Archäologie:Götter, Gräber und Geschäfte

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Echt ist hier nichts, und trotzdem lockt die Ausstellung "Tutanchamun" mit Repliken der Grabbeigaben des ägyptischen Pharaos weltweit Millionen Besucher an

Von Michael Zirnstein

Wenige Touristen trauen sich noch ins Tal der Könige. Grabesruhe sogar an Höhle KV 62, die man vor den Revolutionswirren erst nach stundenlangem Anstehen betreten konnte. Auch an diesem Dezembertag besucht kaum einer das berühmteste aller Pharaonengräber, die Gruft des Tutanchamun. Doch plötzlich wird es laut. Auf den Stufen, die 1922 ein Wasserträger aus Howard Carters Expedition beim Abstellen eines Kruges entdeckte, macht sich eine Delegation aus Deutschland breit. Es sind Reporter und Mitarbeiter der Wanderausstellung "Tutanchamun - sein Grab und die Schätze". Ein weißhaariger Mann mit Lehrerjackett setzt zum Vortrag an, wie er es schon Hunderte Male in Hörsälen, Museen und Grabungsstätten getan hat: Wilfried Seipel, Ägyptologe und ehemaliger Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien. Seit Jahren berät er den Bayreuther Veranstalter Semmel Concerts bei der "Tut-Ausstellung", die weltweit ein Millionenpublikum anlockt - obwohl nur Kopien der Grabbeigaben zu sehen sind. Doch die schauten sich 2009 allein in München immerhin 365 000 Besucher an. Von 3. April an gastiert die Schau nun erneut in der Stadt.

Die Ausstellungsmacher haben die Schatzkammer nach Grabungsfotos nachgestellt. 1000 Objekte können die Besucher auch aus der Nähe betrachten. (Foto: SC Exhibitions)

"Was soll denn das werden, Habibi?!", schnauzt ein Aufseher Seipel an. "Sie wollen hier vor dem Grab unterrichten? Sie haben keine Erlaubnis!" Seipel, gewohnt, dass ihn selbst Handlanger an Ausgrabungsstätten mit "Oh, Hallo Herr Professor, Sie sind zurück!" grüßen, versucht es mit netten Worten auf Arabisch, wird dann forscher: "Wenn Sie so unfreundlich sind, wird bald gar kein Tourist mehr hierher kommen!" Beide bleiben stur. Seipel zückt das Handy. "Ich rufe den Antiken-Minister Eldamaty an, wir haben eine Konferenz mit ihm morgen." "Nur zu, ich bin ein Freund des Premierministers", blafft der Ägypter. "Grüßen Sie ihn von mir: Wilfried from Vienna!", erwidert Seipel.

"Ich sehe wunderbare Dinge", soll Howard Carter beim ersten Blick in das Grab Tutanchamuns gesagt haben. (Foto: SC Exhibitions)

Bevor der Aufseher der Gruppe noch den Einlass ins Grab verwehrt, gibt der Professor nach. Er stapft mit der Gruppe außer Sichtweite. Unter einer Pergola schildert er detailgenau aus dem Gedächtnis, welche Wunder altägyptischer Kunst alle später hinter dem Portal im fast leer geräumten Grab sehen werden: Die überraschend unköniglich kleinen vier Räume, die echte Mumie Tutanchamuns im klimatisierten Plexiglassarg, die Grabkammer mit einem der Original-Steinsärge und der Darstellung der zwölf Paviane an der Westwand, wie das meiste Symbole der Auferstehung, weil die Tiere zum Sonnenaufgang kreischen . . . Natürlich flüstert Seipel auch im Grab noch das eine oder andere ("Sehen Sie das Wandgemälde mit dem Mundöffnungsritual, das ist wichtig für die Osiris-Werdung!"), aber angesichts der zierlichen Mumie mit den Hasenzähnen beschleicht alle das Gefühl, dass es tatsächlich besser ist, im Grab zu schweigen.

Die Ausstellung in der Kleinen Olympiahalle ist von 3. April bis 13. September täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet (donnerstags 10 bis 21 Uhr). (Foto: SC Exhibitions)

Ein paar Serpentinen das Tal hinab befindet sich ein Grab, in dem man so laut dozieren kann, wie man möchte. Mithilfe von Geldern der EU und der Schweiz ist hier in einem Betonbunker auf Basis hochauflösender 3-D-Scans eine Kopie der Tut-Gruft entstanden. Es ist der erste Teil eines Repliken-Tals, das einmal die echten Gräber vor den Ausdünstungen der Touristenmassen schützen soll. So hat es sich der einstige Antikenminister und Indiana Jones der Ägyptologie, Zahi Hawass, ausgedacht. Die ehrfurchtsgebietende Aura der Original-Unruhestätte stellt sich nicht ein. Dabei haben die Kopisten an alles gedacht. "Aber warum haben die sogar den Schwarzschimmelbefall reproduziert?", wundert sich Wilfried Seipel, "na, in München werden Sie das alles genauso gut sehen."

Sogar noch besser: Denn im ersten Teil der Ausstellung ist das Grab so nachgestellt, wie Howard Carter und sein Finanzier Lord Carnarvon es gefunden haben: eine Rumpelkammer, vollgestopft mit Kostbarkeiten aus Stein, Holz und Gold, Figuren, Spielzeug, Kleidung, Schmuck, Ritualgegenständen. Gut 1000 der 5389 Originalstücke haben ägyptische Kunsthandwerker nachgebildet für den zweiten Teil, in dem man alles aus der Nähe betrachten kann: Von den großen Reliefschreinen, die die Sarkophage wie Zwiebelschalen schützten und die nun aufgereiht begehbar sind, über den Streitwagen (im Grab zerlegt, hier fast ausfahrbereit) bis zum Prunkstück: der Totenmaske, die in Echt aus elf Kilogramm Gold besteht, hier aus vergoldetem Kupfer. "Natürlich fehlt uns die Aura des Originals", sagt Ausstellungsdirektor Christoph Scholz, "aber das war von Anfang an so geplant: Wir wollen die Entdeckung des Grabes erlebbar machen und die Geschichten dahinter erzählen."

Im kleinen Museum neben dem Grab-Nachbau kann auch niemand sagen, ob es nun das echte Grabungshaus Howard Carters sei oder nicht. "Jedenfalls ist es gut gemacht", sagt Jaromir Malek, der das Howard-Carter-Archiv an der Uni Oxford verwaltet und 15 Jahre lang jede Grabungsnotiz studiert hat. Für die Tut-Schau hat er eine neue Abteilung über Carter mitgestaltet. Der gelte vielen noch als Abenteurer und Schatzjäger, habe sich aber über all die Jahre des Suchens als echter Ägyptologe erwiesen und archäologische Standards gesetzt, findet Malek: "Ich bewundere ihn, jeder geringere Mann hätte aufgegeben."

Zwiespältig wird auch Zahi Hawass gesehen. Durch dubiose Medienaktionen in den Pyramiden und seine Forderung, Berlin müsse die Büste der Nofretete zurückgeben, hat er sich in seiner Zeit als Antikenminister viele Gegner geschaffen. Aber, lobt Wilfried Seipel, er habe auch viel für den Schutz der Grabungsstätten und Fundstücke geleistet. Und er habe den Ägyptern wieder den Stolz auf die alten Götter zurückgegeben, indem er Tausende Schulklassen in die Museen schickte. Gemeinsam sitzen Seipel und Hawass nun, wie einst Carter und Carnarvon, im Hotel Winterpalace in Luxor. Mit Blick auf die brachliegende Flotte Hunderter Nilkreuzfahrtschiffe stellen sie das Buch zur Ausstellung vor, das Hawass geschrieben und Seipel übersetzt hat. Hawass wird daraus auch bei zwei Vorträgen in München erzählen.

Auch der neue Antikenminister Mamdouh Eldamaty erklärt wenig später in Kairo, dass er sich über die Touristen aus aller Welt freue, die die Repliken-Ausstellung dem Land beschere. Und über die sechsstellige Summe, die Semmel Concerts zur Renovierung des altehrwürdigen Ägyptischen Museums am Tahrirplatz gespendet hat. Hier wird ein Großteil des Tutanchamun-Schatzes in meist unbeschrifteten Vitrinen wie in einem Magazin verwahrt. Er werde einige unempfindliche Originale wieder reisen lassen, sagt der Minister, er warte gern auf Angebote aus Deutschland. Solange wird man sich mit Kopien begnügen müssen. Ohnehin komme es auf die Geschichten an, sagt Seipel, über einen jungen König, der sogar eine Locke seiner Großmutter mit ins Grab genommen hat.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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