Fliegerbombe:München erinnert sich an das Unvorstellbare

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Es ist etwas Außergewöhnliches, dass eine Bombe mitten in einer Stadt in die Luft gejagt werden muss. Die Explosion am Münchner Nachthimmel hat kurzzeitig ein Fenster in eine Vergangenheit geöffnet, die für viele Ältere noch Gegenwart ist. Für die Jüngeren ist sie unvorstellbar - glücklicherweise.

Kurt Kister

In München hat der Fund einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg einen Teil der Stadt für zwei Tage nahezu lahmgelegt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass solche fast 70 Jahre alten Blindgänger gelegentlich das normale Leben hierzulande für eine kurze Zeit unterbrechen.

Dienstagabend um 21.54 Uhr wurde die Bombe gesprengt. Reste des 250-Kilo-Sprengsatzes liegen noch in der Münchner Feilitzschstraße. (Foto: Beate Wild)

Den Rekord dürfte wohl Berlin halten, die meistbombardierte Stadt Deutschlands, in der außerdem im Frühjahr 1945 auch noch wochenlang gekämpft wurde. Nicht nur dort steckt der Boden immer noch voller Sprengstoff, auch wenn es eher selten vorkommt, dass eine Bombe, wie jetzt in München, mitten in einer Stadt in die Luft gejagt werden muss.

Ein solches gefährliches Vorkommnis bedeutet nicht nur große Unbill für Bewohner, Straßenverkehr und alle möglichen Einsatzkräfte. Es wird, ohne Zeitverzögerung, natürlich auch zum digitalen Event mit Live-Ticker vom Ground Zero und einem Wettbewerb, wer das tollste Video am schnellsten ins Netz stellt. Niemals zuvor konnten Wissensdrang, Neugier und Voyeurismus so umfassend befriedigt werden. Wer möchte, versendet die Bombe von Schwabing über sein Smartphone. Auf Youtube läuft sie gut. Moderne Zeiten.

Die Explosion am Münchner Nachthimmel hat nicht nur zahlreiche Fensterscheiben zerschlagen, sie hat auch kurzzeitig ein Fenster in eine Vergangenheit geöffnet, die für viele Ältere noch Gegenwart ist. Viele Menschen, die als junge Erwachsene oder als Kinder die Bombenangriffe in der zweiten Kriegshälfte miterlebt und überlebt haben, sind bis heute psychisch gezeichnet. In den Jahren des Wiederaufbaus hat man verdrängt, danach wollte man Geschehenes Vergangenheit werden lassen. Dennoch sind Traumata, offene oder versteckte, geblieben.

Der Bombenkrieg hat zwei Generationen Deutscher getroffen und verändert. Nein, diese Aussage ist keine Relativierung deutscher Schuld oder Verantwortung. Sie weist nur darauf hin, dass der Krieg, in dem die deutsche Luftwaffe 1940/41 viele Bombenangriffe auf englische Städte flog, alsbald blutig nach Deutschland, ins Land seiner Verursacher, zurückgekehrt war.

Für die Nachgeborenen ist es unfassbar, dass man in etlichen Städten von 1943 an bis April 1945 Nacht um Nacht in Kellern und Bunkern verbrachte, dass man angstvoll nach den Kondensstreifen der Bomberpulks Ausschau hielt, dass man Leichen und Verwundete aus den Trümmern Kölns oder Münchens grub.

Wer als Nachkriegskind in Deutschland aufwuchs, dem war der Bombenkrieg einerseits präsent: Trümmergrundstücke, familiäre Leidensgeschichten, Wiederaufbauarchitektur. Andererseits redeten viele derer, die ihn erlebt hatten, nicht über ihn, jedenfalls nicht mit ihren Kindern und Enkeln. Wie andere Bereiche des Krieges auch war der Bombenkrieg eine dunkle Wolke in der Psyche der Nachkriegsdeutschen. Sie wollten vergessen, vielleicht auch weil die Ängste in dieser Wolke noch so lebendig blieben.

Heute, fast 70 Jahre später, sind die Jüngeren und Jungen schnell mit einschlägigen Metaphern zur Hand. Da sieht etwas aus, als habe "eine Bombe eingeschlagen" oder dieses und jenes sei "wie nach einem Bombenangriff". Vielleicht ist diese Form von hyperbolischer, übertreibender Sprache auch ein gutes Zeichen weil das Bewusstsein, wie es wirklich nach einem Bombenangriff war, verloren geht - jedenfalls in Deutschland. Es ist gut, dass die meisten Deutschen das nicht mehr wissen, denn es zeigt auch, was sich zum Positiven verändert hat auf diesem Kontinent.

Und wer sich im Netz die Detonation der Bombe von Schwabing ansieht, der mag versuchen, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn zur selben Zeit 4000 solcher Bomben im Stadtgebiet detonierten. Unvorstellbar? Ja, glücklicherweise unvorstellbar.

© SZ vom 30.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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