Christine Rauch:Die Chefin

Lesezeit: 5 min

Christian Ude ist als Oberbürgermeister der mächtigste Mann Münchens. In seinem Vorzimmer aber herrscht seit 17 Jahren Chefsekretärin Christine Rauch.

Peter Fahrenholz

Die Tür ins Allerheiligste des Münchner Rathauses wird von einem kleinen Knopf unterm Schreibtisch gesteuert. Wenn Christine Rauch ihn drückt, geht die Tür auf, und der Weg ist frei ins Büro von Oberbürgermeister Christian Ude. Es ist ein Weg, den im Jahr Hunderte Besucher gehen, aber weitere Tausende würden auch gerne mal rein. Wenn man sie nur ließe.

Wer Ude sprechen will, hat zwei Möglichkeiten. Er kann versuchen, den Oberbürgermeister bei einer öffentlichen Veranstaltung abzupassen. Mehr als ein paar Worte sind bei dieser Methode aber nicht drin. Oder er muss an Christine Rauch vorbei. Seit Ude OB ist, also seit fast 17 Jahren, ist Christine Rauch seine Chefsekretärin. Als Ude kam, war Rauch schon da, denn sie war auch schon die Chefsekretärin von Georg Kronawitter, Udes Vorgänger.

Sekretärin, da denken viele vermutlich immer noch an Kaffee kochen, Diktate aufnehmen, Hotels für Dienstreisen buchen und den Chef an den Geburtstag seiner Frau erinnern. Mit dem Arbeitsalltag von Christine Rauch haben diese Klischees nur wenig zu tun. Sie ist eher die Managerin von Christian Ude. Wenn er ins Rathaus kommt, ist Rauch so gut wie immer schon da, und wenn er abends Termine hat, sitzt sie immer noch da, oft bis in die Nacht. "Die beiden sind wie siamesische Zwillinge", sagt Franz Maget, der langjährige Münchner SPD-Chef.

Rauch ist praktisch für alles zuständig, was mit Christian Ude zusammenhängt. Vor allem für seine Zeit. Der Oberbürgermeister hat zur Zeit, zurückhaltend ausgedrückt, ein eher großzügiges Verhältnis. Er verschwendet sie gern, obwohl er sie nicht hat. Christine Rauch sorgt dafür, dass er es damit nicht zu arg treiben kann. "Sie ist die Herrin über den Terminkalender", sagt Stadtkämmerer Ernst Wolowicz, der frühere Büroleiter des OB und einer der engsten Ude-Vertrauten.

Das mit der Herrin ist durchaus wörtlich zu verstehen. Rauchs Herrschaftsinstrument ist ein dickes rotes Buch, das sie nicht aus der Hand gibt: der Terminkalender. Im Zeitalter von computergesteuerten Terminsystemen, wo Fenster auf dem Bildschirm aufpoppen oder Klingeltöne auf dem Handy auf die nächste Besprechung hinweisen, ist das rote Terminbuch ein Anachronismus, von dem sich Christine Rauch um keinen Preis der Welt abbringen lässt.

Dass irgendein anderer etwas in das Buch hineinschreiben darf, kommt nicht in Frage. "Da werde ich grantig", sagt sie. Sie trägt alles mit Bleistift ein, ausradiert wird nichts, sondern auf verschiedene Weise durchgestrichen, manches waagrecht, anderes mit einem schrägen Strich. Neben vielen Eintragungen stehen stenografische Notizen. Sie weiß ganz genau, wie oft ein Termin schon verschoben worden ist, wann sich eine Lücke im engen Zeitplan eröffnen könnte und wann ein Zeitpuffer nötig wird, weil sicher ist, dass eine Besprechung länger dauert.

Und sie weiß, welcher Gesprächspartner wann Priorität hat. Wer wirklich wichtig ist oder ein dringendes Anliegen hat, dem verschafft Rauch auch spontan ein paar kostbare Minuten beim OB, andere bekommen schon mal zu hören, dass es das nächste halbe Jahr leider ganz schlecht aussehe mit Terminen.

"Die Frau Rauch filtert das aus", sagt Ude und verlässt sich blind darauf. Rauch hat sich von ganz unten durch die Hierarchie des Rathauses gedient. Sie kommt aus kleinen Verhältnissen, wie man so schön sagt, der Vater war Trambahnschaffner, die Mutter Sekretärin bei der Stadt. Mädel, hat der Vater gesagt, du gehst mal in den Öffentlichen Dienst, das ist eine sichere Position. Also hat sich Rauch bei der Stadt beworben. Angefangen hat sie in der Stadtkanzlei, Urkunden abschreiben.

