Probleme bei der Nachrichtenagentur Reuters:Diktator-Dolmetscher mit Doppelrolle

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Eine Geschichte wie aus einem schlechten Krimi: Im Jemen wird der Dolmetscher des Diktators Salih entführt und wieder freigelassen. Dabei kommt heraus: Der Mann hat eine Doppelrolle, er ist auch Reporter für die westliche Nachrichtenagentur Reuters. Doch der ist das noch nicht mal peinlich.

Frederik Obermaier

Es war eine Entführung so typisch wie alltäglich für Jemen: Nicht weit vom Flughafen der Hauptstadt Sanaa stoppen bewaffnete Männer das Auto von Mohamed Sudam und verschleppen ihn. Sie denken, den persönlichen Übersetzer des Diktator Ali Abdullah Salih geschnappt zu haben. Dessen Partei ist empört, aber nicht weil der Dolmetscher Sudam gekidnapped wurde: Der Reporter Sudam wurde entführt. Damit haben die Probleme für die Nachrichtenagentur Reuters angefangen.

Die Beiträge des Diktator-Dolmetschers hätten "die hohen Standards von Reuters erfüllt", erklärt die Agentur (hier im Bild das Berliner Büro). (Foto: ddp)

Reuters führt Mohamed Sudam auf seiner Gehaltsliste als "Contractor", als freien Mitarbeiter also, sein Name steht unter Dutzenden Reuters-Meldungen. Zeitungen auf der ganzen Welt haben seine Berichte über die Proteste gegen Salihs 33 Jahre währende Herrschaft gedruckt. "Schande auf Reuters", schreien jemenitische Aktivisten nun auf Facebook.

Neue Beiträge, in denen die Glaubwürdigkeit der traditionsreichen Agentur angezweifelt wird, gibt es bei Twitter im Stundentakt, die Reuters-Meldungen der vergangenen Wochen werden regelrecht seziert. Und es wird gespottet. Wie glücklich Sudam, der wenige Tage nach seiner Entführung freigelassen wurde, sich doch schätzen könne, schreibt einer: zweimal bezahlt zu werden, "einmal von Salih für das Fälschen von Nachrichten und ein anderes Mal von Reuters fürs Veröffentlichen".

Im Internet ist das Reuters-Handbuch einsehbar, darin heißt es in Satz Eins: "Alles, was wir (. . .) tun, muss unabhängig und frei von Befangenheit sein." Die New Yorker Reuters-Zentrale hatte offenbar dennoch kein Problem mit Sudams Doppeltätigkeit. Davon habe man gewusst, hieß es Anfang der Woche auf Anfrage. Die Beiträge des Journalisten hätten stets "die hohen Standards" von Reuters erfüllt. Und: Die Zusammenarbeit werde fortgesetzt. Erst nach weiteren öffentlichen Protesten gab Reuters nun nach. Sudam werde künftig nicht mehr über Jemen schreiben, über den Mittleren Osten aber schon.

© SZ vom 19.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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