Spanien:Gewendetes Blatt

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Hoffnungsträgerin: Soledad Gallego- Díaz, 67, hatte sich eigentlich bereits in den Ruhestand verabschiedet. Am Freitag wurde sie nun zur Chefredakteurin der El País gewählt. (Foto: privat)

Nach dem Regierungswechsel muss sich El País neu erfinden. Richten soll das eine Frau, die schon im Ruhestand war.

Von Sebastian Schoepp

Es war, als sei ein böser Zauber gegangen. Die Altstars des spanischsprachigen Journalismus wie Ramón Lobo, Maruja Torres oder Martin Caparrós überboten sich in Lobpreisungen. "Es kommt also doch noch vor, dass die Guten gewinnen", twitterte Lobo. Anlass war, dass am Freitag die 286 Journalisten der spanischen Traditionszeitung El País darüber abstimmten, wer ihre neue Chefredakteurin werden soll. 278 von ihnen stimmten für Soledad Gallego-Díaz. Die 67-jährige frühere Korrespondentin und Edelfeder, die eigentlich schon im Ruhestand war, soll nun aus El País wieder das Leitmedium spanischer Sprache machen.

Das war El País nämlich längst nicht mehr. Jahrelang hatte der bisherige Chefredakteur Antonio Caño alles versucht, die einst linksliberale Zeitung, Gründungsmythos der spanischen Demokratie, auf strammen Rechtskurs zu zwingen. Er vergraulte namhafte Korrespondenten, schmiss Starschreiber raus, bezahlte die Jungen schlecht, strich Etats zusammen, und verordnete dem Blatt eine Linie, die auf unverhohlene Parteinahme für die konservative Regierung von Mariano Rajoy hinauslief. Ende vergangener Woche wurde Rajoy dann von dem Sozialisten Pedro Sánchez durch ein Misstrauensvotum gestürzt, wenige Tage später nahm Caño seinen Hut - so als habe sein Journalistenleben ohne Rajoy keinen Sinn mehr.

Für viele Leser des Traditionsblattes war weniger die Parteinahme das Hauptproblem, als die unseriöse Art und Weise, in der sie geschah. Die Berichterstattung nahm kampagnenartige Form an, Bericht und Kommentar waren oft nicht mehr auseinanderzuhalten, Hassziele Caños waren nicht nur Separatisten, aber vor allem die Linksalternativen von Podemos, die teils rufschädigend niedergemacht wurden - aber auch der Sozialist Pedro Sánchez. Als der sich 2016 weigerte, in eine große Koalition mit Rajoy nach deutschem Vorbild einzutreten, forderte El País ihn zum sofortigen Rücktritt wegen Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit auf. Dazu kamen Verstöße gegen journalistische Ethik wie die Verquickung von Werbung und Bericht und eine grassierende Verflachung der Internetausgabe, zum Teil auf Katzenvideoniveau, wie der frühere Korrespondent Miguel Mora sagt.

Damit beraubte sich El País des Rangs, das Referenzmedium spanischer Sprache zu sein, nicht nur bei Spanien-, sondern auch bei Lateinamerikathemen. Der enorme Ansehensverlust trug in Spanien im Gegenzug zum Aufstieg alternativer Medien bei, von denen nicht wenige von den Opfern der Entlassungswellen in den großen Blättern betrieben werden. Nachrichtenportale wie eldiaro.es, El Confidencial, ctxt.es oder El Español haben den Traditionsblättern zum Teil den Rang abgelaufen. Auch die Süddeutsche Zeitung entschied sich bei den Recherchen zu den Panama-Papers nicht für den früher logischen Partner El Pais, sondern für El Confidencial.

Miguel Mora, einer der wichtigsten Journalisten des Landes, einst Paris- und Nahostkorrespondent von El País, gründete ctxt.es in seinem Wohnzimmer, heute hat die Plattform mit ihren profunden Analyse und Starautoren aus aller Welt bis zu 700 000 Leser die Woche, die länger als zwölf Minuten bleiben. Seine rechte Hand war - Soledad Gallego-Diaz, die nun zu El País zurückkehrt. "Ich bin natürlich traurig, sie zu verlieren, aber ich freue mich für den Journalismus in diesem Land", sagt Mora. Gallego-Diaz war El País als Autorin für Sonntags-Kolumnen erhalten geblieben, die einzige Stelle, wo Leser noch den alten Kurs der Zeitung finden konnten, sozusagen die Gegen-Leitartikel zu Caños Kurs unter der Woche.

Erster Auslöser für den Niedergang des Blattes war die wirtschaftliche Lage. Noch in den Neunzigerjahren war der Medienkonzern Prisa, zu dem die Zeitung gehört, ein Gigant, untrennbar verbunden mit der Ära des sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe González. Ein wagemutiger Expansionskurs und unüberlegte Zukäufe brachten den Konzern ins Trudeln, spätestens mit Beginn der Medienkrise der Nullerjahre taumelte Prisa dem Abgrund entgegen. In Panik verkündete man den Kurs "online first" Caño und sein Chef auf Verlagsseite, Juan Luis Cebrián, überlegten sogar, die Printausgabe abzuschaffen - obwohl die Online-Ausgabe wenig Einnahmen generiert, da El País seine Inhalte dort zum größten Teil verschenkt. Die verkaufte Aufläge sank zeitweise unter 100 000.

Banken und die konservative Regierung sprangen helfend ein, wonach Cebrián dem Blatt einen Rechtskurs aufnötigte, den Caño umsetzte. Nun ging zuerst Cebrián, dann Caño, und Sol Gallego, die große alte Dame des spanischsprachigen Journalismus, soll die Retterin sein. Miguel Mora sagt: "Wir alle hoffen, dass die Phase der Selbstzerstörung von El País damit beendet ist."

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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