Ausbildung:Prothesen aus dem Drucker

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Abitur und Studium, das ist nicht für alle der beste Weg. Immer mehr junge Leute besuchen Berufsschulen, die Absolventen haben gute Jobchancen - zum Beispiel auch Orthopädietechniker

Von Inga Rahmsdorf

Berlin Benoit hat zunächst Betriebswirtschaftslehre studiert. Aber den ganzen Tag nur im Hörsaal sitzen, das war nichts für ihn. Als er dann zu Besuch in sein Heimatland Haiti fuhr, kam ihm die Idee, eine ganz andere Laufbahn einzuschlagen. Ein Beruf mit mehr Praxisbezug, bei dem er später auch den Menschen in Haiti helfen kann, den vielen Verletzten durch das Erdbeben. Der heute 30-Jährige hat vor gut zwei Jahren in München eine Ausbildung zum Orthopädietechniker angefangen.

Laura Freudsmiedl aus Traunstein hat als kleines Kind gedacht, dass alle Frauen an den Unterschenkeln Prothesen tragen und keine richtigen Füße haben. So hat Freudsmiedl es bei ihrer Mutter kennengelernt, die sie damals auch begleitete, wenn sie zur Anprobe oder Neujustierung ihrer Prothese ging. Daher war ihr der Beruf schon früh vertraut. Die heute 18-Jährige wollte nach ihrem Realschulabschluss dann etwas Handwerkliches machen, aber sozial sollte es auch sein, und mit Menschen wollte sie zu tun haben. Sie entschied sich auch für die Lehre zur Orthopädietechnikerin.

Die Lehrlinge Laura Freudsmiedl und Berlin Benoit stülpen eine erwärmte Kunststoffplatte über ein Gipsmodell, um eine Beinprothese herzustellen. (Foto: Robert Haas)

Orthopädietechnik, das klingt vielleicht nach Schuheinlagen oder Gehhilfen. Weniger bekannt dagegen ist wohl, wie vielfältig und komplex die Arbeit ist, und dass sie großes handwerkliches Können und ein hohes Maß an medizinischem und technischem Wissen voraussetzt.

Freudsmiedl und Benoit sind im dritten Ausbildungsjahr. Sie besuchen die städtische Berufsschule im Kerschensteiner Schulzentrum, die einzige Einrichtung in Bayern, die Orthopädietechniker ausbildet. Die beiden sind damit zwei junge Leute, von denen es nach Ansicht von Bürgermeisterin Christine Strobl und Stadtschulrätin Beatrix Zurek viel zu wenige in München gibt: Menschen, die eine Ausbildung machen. "Wir brauchen dringend Fachkräfte", sagen sie. Und zwar nicht nur Abiturienten und Uniabsolventen. Es gibt immer mehr Schüler, die nach der Grundschule in München auf das Gymnasium wechseln. Doch Abitur und Studium, das sei nicht für jeden der beste Weg. Die Zahl der Studienabbrecher, die an der Berufsschule einsteigen, sei in den letzten Jahren gestiegen. "Sie haben zuvor am Gymnasium oder an der Universität häufig Frustrationen erlebt", sagt Erich Baumann, Schulleiter im Kerschensteiner Schulzentrum. Dabei seien die Berufs- und auch die Verdienstchancen mit einer Ausbildung durchaus sehr gut. Und es würden einem trotzdem alle Wege offen stehen. Denn wer eine Meisterprüfung absolviert, könne auch ohne Abitur studieren.

Im Flur der Berufsschule gibt es eine Art Jobbörse, dort hängen zahlreiche Zettel aus, auf denen Unternehmen bereits um die künftigen Absolventen werben. Er habe noch nie erlebt, dass einer seiner Schüler keinen Job gefunden habe, sagt Baumann. Auch für Laura Freudsmiedl und Berlin Benoit sieht es gut aus. In ihren Firmen würden alle Auszubildenden übernommen, sagen sie.

Etwa 15 000 neue Schüler haben in diesem Herbst in München an den städtischen Berufsschulen angefangen. Ausgebildet werden sie in insgesamt 130 verschiedenen Berufen. Die Stadt München investiert allein für die Personalkosten der Berufsschulen jedes Jahr etwa 100 Millionen Euro. Die Zahl der Berufsschüler ist in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, doch der Bedarf steige auch stetig, sagt Stadtschulrätin Zurek. Der Stadtrat hat im vergangenen und diesem Jahr beschlossen, insgesamt sieben berufliche Schulen auszubauen, zu sanieren oder neu zu bauen. Doch die Stadt steht vor einem großen Problem: Es mangelt an Lehrern für die Berufsschulen.

Charo Smith ist ausgebildete Orthopädietechnikerin und besucht nun die Meisterschule am Kerschensteiner Schulzentrum. Sie arbeitet an einer Beinprothese. (Foto: Robert Haas)

Schulleiter Erich Baumann sucht schon seit Jahren händeringend nach neuen Fachkräften. An seiner Schule werden nicht nur Orthopädietechniker, sondern auch Schreiner ausgebildet. Für beide Bereiche braucht er Menschen mit sehr spezifischen Kenntnissen. Viele seiner Mitarbeiter seien in den vergangenen Jahren in Rente gegangen oder stehen kurz vor der Pensionierung. Insgesamt arbeiten 2500 Lehrer an den städtischen Berufsschulen. Etwa 750 weitere Fachkräfte könnten sie sofort einstellen, sagt Stadtschulrätin Zurek. Die freien Stellen müssen derzeit mit Aushilfskräften besetzt werden.

Anton Grießer und Charo Smith haben somit gute berufliche Zukunftsperspektiven. Der 25-jährige Grießer hat nach seinem Realschulabschluss eine Lehre zum Schreiner gemacht, vier Jahre als Geselle gearbeitet und besucht nun die Meisterklasse am Kerschensteiner Schulzentrum. Er ist gerade dabei sein Meisterstück, ein Sideboard aus Kirschholz, mit einem Computerzeichenprogramm zu entwerfen. Danach geht es an die klassische Handwerksarbeit, das Möbelstück zu bauen.

Mit dem Laufband werden die Bewegungen der Patienten analysiert. (Foto: Robert Haas)

Auch Charo Smith muss mit Computerprogrammen arbeiten. Die 28-Jährige aus Erlangen hat nach ihrer mittleren Reife die Ausbildung zur Orthopädietechnikerin abgeschlossen, dann sieben Jahre in dem Beruf gearbeitet und besucht nun die Meisterklasse. "Die Arbeit gefällt mir immer noch sehr gut. Sie ist abwechslungsreich, und ich habe mit Technik und Menschen zu tun", sagt sie. Für ihre Abschlussprüfung muss Charo unter anderem eine Beinprothese herstellen. Die Konturen des Patienten erfasst sie mit einem 3D-Scanner. Das Modell kann anschließend aus Gips gegossen oder mittlerweile auch mit einem 3D-Drucker hergestellt werden. Die Prothese wird dann beispielsweise aus flüssigem Harz gegossen. Doch das muss Charo von Patient zu Patient neu entscheiden. Sie hat schon Prothesen für junge Menschen nach einem Unfall gebaut, für kranke Kinder oder ältere Menschen.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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