Dann ging es nach oben, Stück für Stück. Sie saß im Vorzimmer diverser Referenten. Ende der achtziger Jahre suchte Georg Kronawitter eine neue Sekretärin, sie wurde angesprochen. "Oh Gott, habe ich gedacht. Ich habe mir natürlich nichts ausgerechnet." Aber sie wurde genommen. Da hat sie gleich den Vater angerufen, der hat ihr immer prophezeit: Mädel, wirst sehen, eines Tages holt dich der Kronawitter. Seitdem sitzt sie im Büro des OB. Und Ude ist die Krönung ihres beruflichen Lebens. "Für mich war die Zeit ein Lottogewinn", sagt sie.

Ude ist für sie nicht der Herr Ude, auch nicht der Herr Oberbürgermeister und schon gar nicht der Christian, Ude ist "der Chef". Und für den Chef hegt Christine Rauch unverhohlene Bewunderung. "Sie himmelt ihn an", sagt Helmut Schmid, lange Jahre Chef der SPD-Stadtratsfraktion. Sie schwärmt für das "unglaubliche Sprachgefühl" des Chefs, der "ein richtiger Freigeist" sei. Am meisten schätzt Rauch am Chef, dass er zuhören könne. "Man ist ihm nicht zu gering", sagt sie. Schöner kann man nicht ausdrücken, dass große Nähe auch mit einer klaren Distanz verbunden sein kann.

Die Bewunderung beruht auf Gegenseitigkeit. Rauch sei ein "Organisationsgenie", das auch bei größter Belastung immer freundlich bleibe, schwärmt der OB. Nur bei zwei Themen geraten sie regelmäßig aneinander. Das eine ist die Ausländerfrage. Da vertritt Udes Sekretärin dezidiert konservativere Ansichten als ihr Chef. Rauch sei im Büro des OB "die Stimme des Volkes", glaubt Helmut Schmid. Eine Art Frühwarnsystem für den eher in anderen Sphären schwebenden Ude.

Vor allem in den ersten Amtsjahren, als der OB noch längst nicht der zu einer gewissen Selbstherrlichkeit neigende Volkstribun war, hat ihm seine Sekretärin die nötige Volksnähe vermittelt. Ude selber weiß um ihre abweichende Meinung. Er ist "ausgesprochen froh", dass sie damit nicht hinter dem Berg hält. "Dadurch sehe ich, was nicht mehr vermittelbar ist." Das zweite Konfliktthema ist Udes Unpünktlichkeit. Wenn er einen Termin mal wieder hoffnungslos überzieht und im Vorzimmer die nächsten Besucher warten, steckt Rauch als erstes ihren Kopf ins Büro.

Wenn das nicht hilft, reicht sie ihm nach einer weiteren Weile einen Zettel herein. Udes Version von diesem Ablauf lautet, dass sie ihm den Zettel eher auf den Tisch knallt. Die feinfühligeren unter seinen Gästen merkten dann von selber, dass es an der Zeit sei zu gehen. Vieles läuft ohne Worte. Wenn der Chef mal schlechte Laune hat, sieht Rauch das schon an seinen Augen , "die zucken dann so hin und her". Umgekehrt weiß Ude, dass er an einer Formulierung nochmal feilen muss, wenn Rauch beim Diktat die Stirn in Falten legt.

Für die Montagsrunde, die sich jede Woche um acht Uhr morgens im OB-Büro versammelt, bäckt Rauch seit Jahren einen Kuchen, immer einen anderen. Und wenn Ude die Erschöpfung am Gesicht abzulesen ist, "kriegt er einen Zaubertrank", eine Mixtur aus Cola und Orangensaft. Ude mag überall der Chef sein. Aber in seinem Büro ist Rauch die Chefin. Und diese Position verteidigt sie mit einer Mischung aus Charme und Machtbewusstsein. Ein Stück von dieser Macht abzugeben, fällt ihr schwer; im Vorzimmer von Ude geht es nicht gerade demokratisch zu.

"Da wollen wir ganz offen sein", gibt sie zu, "das ist ein schwieriges Feld." Wenn Ude im Jahr 2014 aufhört, will auch Rauch gehen, vorher nicht, "das würde ich dem Chef nicht antun". Im Büro am Marienplatz wird dann ein neuer Chef residieren, aber nicht unbedingt eine neue Chefin. Es wird vielleicht keinen Kuchen mehr geben und keinen Zaubertrank. Und sicher wird dann nichts mehr durchgestrichen, sondern schnöde gelöscht.

© SZ vom 08.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: