Rundfunk:Sender sucht Stadt

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Seit 15 Monaten ist Patricia Schlesinger Intendantin des RBB. Das Fernsehprogramm ist eher bieder und wenig erfolgreich. Das will sie ändern.

Von Jens Schneider

Wie fühlt es sich an, wenn die neue Chefin plötzlich verlangt, dass du frech werden sollst? Mutiger und kantig! Und funktioniert das? Zu Beginn dieser Woche haben die Mitarbeiter des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) von ihrer Intendantin Patricia Schlesinger ein kleines Geschenk bekommen. Im Beutel mit dem neuen Logo des Senders steckte ein "Bullshit-Bingo". Das ist eine Auswahl an Killer-Phrasen von der Art, die jede Experimentierfreude und Risikobereitschaft ersticken. Etwa: "Geht nicht." Oder: "Bitte über meinen Vorgesetzten." Auch gut: "Wir wissen doch, dass das nicht funktioniert."

Auf dem Parkplatz der Intendantin, wo sonst ihre dunkle Limousine parkt, steht an diesem Dienstag ein RBB-Kleinwagen. Er trägt den Slogan, der für den Neuanfang des öffentlich-rechtlichen Senders stehen soll: "Bloß nicht langweilen!" Dazu gibt es ein Poster voller Selbstironie, die wohl nicht jeden RBB-Mitarbeiter amüsieren wird: Da liegt ein schlafender Mann auf dem Sofa, auf seinem Bauch eine TV-Fernbedienung. Darüber steht: "Von führenden Anästhesisten empfohlen."

Deutlicher lässt sich kaum sagen, worum es geht. Vor 15 Monaten hat Patricia Schlesinger, die zuvor viele Jahre beim NDR war, die Leitung des RBB übernommen. Der Sender entstand durch eine Fusion des SFB (West) und des ORB (Ost) unter großen Reibungsverlusten. Einige seiner Radiowellen sind grandios, aber das Fernsehprogramm gilt als chronisch bieder, im besten Falle solide und in Quoten bemessen oft erfolglos.

"Es ist so, dass wir in der Region eine hohe Glaubwürdigkeit haben", sagt Schlesinger. "Aber die ist verbunden mit dem Signum: Die sind zu langweilig." Also müsse man die Glaubwürdigkeit stärken "und aufhören, langweilig zu sein." Mit der schrägen Image-Kampagne und einem neuen TV-Abendprogramm beginnt das, was sie die zweite Phase der Reform nennt. Nach ihrem Start stoppte Schlesinger - das war Phase 1 - zunächst einige erfolglose Sendungen, auch um damit Mittel für Anderes frei zu machen. Rund zehn Millionen Euro stehen für die neuen Sendungen zunächst zur Verfügung.

Die erste Sendung kommt von der Flughafen-Baustelle: "RBB eröffnet BER". Putzig

Als neuen Programmdirektor verpflichtete sie Jan Schulte-Kellinghaus, ebenfalls vom NDR. "Wir sind der Sender in der spannendsten Stadt Europas. Leben wir das?" fragt er, seine Antwort lautet: "Im Fernsehen im Dritten Programm besteht da unbestreitbar noch Nachholbedarf, auch im Vergleich zu anderen."

Bisher ist das Programm in der wichtigsten Sendezeit ab 20.15 Uhr oft von Wiederholungen geprägt. Nun soll es zur Prime Time Neues geben. So wurde die Sendung Erlebnis Geschichte entwickelt, auch ein neues Verbrauchermagazin. Aber vor allem eine Idee soll für den neuen RBB stehen, wie eine Art Signatur, jeden Donnerstag: die Abendshow. Ein "lässiges Metropolenmagazin" wünscht man sich, das "so gemein und schmutzig wie die Hauptstadt" sein soll, wie es in einem Teaser heißt.

