte ihn zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zur Bewährung. Zur Auflage macht er ihm mitunter, ein Jahr lang außerhalb seiner Wohnung keinen höheren Blutalkoholwert als o,5 Promille haben zu dürfen. Neben den körperlichen Folgen - Lukas P. erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung und eine Schulterprellung - legte Dorner dem Angeklagten die psychischen Folgen des Angriffs zur Last. Lukas P. hatte sich nach der Tat einen Monat lang in psychiatrische Behandlung begeben. In seine Wohnung kam er nur zurück, um seine Sachen zu packen. Noch heute hat der 27-Jährige Angst vor Harald B. "Ich habe Bedenken, dass er jetzt Rache und Vergeltung üben könnte."

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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