"Zeugen des Untergangs" auf Sat.1:Auf eine Zigarette mit Hitlers Friseur

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Zeitzeugengespräch: Richter Michael A. Musmanno (rechts) mit August Wollenhaupt, Hitlers Friseur. (Foto: Spiegel TV)

War der Führer beim Haareschneiden wortkarg? Der Amerikaner Michael Musmanno hat nach 1945 Menschen gefilmt, die mit Hitler im Bunker waren - etwa seinen Friseur August Wollenhaupt. Erst jetzt sind diese frühen Aufnahmen des Reality-Genres zu sehen - bei Sat.1 und "Spiegel Geschichte".

Von Claudia Tieschky

Der Mann vor der Kamera trägt eine elegante weiße Militäruniform und ist genau auf die Wirkung seiner Worte bedacht. Der amerikanische Richter Michael A. Musmanno hat gerade seinen bedeutendsten Fall aufgeklärt. Nicht etwa im Gerichtssaal, sondern durch eigene Recherchen und Befragungen hat er den Fall Adolf Hitler zweifelsfrei geklärt. Das ist die Botschaft, die er nun der Welt und besonders dem amerikanischen Publikum verkündet - verbunden mit einer grimmigen Warnung an alle Diktatoren.

Leider hat die Welt seine Ansprache nie zu sehen bekommen. Ebenso wenig wie die Aufnahmen, die Musmanno - der wohl spätestens Anfang 1946 nach Deutschland kam und an den Nürnberger Prozessen mitwirkte - bei seinen Recherchen zeigen: Im Gespräch mit Hitlers Chauffeur Erich Kempka vor den Ruinen des damals noch nicht abgerissenen Berghofs, mit der Haushälterin Anny Winter am Münchner Prinzregentenplatz und mit der sehr jungen Hitler-Sekretärin Traudl Junge.

Es war öffentlich überhaupt nicht bekannt, dass es diese Filminterviews gab, deren heimlicher Star natürlich Musmanno ist - als früher Ermittler in einem sehr speziellen Reality-Genre sozusagen.

Der deutsche Dokumentarfilmer Maurice Philip Remy ist auf das ziemlich spektakuläre Material gestoßen und hat es dann Michael Kloft von Spiegel TV überlassen, der nun einen Film daraus fertigte. Warum Musmanno, der 1968 in Pittsburgh starb, die Filme nie selbst verwendet hat, bleibt rätselhaft.

Michael Angelo Musmanno ist trotzdem bekannt geworden, sein 1950 in den USA veröffentlichtes Buch Ten days to die wurde ein Bestseller und kam noch im selben Jahr auf Deutsch unter dem kaum weniger dramatischen Titel In zehn Tagen kommt der Tod bei der Droemerschen Verlagsanstalt heraus.

Viele glaubten, Hitler habe überlebt

Darin rekonstruiert Musmanno die letzten Tage im Führerbunker. Es ist ein reißerisch geschriebenes Werk, aus dem das Publikum auch erfährt, in angeblich welchem Lederarmstuhl sich "die schöne Eva Braun" im Bunker räkelte, während sie Diät hielt und mit Hitler "so unglücklich wie ein Kätzchen in der Milchkammer" gewesen sei.

Als Ten days to die ein Erfolg wurde, "sagte er sich, da mache ich einen Film draus", so erklärt sich Filmemacher Kloft das Drehmaterial, das er nun in Händen hält. Schon für das Buch hat Musmanno die Menschen befragt, die im Bunker lebten. Einige davon, soviel zumindest ist sicher, besuchte er später noch einmal - mit Kamera und Übersetzer.

Im Buch tauchen sie als Gewährsleute nur summarisch auf: Musmanno entschied sich für eine durcherzählte Story, bei der keine Quellenvermerke stören sollten, wie er im Vorwort schreibt. Dort, im Vorwort, erklärt er auch den Grund für seine Recherchen: "Die Nachwelt würde es der lebenden Generation niemals nachsehen können, wenn sie geduldet hätte, dass dies Geschehen in ein Geheimnis gehüllt geblieben wäre." 65 Prozent der Amerikaner glaubten damals einer Gallup-Umfrage zufolge, dass Hitler überlebt hatte.

Dabei hatte das Geheimnis längst ein anderer gelüftet. Der britische Geheimdienst hatte den Historiker Hugh Trevor-Roper losgeschickt, der ebenfalls die Bunker-Insassen befragt hatte und nach Hause meldete, Hitler sei garantiert tot. Dass Trevor-Roper später auch melden würde, die Hitler-Tagebücher vom Stern seien echt, ist eine andere Sache.

In den Vierzigerjahren ist sein Ruf ausgezeichnet - und sein 1947 in London und New York erschienenes Buch The last days of Hitler hätte Musmanno eigentlich kennen müssen.

Das glaubt auch Kloft. "Die Geschichte vom Bunker war damals eine der größten Geschichten überhaupt. Ich nehme an, deshalb wollte Musmanno auch einen Film für ein Massenpublikum daraus machen." Und zwar für ein amerikanisches Massenpublikum im Kino. Für Kloft ist klar, "Michael Musmanno will berühmt werden".

Das Musmanno-Material kommt zweifellos Klofts Leidenschaft für überraschende historische Aufnahmen und für die fotografische Entdeckung generell gerade recht. Er hat sie in Projekten wie Welche Farbe hat der Krieg oder Das Goebbels-Experiment unter Beweis gestellt.

Seit der Gründung des Pay-Senders im Jahr 2009 leitet er den Spartenkanal Spiegel Geschichte. Dort wird auch eine Langfassung des neuen Films zu sehen sein, der zunächst als Spiegel TV Reportage bei Sat 1 läuft. In das Pay-Gemeinschaftsunternehmen mit der Autentic GmbH von Patrick Hörl und Jan Mojto bringt Spiegel TV 50 Stunden Eigenproduktionen pro Jahr ein, dazu 150 Stunden Lizenzprogramme.

Mit den Reichweiten des Senders sei er "extrem zufrieden", sagt Kloft. Maximal 25 Prozent der Sendezeit widmen sich den Themen Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Die Hitler-Quote ist eine Konsequenz aus der Erfahrung beim Konkurrenten History Channel. Der wurde in den USA als "Hitler-Channel" verspottet und kam nur schwer wieder davon los.

Richter Musmanno konnte nicht ahnen, dass er mit seiner Art der Befragung vor der Kamera vermutlich den Film-Zeitzeugen erfand - der nicht nur zu Klärung historischer Zusammenhänge beträgt, sondern auch die Sparten Grusel und Unterhaltung bedient.

Traudl Junge wusste genau, was sie zu bieten hatte

Ob Hitler Eva Braun wohl treu war, wird ebenso verhandelt wie die Frage, ob er beim Haareschneiden wortkarg oder redselig war. Kloft sieht das so: "Nürnberg ist Verhör. Auch Trevor-Roper führte keine Interviews in dem Sinn, sondern Befragungen im Auftrag des britischen Geheimdienstes. Das hier ist der Moment, der darüber hinausgeht." Was Musmanno filmte, sieht auf verblüffende Weise aus wie das Zeitzeugenfernsehen, das wir kennen.

Traudl Junge macht mit diesem Part dann eine erstaunliche Karriere, die mit in Andre Hellers Im toten Winkel nicht vorbei ist, sondern in dem Spielfilm gipfelt, in dem sie die Hauptrolle einnimmt und von Alexandra Maria Lara gespielt wird - in Bernd Eichingers Untergang.

In Klofts Film schlendert sie neben Michael Musmanno durch Nürnberg, spricht englisch und klappert kokett mit den Augen. Sie weiß ziemlich genau, was sie ihm zu bieten hat.

Zeugen des Untergangs - Die verschollenen Interviews von 1948 , Sat 1, Montag, 23 Uhr; Langfassung in HD bei Spiegel TV Geschichte, Sky, 29. Juli, 21.10 Uhr.

© SZ vom 27.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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