Schnüffeleien bei der Telekom:Operation Talpa

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Verfolgungswut, Größenwahn, Paranoia: Wie die Telekom die Presse fürchtete und Tippgeber im Konzern jagte.

Hans Leyendecker

Im Geheimdienstmilieu ist "Maulwurf" die Bezeichnung für einen gegnerischen Agenten im eigenen Nachrichtendienst. Aber was meint der Begriff im Journalismus? Ein erfahrener Detektiv, dem Bonner Staatsanwälte in der Schnüffelaffäre der Deutschen Telekom diese Frage stellten, verwendete folgende Definition: Ein Maulwurf, lateinisch talpa, sei jemand, der in eine Redaktion eingeschleust oder der "umgedreht" worden sei. Ein anderer Detektiv sagte, bei einem solchen Maulwurf handele es sich "um einen Schläfer". Auch "Schläfer" ist eigentlich ein Begriff aus der Welt der Nachrichtendienste.

Telekom: Schnüffeleien bei Mitarbeitern und Journalisten?  (Foto: ag.ddp)

Die Bonner Ermittler gingen beim Marsch in die Welt der Verlage und Redaktionen unter anderem dem Verdacht nach, es habe bei dem Wirtschaftsblatt Capital (G+J) einen Telekom-Judas gegeben, der die angebliche Quelle eines Kollegen angeblich enttarnt und für angeblich 175.000 Euro an die Sicherheitsabteilung des rosa Riesen verkauft habe.

Die Fahnder hofften, mit Hilfe eines Bewirtungsbelegs der Lösung näher zu kommen, ob es eine Talpa der Telekom wirklich gegeben hat.

Das Beweisstück stammte von einer im Sicherheitsgewerbe tätigen Geschäftsfrau, die nach einem Restaurantbesuch die Namen von drei Mitarbeitern der Sicherheitsabteilung der Telekom auf den Beleg geschrieben und das Wort "Maulwurf" notiert hatte. Bei Sicherheitsgeschichten verwende sie für die Buchhaltung Fantasienamen sagte die Zeugin bei ihrer Vernehmung. Damals habe gerade ein Maulwurf ihren Garten umgewühlt. Sie habe ihn mit Windrädern verjagen können. Einen Telekom-Maulwurf bei Capital kenne sie nicht.

Das Ende ist bekannt: Die Ermittlungen im Schnüffelskandal Telekom wurden vorige Woche mit vier Anklagen und etlichen Verfahrenseinstellungen nach zwei Jahren abgeschlossen. Aber jenseits der Welt der Paragrafen geht es in dem Fall um auffällige Veränderungen in dem Spannungsfeld von Medien und den Machern der Wirtschaft. Und wer als Journalist darüber schreibt, äußert sich über die Umstände seines eigenen Berufs und darüber, wie feindselig einige da draußen diese Arbeit offenkundig betrachten.

Ein IT-Spezialist, der für die Mitarbeiter der Telekom-Forensik herausfinden sollte, wie vertrauliche Informationen des Unternehmens in die Medien gelangt waren, erklärte den Staatsanwälten, wie die Durchstechereien gestoppt werden sollten. Zunächst habe er gemeinsam mit einem Sicherheitsspezialisten des Unternehmens geklärt, wer unter den Journalisten "Freund" und wer "Feind" des Unternehmens gewesen sei. Feind war offenkundig, wer viel wusste und mit dem Wissen nicht hinter dem Berg hielt. Als Freund galt, wer Unangenehmes für sich behielt und deshalb bei Hofe gelitten war. Die Freunde stellen die Mehrheit, auch das gehört zum Berufsbild.

Die Kommunikationsabteilung des Konzerns sei bei der Sichtung außen vor gelassen worden, erklärte der IT-Mann. Schließlich habe man gewusst, dass zwischen Journalisten und Presseabteilung ein "reger Kontakt" bestand, und man habe nicht ausschließen wollen, dass in der Presseabteilung "eine andere Sichtweise" vorherrsche.

Eine Liste mit den Namen von einem halben Dutzend angeblich brandgefährlichen Journalisten wurde erstellt. Allein im Zeitraum zwischen dem 19. September 2005 und dem 22.Juni 2006 wurden illegal von dem Konzern 8226 Telekommunikationsverbindungen zu insgesamt zwanzig Anschlüssen dieser Pressevertreter registriert und offenbar ausgewertet. Man installierte schließlich sogar ein "Frühwarnsystem", eine "Watch-List", um sofort nach Veröffentlichungen feststellen zu können, mit wem die Berichterstatter bei der Telekom telefoniert hatten. Ziel sei es gewesen, die Verbindungsdaten der "Top-Brisanz-Journalisten" zu erheben und aus "prophylaktischen Gründen" vorzuhalten, erklärte der IT-Mann.

Die Pressefreiheit, das machte diese Affäre klar, wird nicht vor allem vom Staat bedroht, sondern von wild agierenden Sicherheitsabteilungen, die auf Befehl von oben Informanten jagen. Sie wollen das Unternehmen vor Verrätern schützen und begehen selbst den großen Verrat, weil sie ihren eigenen Betrieb in den Schmutz ziehen. In diesem Punkt sind die Sicherheitsleute übrigens hyperbetriebsamen Nachrichtendienstlern nicht unähnlich.

Aber auch die Chefmanager neigen offenkundig nicht selten zur Wichtigtuerei. Wer wäre vor dieser Affäre schon auf die Idee gekommen, dass der Vorstand der Telekom hektisch auf eine Zeitungsmeldung über die Zahl der Auszubildenden reagieren würde? In den Akten der Staatsanwaltschaft findet sich dazu eine Mail aus den Novembertagen 2006. Ein Vorstand fordert darin seinen Büroleiter auf, sich sofort gemeinsam mit dem Chef der Sicherheitsabteilung um ein Leck "zu der Azubi-Quote" zu kümmern. "Professionelle Nachverfolgung" sei vonnöten. Schon am morgigen Tag, das habe er erfahren, stünden Zahlen in der Zeitung, die noch nicht freigegeben worden seien. So etwas könne man nicht durchgehen lassen. Unter "PS" notierte er: Der Mitarbeiter solle auch sofort nachhaken, wer Infos über die T-Mobile an die Financial Times Deutschland gespielt habe: Da kämen "wohl nur drei bis vier Leute" in Frage.

Was für eine absurde Melange aus Verfolgungswut, Größenwahn und Paranoia. Mitarbeiter eines Unternehmens, das gern die Offenheit der globalen Gesellschaft predigt, fürchteten nichts mehr als Öffentlichkeit.

Um ein vermutetes Leck im Aufsichtsrat zu finden, wurden sogar Papiere für die Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium speziell präpariert. Im Fall einer Veröffentlichung wäre klar gewesen, auf wessen Unterlage die unerlaubte Verbreitung beruhte. Die geheimdienstähnliche Aktion flog auf. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hatten sich beschwert, dass sie unterschiedliche Unterlagen mit unterschiedlichen Angaben bekommen hätten.

Natürlich, auch das ist richtig, haben Unternehmen ein nachvollziehbares Interesse, Betriebsinterna zu schützen. Schon Gerüchte können den Kurs einer Aktie befeuern oder verbrennen. Die Frage ist nur, wie der Schutz gehandhabt wird: Legal, grenzwertig oder illegal. Einigen Leuten von der Telekom-Sicherheit war es total egal.

Herausgekommen ist übrigens nichts. Keine einzige Quelle wurde enttarnt. Die Staatsanwälte konnten keinen Maulwurf ausmachen, der Betriebs - und Geschäftsgeheimnisse einer Zeitung an die Telekom verraten hätte. Bei der angeblichen Talpa im Fall Capital haben sie inzwischen den Verdacht, dass ein damaliger Telekom-Mitarbeiter die Geschichte des seltsamen Wesens selbst erfunden habe, um die rund 175.000 Euro Kopfprämie zu kassieren.

Die Fähigkeit, sich für betroffen zu halten, haben Manager, aber auch Journalisten. Ein paar Wochen nachdem die Spitzel-Affäre aufgeflogen war, meldeten sich hoffnungsbang Pressevertreter, um zu fragen, ob auch sie bitteschön auf den schwarzen Listen gestanden hätten. Anwälte reichten bei der Staatsanwaltschaft Namenslisten ein und wollten wissen, ob ihre Mandanten zu dem Personenkreis gehört hätten, deren Telefonate "gespeichert und/oder aufgezeichnet" wurden. Es wimmelt eben überall von sorgenvollen Wichtigtuern.

© SZ vom 14.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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