Technik:Der rechnende Reporter

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In Berlin diskutieren Experten über Roboterjournalismus. Schon jetzt schreiben Maschinen Texte für Redaktionen - in begrenzten Einsatzgebieten.

Von Sebastian Jannasch

Als am 17. März 2014 um 6.25 Uhr der Boden in Kalifornien zitterte und die Los Angeles Times bereits wenige Minuten später ein leichtes Erdbeben westlich von Hollywood auf ihrer Website vermeldete, sorgte dieser automatisch erzeugte "Roboterjournalismus" noch weltweit für Schlagzeilen. Die Phase der Verblüffung ist vorüber, die technische Spielerei entwickelt sich zur Anwendung für die breite Masse. Bei internationalen Medienmachern, die derzeit zum Branchentreff des Weltverbandes der Zeitungen und Nachrichtenmedien in Berlin zusammenkommen, gelten computergenerierte Artikel und Videos sogar als ein dominierender Trend der nächsten Jahre. Autonom arbeitende Algorithmen gehören wohl künftig wie Telefon und Schreibblock zum Arbeitswerkzeug von Journalisten.

Zurzeit nutzen vor allem Nachrichtenagenturen und Onlineportale Artikel aus künstlicher Intelligenz, weil es die standardisierte Berichterstattung schneller, weniger fehleranfällig und nicht zuletzt günstiger macht. Die US-Nachrichtenagentur AP lässt beispielsweise Quartalsberichte von Unternehmen vollautomatisch in Meldungen umwandeln. Seit der Umstellung wird nicht mehr über 400, sondern über knapp 4000 Firmen berichtet. Die Journalisten gewinnen 20 Prozent an Arbeitszeit. Für die Agentur Reuters durchforstet eine Software die sozialen Medien, um frühzeitig auf Ereignisse aufmerksam zu werden. So wurde die Redaktion zum Beispiel einige Minuten früher auf den Anschlag am Brüsseler Flughafen aufmerksam als Wettbewerber. Reuters experimentiert auch mit der Plattform Wibbitz, die Sportmeldungen ohne menschliches Zutun in kurze Videos mit Spielsequenzen, Texteinblendungen und Audiokommentaren übersetzt.

Computer können Erwartbares beschreiben, aber nicht erklären, kreativ sein oder ethisch abwägen

Wie eine Trendumfrage des deutschen Zeitungsverlegerverbandes BDZV Anfang des Jahres zeigte, plant auch hierzulande ein Viertel der befragten Verlage, Roboterjournalismus zu nutzen. Zurzeit setzen vor allem Internetportale den Schreib-Computer für Börsenberichte, Wetterprognosen und Sportnachrichten ein. Dabei fügt die Software Textbausteine mithilfe aktuell eingespeister Daten zu einem Artikel zusammen. Ob etwa ein Aktienkurs als enttäuschend oder erfreulich bewertet wird, hängt von definierten Bedingungen ab, die das Programm mit den Daten abgleicht.

Ersetzen Roboter schon bald Journalisten? Eher nicht, sagt Neil Thurman, der an der Münchner LMU zum Thema forscht. Er sagt, Roboter funktionieren vor allem bei Texten, die auf gut aufbereiteten Daten basieren. Roboter können nicht erklären, kreativ sein und ethische Abwägungen vornehmen, sondern lediglich Erwartbares nach festem Muster beschreiben. "Ich spreche deshalb auch lieber von Co-Bots." Computer assistieren Reportern, befreien sie von Routineaufgaben und schaffen mehr Zeit für Recherche, Kommentare und Reportagen. Bei der Messe in Berlin präsentiert die Washington Post, wie Algorithmen im Redaktionsalltag helfen können, Artikel zu personalisieren. Ein Bericht über Kriminalität oder Wahlergebnisse soll sich künftig automatisch um Daten zur Situation am Heimatort des Lesers anreichern lassen. Auch über jedes Footballspiel an Washingtoner Schulen will die Post so berichten. Künstliche Intelligenz schlägt auch unterschiedliche Artikelüberschriften für die Website und soziale Medien vor.

Und was wird nun bei aller Digitalisierung aus der Zeitung? Noch immer hätten viele Leser das Bedürfnis nach einer Papier-Ausgabe, sagt Michael Golden, Vizechef der New York Times, in Berlin: "Ich glaube, wir drucken die Zeitung noch für eine weitere Generation.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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