Rundfunk:Berliner Luft

Lesezeit: 4 min

Der RBB wählt nächste Woche eine neue Senderführung und präsentierte dafür eine erstklassige Kandidatenriege. Doch die wird auf einmal kleiner als gedacht.

Von Jens Schneider und Claudia Tieschky

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ist ein Sender mit eingebauter Identitätsstörung. Er sitzt in der Hauptstadt, aber das Hauptstadt-Studio der ARD verantwortet der Kölner WDR. Auch sonst darf der RBB kein richtiger Hauptstadtsender sein, es gibt ja auch die Zuschauer in Brandenburg. Der Sender ist die "siebtgrößte Anstalt" in der ARD, so steht es im ARD-Web und bedeutet: die siebtgrößte von neun. Sechs Millionen Menschen leben in seinem Sendegebiet, dort erreicht der RBB einen Marktanteil von etwas mehr als sechs Prozent. Das ist deutlich verbesserungswürdig, das wissen alle, aber wie das gehen soll, das weiß keiner so recht. Sie suchen jetzt jemand im RBB, der es wissen soll.

In der kommenden Woche wird eine neue Intendantin oder ein neuer Intendant gewählt, der am 1. Juli die Senderchefin Dagmar Reim beerben wird, die aus persönlichen Gründen ihr Amt vor Vertragsende aufgibt. Ausgerechnet in dem kleinen ARD-Problembezirk hat die Findungskommission Kandidaten von einer Klasse aufgeboten, von der mächtigere ARD-Sender nur träumen können. Auffallend war, dass es ausschließlich externe Kandidaten auf die Liste schafften, die sich nicht selbst beworben hatten und zur Kandidatur ermuntert wurden. Im Rennen ist inzwischen noch Theo Koll, der 58-jährige ZDF-Studioleiter in Paris, den die Leute als Moderator des ZDF- Politba rometers und des Auslandsjournals kennen, wobei seine Bildschirmpräsenz immer ein wenig darüber hinwegtäuscht, dass Koll auch Leiter der wichtigen Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen war und viel Erfahrung in der Senderhierarchie mitbringt. Kandidatin ist auch Patricia Schlesinger, 54. Die frühere ARD-Washington-Korrespondentin und heutige Leiterin des Programmbereichs Kultur und Dokumentation im NDR Fernsehen gilt als durchsetzungsfähige Frau mit Einfluss. Sie gehört zu den wichtigen Programmmachern in der ARD, erkannte und förderte etwa das Talent von Dokumentarfilmer Eric Friedler ( Honeckers Ende) und betreute für den NDR Produktionen wie Citizenfour, die 2015 den Oscar gewann.

Eine Garantie für Herres' Wahl gab es nicht. Hat er sich deshalb so entschieden?

Bis Mittwoch war auch ARD-Programmdirektor Volker Herres, 58, dabei. Sein aktueller Posten in München wäre im Fall seiner Wahl schon im Sommer frühzeitig frei geworden - auch das beflügelte Fantasien, wer angeblich Interesse an seinem Wechsel zum RBB habe. Herres galt als chancenreich, doch dann teilte er am Donnerstag mit, dass er sich nicht zur Wahl stelle: Er sei über die Feiertage zu dem Ergebnis gekommen, "dass ich meinen jetzigen Job weitermachen will, weil ich ihn für eine spannende Herausforderung halte", sagte Herres der SZ. Er habe beim RBB deshalb am Mittwoch nach Ostern abgesagt.

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg trägt seine Probleme schon im Namen. Ein Großstadtsender wäre man gerne, aber auf keinen Fall soll das flache Land zu kurz kommen. (Foto: rbb/Hanna Lippmann)

Für die Findungskommission muss das überraschend gekommen sein - dort hatte man Herres Worte nach einer Sitzung am Gründonnerstag als Zusage für eine Kandidatur mit Schlesinger und Koll als Rivalen verstanden. Ein Missverständnis?

Im RBB-Gremium tat sich in den vergangenen Tagen jedenfalls Erstaunliches. Die von Herres Überzeugten versuchten massiv, Stimmen für ihren Favoriten zu besorgen. Seine Fans fanden die Idee hinreißend, ein ARD-Spitzenmanager könnte ihr kleines Haus aufmöbeln. Tatsächlich ist Herres in der ARD nicht unumstritten, auch weil die Quoten des Ersten 2015 auf einen Marktanteil von 11,6 Prozent sanken. Damit lag man hinter dem ZDF und den Dritten Programmen (beide 12,5 Prozent). Andrerseits ist gerade Quotenhörigkeit die Hauptkritik am Programm der Öffentlich-Rechtlichen. Herres liebt Quote, aber er lässt sich zumindest immer wieder breitschlagen, flexibel Platz für besondere Filme und Dokumentationen zu schaffen.

Das Berliner Lebensgefühl soll der RBB ins weite Land tragen. Bisher ist das Wunschdenken

Der bunt aus Berlinern und Brandenburgern gemischte Rundfunkrat aber ist schwer kalkulierbar. Herres konnte kaum sicher sein, die nötige Zweidrittelmehrheit zu erhalten. Gab das den Ausschlag für die Absage? Schlesinger und Koll haben in diesem Rennen viel zu bieten und nichts zu verlieren. Bei Herres war das anders.

Völlig unberechenbar ist nach wie vor, wie diejenigen Rundfunkräte abstimmen werden, die sich von der Findungskommission düpiert fühlen. Denn die berücksichtigte keinen der senderinternen Bewerber bei der Endauswahl, das gefällt nicht jedem im Gremium. Mit diesem Ärger wird sich der Rundfunkrat dem Vernehmen nach am kommenden Donnerstag erst einmal beschäftigen müssen, bevor es zur Kür der neuen Spitze geht. Die Findungskommission werde das erklären müssen, heißt es von Mitgliedern des Rundfunkrats. Ohnehin steht diese Kommission, die dem Rundfunkrat am Karfreitag Herres, Schlesinger und Koll als finale Kandidaten-Runde präsentiert hatte, nun etwas seltsam da.

Die kuriose Vorgeschichte dieser Wahl zeigt auch, wie groß die Sehnsucht im RBB danach ist, eine prominente Kraft von außen mit einer Neuordnung zu betrauen. Die neue Führung soll dabei gegensätzliche Wünsche befriedigen. Der RBB soll der Hauptstadtsender sein, der Berliner Lebensgefühl ins weite Land trägt. Das bleibt bisher Wunschdenken, vermisst werden markante Sendungen und Gesichter.

Zugleich wird aus Brandenburg angemahnt, dass die Peripherie jenseits der Hauptstadtregion mehr vorkommen müsse. Das Verhältnis zwischen Stadt und Land ist hier notorisch schlecht. Die Märker fühlen sich von der Hauptstadt gern missachtet. Das ist in Teilen ein künstlicher Gegensatz, Berlin und der wachsende Speckgürtel in Brandenburg inklusive Potsdam verschmelzen längst. Aber man sorgt sich um die Versorgung von Lausitz und Uckermark. Gern wird der NDR als Vorbild genannt, dort glücke die Balance zwischen Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Auch deshalb soll Schlesinger zur Kandidatur ermuntert worden sein.

Die Bilanz des RBB ist zwiespältig. Beim Radio gelingt eine Vielfalt von erfolgreichen Programmen, die sich in den Ländern verankert haben. Im TV fällt es schwerer, Profiliertes zu benennen. Ausdauernd erfolgreich ist der RBB zwischen 18 und 20 Uhr, wenn die Sendungen über das Tagesgeschehen in der Hauptstadt und der Region eingeschaltet werden: die Berliner Abendschau, Institution seit Jahrzehnten, und parallel Brandenburg aktuell.

Nach dem frühen Abend verliert der Sender seine Zuschauer schnell, davor schalten wenige ein. Das will man ändern: Seit dem letzten September gibt es nachmittags das Magazin rbb UM4. Aus einem 14 Meter langen Sattelschlepper wird täglich von einem anderen Ort aus live gesendet - mal ist es Wandlitz, dann der Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, tags darauf der Dorfanger in Falkensee. Nach einem halben Jahr konnte die Quote verdoppelt werden, allerdings von einer schwachen Ausgangsbasis, auf jetzt mehr als fünf Prozent.

Es ist keine leichte Aufgabe. Die Bewerber fänden Berlin reizvoll, hieß es aus dem Kreis der Findungskommission. Die berühmte Berliner Luft? Volker Herres twitterte am Donnerstag gewiss nicht ohne Hintersinn, dass die Lebenserwartung von Männern in München 2,4 Jahre über der in Berlin liege. Das war nach seiner Absage.

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: