Barschule in München:Piña Colada und Prüfungsangst

Lesezeit: 5 min

Wodka-Martini gerührt, nicht geschüttelt: Wie in München die Barkeeper von morgen die Kunst des perfekten Drinks lernen.

Philipp Crone

Für einen kurzen Moment ist es ganz still im Raum. Simon, 23 Jahre alt, und Murad, 29 Jahre, stehen bewegungslos hinter ihren beiden Bartheken, die Arme angewinkelt, bereit zuzugreifen. Beide warten vor dem Duell auf das Startkommando. Das lautet: "Piña Colada und Planters Punch!" Dann geht alles ganz schnell.

Immer wieder die gleichen Griffe: 18 Schüler bereiten sich eine Woche lang auf die Barkeeper-Prüfung der Barschule München vor. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

In Simons linker Hand tauchen zwei leere Gläser auf, seine rechte füllt sie mit Eiswürfeln und stellt sie auf einer kleinen Theke vor sich ab. Murads Gläser stehen da schon. Simon zückt seine Flaschen aus dem hinter der Bar auf Bauchnabelhöhe angebrachten Brett wie ein Cowboy seine Revolver. Dann schießt er. Zwei Centiliter dunklen Rum mit rechts, gleichzeitig zwei Centiliter hellen Rum mit links. Nachladen. Zwei Centiliter Sahne mit rechts, mit links vergreift er sich. Statt Kokossirup hat er Grenadine in der Hand, muss noch einmal nachladen. Murad führt.

Aber Simon holt beim Planters Punch auf. Die beiden beginnen gleichzeitig ihre Drinks zu shaken. Die vier anderen Barschüler sind noch nicht so weit. Simon füllt beide Cocktails gleichzeitig aus dem Shaker in Gläser, dann wirft er noch eine Ananas in den Colada und eine Orange in den Punch. Er gewinnt das Duell gegen Murad, aber nicht gegen die Uhr.

James Bond irrte

Wenn der große kräftige Mann mit der tiefen Stimme die praktische Prüfung am Ende dieser Woche bestehen will, muss er vier Cocktails in weniger als drei Minuten mixen; er muss das richtige Glas auswählen, darf nichts verschütten, keine falschen Zutaten wählen und zuletzt nicht die falsche Deko anbringen. Eine Ananas für den Singapore Sling im Fancy-Glas, eine Orange für den Tequila Sunrise im Longdrink-Glas.

Und der Wodka Martini wird natürlich gerührt und nicht - wie ihn 007 immer bestellt- geschüttelt, sonst verliert der Martini an Geschmack. Simon, der Hotelfachmann aus Bielefeld, hat genau sieben Tage Zeit, das alles zu lernen; so lange dauert der Kurs "Classic Bartending" an der Barschule München. Am Ende steht eine dreiteilige Prüfung. Durchfallquote: 30 Prozent. Simon muss aber unbedingt bestehen, davon hängt es ab, ob er seinen Traumjob in einer Hotelbar in Hamburg bekommt.

Am Ende der Woche werden sie alle jede Menge Tricks gelernt haben, es werden aber auch sechs Schüler durchfallen. Den Probedurchgang hat Simon erst einmal gewonnen. Die beiden Drinks vor ihm sind perfekt gelungen: Eis, Serviette, die richtige Farbe und Deko. Und sie schmecken nach feinstem - Leitungswasser.

Ruhm mit Rum

Im Ausbildungsraum an der Klausenburgerstraße 9 ist fast nichts echt. Die sechs Bartheken sind gefüllt mit jeweils 50 verschiedene Flaschen. Deren Inhalt sieht den echten Likören täuschend ähnlich, besteht aber nur aus Wasser und Lebensmittelfarbe. In der Mitte des Bartresens liegen Hunderte Eiswürfel, aus Plastik. Daneben Orangen, Zitronen und Ananas, aus Plastik. Die 13 Männer und fünf Frauen aus ganz Deutschland mixen hunderte von Cocktails in einer Woche, da wären richtige Zutaten zu teuer.

"Die Schüler lernen hier in sieben Tagen 40 Cocktail-Rezepte", sagt Matthias Knorr, Chef der Barschule, eine staatlich anerkannte berufsbildende Privatschule mit in der Tat weltweitem Ruf. Dazu kommen noch einige Theoriestunden. Zusammen mit seiner Frau Anna und Thomas Weinberger führt Matthias Knorr die Schule. Seit der Gründung 2003 steigen die Anmeldezahlen kontinuierlich an, die Cocktail-Eleven sind zwischen 18 und 58 Jahre alt. Sie alle wollen wie einst Brian Flanagan alias Tom Cruise in "Cocktail" zum Ruhm mit Rum. Und die Aussichten sind gut: Barkeeper werden gebraucht.

"In Deutschland öffnen immer mehr Bars", sagt Andrea Pirwitz von der Deutschen Barkeeper-Union. Charles Schumann vom Schumann's sagt: "Man muss als Barkeeper vor allem mit den Gästen kommunizieren können." Und das lerne man nur mit jahrelanger Erfahrung hinter der Theke. "Aber zum Erlernen der Grundlagen sind Barschulen sehr wichtig."