Vorab fallen Attribute, mit denen die Sender-Leitung Fallhöhe aufbaut: Satirisch, frech und politisch zupackend werde das Magazin, auch von "wildem Humor" ist die Rede. Schön, wenn man so was hat - aber wie kommt man da hin?

Seit Monaten wird probiert, eine Mischung aus Stern TV und Extra 3 stellt man sich vor. Die Abendshow sieht Schulte-Kellinghaus als "das eigentliche Wagnis - ein Experiment, das wir aber mit Geduld lange durchhalten werden". Es sei ein Risiko, so eine Sendung in der wichtigsten Zeit am Abend zu machen. "Das hat noch keiner versucht." Moderiert wird das Programm von Britta Steffenhagen und Marco Seiffert, beide kommen von Radio Eins, jenem eigenwilligen Radioprogramm des RBB, das den Ton hat, den sich die Intendantin fürs Fernsehen öfter wünscht. Die erste Sendung am 7. September kommt von der ewigen Baustelle des Hauptstadtflughafens: "RBB eröffnet BER" heißt es.

Mit der neuen Tonalität will man vor allem in Berlin besser ankommen. Der RBB ist gut verankert in Brandenburg, aber in der Hauptstadt nie die Institution geworden, die er sein sollte. "Der RBB muss noch mehr Berlin werden", sagt Schlesinger. "Dieser Sender hat viele schwere Aufgaben hinter sich", erklärt sie. "Da war erstens die Fusion, die unter politisch schwierigen, widrigen Umständen zustande kam. Sie hat viel Kraft gebunden. Zweitens gab es wahnsinnige Geldsorgen." Eine lange, harte Strecke sei das gewesen. Da habe es nicht viele Möglichkeiten gegeben, sich im Programm neu zu erfinden.

Ihre Botschaft hat Züge einer Kampfansage: "Wir heben das Haupt und bieten die Stirn. Wir sagen: Wir sind der Hauptstadtsender." Dieses Gefühl will sie auch den Mitarbeitern vermitteln: "Denkt groß! Denkt nicht klein, Ihr seid in der Hauptstadt." Die Presse-Präsentation der Reform wurde im Intranet des RBB übertragen. "Kommt mit Ideen! Traut Euch was!" forderte Schlesinger.

So etwas kann auch als Zumutung empfunden werden. Man trifft RBB-Mitarbeiter, die sich begeistern - aber hört auch von anderen, die abwarten wollen, ob sich all die forschen Überschriften und kecken Slogans mit Inhalt füllen lassen.

Kann es sein, dass sich manche überfordert fühlen? Dass sie denken: hier ist kein Platz mehr für mich? "Ich erlebe eine große Lust auf diesen Neuanfang", antwortet Schlesinger. "Die Mitarbeiter sind neugierig. " Und sagt dann: "Aber ja, ich sehe diese Gefahr." Doch es wisse gleichzeitig jeder, dass der Sender nicht nur erfolgreich war. "Wenn wir jenseits des Publikums senden, machen wir auch was falsch."

Sie betont, dass der Neuanfang "ja mit unseren Leuten" gemacht werde. "Das sind fast alles hausgemachte Formate, die jetzt kommen." Allerdings: Es kam auch Expertise von außen, es gab Abschiede. "Aber die Basis ist hier beim RBB. Genau darum geht es ja: eigene Sendungen zu entwickeln, und damit die Identität und das Image des Senders zu prägen." Dass Schlesinger eine hohe Erwartungshaltung aufbaut, weiß sie: "Das ist gut." Schon wird die dritte Phase geplant. Von 2018 an will der RBB das Mittagsmagazin der ARD übernehmen. Und auch ein Flaggschiff wie die Abendschau soll angepackt werden, das Nachrichtenmagazin der Hauptstadt. Es ist eine Marke in Berlin, seit fast 60 Jahren, und kann doch eine Prüfung nach dem neuen Claim vertragen - nicht zu langweilen.

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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