Bildung:Ruhiger Unterricht ohne Jungs

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Für das Sophie-Scholl-Gymnasium werben die Schülersprecherinnen Yvonne Stirner (links), Ornelia Battah (Mitte) und Tasnia Shaikh. (Foto: Catherina Hess)

Das Sophie-Scholl-Gymnasium zählt zu den letzten reinen Mädchenschulen. Weil die Anmeldezahlen sinken, stellt eine Werbeaktion nun die Vorteile heraus

Von Melanie Staudinger

Der Lärm oder besser gesagt seine Abwesenheit - das war das erste, was Bernhard Vonbrunn aufgefallen ist, als er vor Jahren das erste Mal durch die Gänge des städtischen Sophie-Scholl-Gymnasiums gegangen ist. Obwohl die Lehrkräfte ihre Klassen in allen Zimmern unterrichteten, drang kein Ton nach draußen. Kein Geschrei, kein Gekichere, kein Schimpfen oder Schreien. "Es ist hier viel leiser als in einer gemischten Schule", sagt Schulleiter Vonbrunn. Das Sophie-Scholl-Gymnasium ist eine der wenigen verbliebenen reinen Mädchenschulen in München. Noch, denn in den vergangenen beiden Jahren verzeichnete die Schule trotz ihrer Lage im Norden von Schwabing sinkende Anmeldezahlen. Damit sich das wieder ändert, treten Lehrer, Schülerinnen und Eltern nun gemeinsam zu einer Werbeaktion an. Denn von elitärem Unterricht, Langeweile und Zickenalarm ist nichts zu spüren.

Den Zeitpunkt haben Vonbrunn und seine Kollegen weise gewählt. Die Herbstferien boten noch einmal die Möglichkeit zu entspannen, bis es los ging mit dem Marathon für die Viertklässler und ihre Eltern. Passende Schulen müssen ausgewählt, Bus- und U-Bahnlinien für den Schulweg gecheckt werden. Welcher Zweig soll es am Gymnasium sein? Und welche Fremdsprache? Zwei, drei, mitunter sogar vier oder mehr Infoabende besuchen die Familien anschließend. Nichts soll schiefgehen auf dem Weg zum Abitur in einer Stadt, in der mehr als die Hälfte aller Viertklässler auf ein Gymnasium und noch einmal knapp 20 Prozent auf eine Realschule gehen.

Tasnia Shaikh, Yvonne Stirner und Ornelia Battah sind Schülersprecherinnen. Sie müssen nicht lange überlegen, was ihnen am Sophie-Scholl-Gymnasium gefällt: Die Schule ist klein und familiär, alle Schülerinnen kennen sich untereinander. Im Unterricht ist es ruhig, niemand muss sich profilieren, weil es keine Jungs gibt, die das interessieren könnte. "Jungs stören nicht, sie fehlen aber auch nicht, wenn sie nicht da sind", sagt Yvonne Stirner. Sie suchte sich das Sophie-Scholl-Gymnasium aus, weil sie den sozialwissenschaftlichen Zweig besuchen wollte. Ornelia Battah hingegen folgte ihrer großen Schwester nach, Tasnia Shaik wollte mit einer Freundin kommen. "Sie hat sich umentschieden, ich nicht. Und ich bin froh darüber", sagt die Elftklässlerin.

Wer die Schule kennt und auch jemanden, der sie gerade besucht oder dort Abitur gemacht hat, der kommt also gerne. "Unser Problem ist, dass sich Schülerinnen bewusst für uns entscheiden müssen", sagt Vonbrunn. Sie könnten nicht einfach dorthin gehen, wo die meisten aus ihrer Grundschulklasse hingehen wollen - schlicht und einfach deshalb, weil das Sophie-Scholl-Gymnasium keine Jungs aufnimmt. An der Torquato-Tasso-Grundschule zum Beispiel hätten Gymnasiastinnen Schnupperunterricht gegeben, keine einzige Grundschülerin hat sich danach angemeldet. Vonbrunn fragte nach, warum. Die Antwort: Die Klasse habe sich vorher schon geschlossen dafür entschieden, aufs Lion-Feuchtwanger-Gymnasium zu gehen.

Das Sophie-Scholl-Gymnasium ist tatsächlich ein Sonderfall, denn die benachbarten Schulen sind alle voll, einige sogar zu voll. Das Gymnasium München Nord und das Gisela-Gymnasium müssen jedes Jahr ganze Klassen abweisen, die dann ans Willi-Graf- oder Lion-Feuchtwanger-Gymnasium verwiesen werden. Und auch an der Gerastraße in Moosach ist kaum mehr Platz. "Wir haben im laufenden Schuljahr zwei Fünftklässlerinnen von den anderen Schulen zugewiesen bekommen", erzählt Vonbrunn. Insgesamt hatte er 48 Anmeldungen für die fünften Klassen, so wenige wie keine anderes Gymnasium. Doch auch die anderen reinen Mädchenschulen, das Bertolt-Brecht-Gymnasium (76 Anmeldungen) und das Max-Josef-Stift (72) liegen hinten.

"Wir sind einfach nicht bekannt genug", sagt die Elternbeiratsvorsitzende Stephanie Depuhl. Wenn über den Platzmangel an Gymnasien im Norden der Stadt diskutiert würde, käme das Sophie-Scholl-Gymnasium meist nicht einmal vor. Dabei bietet die Schule drei Zweige, den sozialwissenschaftlichen, den sprachlichen und den wirtschaftswissenschaftlichen, und dazu Englisch, Latein und Französisch als Fremdsprachen. Das Gymnasium bietet drei Formen: Entweder man belegt nur den Pflichtunterricht am Vormittag oder man bucht die Hausaufgabenbetreuung bis 15.30 Uhr oder man entscheidet sich für die offene Nachmittagsbetreuung, die montags bis donnerstags um 16.15 Uhr und freitags um 15 Uhr endet, von zwei Erzieherinnen angeboten wird und kostenlos ist.

Im kommenden Jahr soll neben der Chorklasse eine Forscherklasse entstehen. Dort haben die Mädchen in der fünften und sechsten Klasse mehr Zeit zum naturwissenschaftlichen Experimentieren. "Wenn sich genügend anmelden, können wir das machen", sagt Vonbrunn. Was er noch als Vorteil sieht: In seiner Schule können Mädchen sich nicht hinter Jungs verstecken, sie müssen Ämter wie Klassensprecherin oder Schulsprecherin übernehmen und können sich auch bei sportlichen Herausforderungen nicht drücken. Drei Mal schon gab es in der Oberstufe das Seminar Alpenüberquerung: "Da stehen wir in nichts nach", sagt Vonbrunn.

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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