Jede erste Woche im Monat wird in München der "Classic"-Kurs angeboten, dann gibt es noch für knapp 600 Euro den "Flair"-Kurs (barschule-muenchen.de). Da lernt man die optischen Einlagen, jonglieren mit Glas, Flasche und Shaker. "Der Barkeeper ist ja immer im Blick der Gäste", sagt Knorr. "Er muss schnell und professionell mixen, ab und zu einen kleinen Trick parat haben und sich mit den Gästen unterhalten."

Das Flair-Training

Zum Beispiel über die Drinks. Deshalb geht es am ersten Tag für die eine Kurshälfte um neun Uhr mit Theorie los. Matthias erklärt die Unterschiede zwischen Raki, Ouzo, Pastis und Sambuca. Das Handout hat 82 Seiten. Alle Liköre und Branntweine werden auch probiert. Nach der Mittagspause wechseln die Gruppen, die anderen machen Theorie - und die Gruppe um Simon probiert alle 40 Cocktails. Allerdings nur eine Strohhalmspitze voll. Von Mittwoch an wird dann fleißig das Mixen trainiert. Zum Beispiel mit Dozentin Anna, sie liegt in der offiziellen Barkeeper-Weltrangliste der Frauen auf Platz zwei. Sie ist für die Tipps und Tricks zuständig.

Im Jahr 2005 hat das Team um Matthias und Anna den bestehenden Rekord im Speed-Mixen gebrochen. Zu viert schafften sie 1776 Cocktails in 29 Minuten. Ihr gemeinsamer Sohn "fängt auch schon an zu werfen". Er schaut den Eltern beim Flair-Training zu, genauso wie am Donnerstag jeder der 18 Schüler, als Tom und Matthias die Musik aufdrehen. Zu House-Beats werfen sie sich Gläser, Shaker und Flaschen zu, fangen Flaschen mit Shakern auf. Das sieht noch etwas ganz anders aus als bei den Bar-Azubis. Doch am Sonntag sind auch diese schon erstaunlich schnell.

Beim Mittagessen in der Kantine lernen sich die jungen Leute kennen. Chris aus Frankfurt ist Restaurantfachmann, will aber nicht mehr länger "Tellertaxi" sein. Mit Johannes aus Seefeld ist er sich einig: Der Barkeeperjob ist die optimale Mischung. "Man produziert selbst etwas, wie ein Koch, aber hat auch den direkten Kontakt zum Kunden." Der 30-jährige Stefan aus Kaufbeuren macht den Kurs nur zum Spaß, er arbeitet als Schreiner. Die 18-jährige Katja aus Stuttgart will eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau absolvieren und dann hinter der Bar arbeiten: "Da hat man mit jungen Leuten zu tun und hört immer Partymusik."

Auf den Hotelzimmern wird weitergelernt

Am Abend um fünf ist der Kurs vorbei, aber auf den Hotelzimmern wird weitergelernt. Zum einen die Theorie, damit alle wissen, dass die Kaffeebohnen im Sambuca schwimmen, um die Süße mit Bitterstoffen auszugleichen. Zum anderen die Praxis. Am Waschbecken werden Deo, Duschgel und Zahnputzbecher aufgestellt und der Bewegungsabläufe etwa für den Planters Punch geübt.

Am Donnerstag Morgen übt Simons Gruppe das "Puren". Die Schüler müssen dabei aus den Flaschen genau vorgegebene Mengen einschenken, nur mit Augenmaß. "Drei cl mit beiden", sagt Anna. Simon und die anderen zücken mit jeder Hand eine Flasche und füllen Wasser in zwei Gläser. Simon hat einmal vier und einmal drei Centiliter im Messbecher. Er schüttet den Inhalt wortlos weg, ist unzufrieden. Anna hat einen Tipp dafür: "Jeder 'Gluck' ist ein cl." Auch das Puren gehört am Sonntag zur Prüfung.

Zehn Strafsekunden

Je näher Sonntag und Prüfung kommen, desto lauter wird es. Die fünf Frauen und 13 Männer kennen sich jetzt schon ein bisschen, es wird viel gelacht. Katja gewinnt einen Puring-Wettkampf nach dem anderen. Doch dann hat sie einen Blackout, kann plötzlich die Griffe des Touch Down nicht mehr. Anna tröstet sie, das kommt schon wieder. Katja lacht verzweifelt.

Sonntag. Der Praxistest für Simon. Er bekommt eine Karte vorgehalten, auf der "Honolulu Juicer und Daiquiri" steht. Anschließend eine mit "Grasshopper und Negroni". Nach exakt einer Minute und 42 Sekunden sind die vier Cocktails fertig. Doch Simon bekommt eine Zeitstrafe. Er ist mit dem Shaker an eines der Gläser gestoßen, so dass ein bisschen Daiquiri herausgeschwappt ist. Zehn Sekunden mehr. Damit heißt die Siegerin Katja, aber Simon hat auch bestanden, wie auch Chris und neun weitere. Fehlt nur noch der Anruf aus Hamburg. Simon hat schon alles geplant, will sich die Cocktail-Karte schicken lassen und sie studieren, sich dann vor Ort die Griffe einprägen.

Direkt nach der bestandenen Prüfung ruft Simon in Hamburg an. Das Telefonat ist kurz: Am 3. November kann er anfangen. Das muss gefeiert werden, am Abend in einer Münchner Bar - mit einem frisch gezapften kühlen Bier.

© SZ vom 28.10.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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