Pressestreit: Privatsphäre von Promis:Am Twitter-Pranger

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Britische Medien haben strenge Auflagen, wenn es um die Privatsphäre von Promis geht. Auf Twitter hingegen werden munter deren Liebesaffären verkündet. Haben die sozialen Medien die hungrige Bestie Boulevard als größte Bedrohung für die Privatsphäre der Promis abgelöst?

Wolfgang Koydl

Die britische Presse, zumal die Boulevard-Spielart, ist eine hungrige Bestie. Zum Schutz vor diesem Raubtier hat sich das Land extrem strenge Handhaben gegeben: "Libel laws" ahnden üble Nachrede, "injunctions" (Unterlassungsverfügungen) sollen die Privatsphäre schützen. Kaum etwas fürchten Redakteure mehr, als gegen diese Anordnungen zu verstoßen. Denn sie werden mit aller Macht durchgesetzt, bis hin zu Haftstrafen.

Strenge Pressegesetze sollen britische Prominente vor der "hungrigen Bestie Boulevard" schützen. Doch sie gelten nicht für Twitter. (Foto: AFP)

Diese rechtlichen Instrumente haben eine lange Tradition im Königreich, was freilich dazu geführt hat, dass sie in Zeiten moderner sozialer Medien wie Facebook oder Twitter nicht mehr greifen. Der Widerspruch zwischen Anspruch und praktizierter Wirklichkeit ist nun voll entbrannt und hat Juristen, Journalisten und Politiker auf den Plan gerufen. Im Mittelpunkt des Streits stehen die "injunctions", mit denen jedermann - in erster Linie Medien - die Veröffentlichung bestimmter Informationen über bestimmte Personen untersagt wird. Noch einengender sind "super-injunctions": Sie verbieten, auch nur über die Existenz einer Unterlassungsverfügung zu berichten.

Was aber, wenn der Name einer derart geschützten Person gleichwohl Allgemeingut geworden ist - etwa über Twitter? Dies trifft beispielsweise auf einen Profi-Fußballer zu, der eine Affäre mit einem früheren Model gehabt haben soll, die er unter allen Umständen geheim halten wollte, um seine Frau und seine Kinder vor Presse-Nachstellungen zu schützen. Dass der Spieler von Manchester United auch um den eigenen Ruf als Familienvater fürchtete, versteht sich von selbst.

Noch zu Wochenbeginn hätten sich britische, aber auch ausländische Medien erhebliche juristische Schwierigkeiten einhandeln können, wenn sie den Namen des Sportlers veröffentlicht hätten. Denn die Verfügung galt für alle Publikationen, die in England und Wales erhältlich sind.

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Die Rechtslage freilich wurde umso absurder, als kaum mehr jemand den Namen des Fußballers nicht kannte: Zehntausende von Twitter-Nutzern setzten sich über eine inzwischen erwirkte Verfügung gegen das Netzwerk hinweg und twitterten den Namen in alle Welt. Beim letzten United-Heimspiel verhöhnten die Fans den Spieler in Sprechchören, am Sonntag brachte der in Glasgow erscheinende Sunday Herald sein Foto - man berief sich auf Schottlands eigenes Rechtssystem, für das die Verfügung nicht gelte.

Der letzte Damm brach, als der liberaldemokratische Abgeordnete John Hemming den Namen des Spielers im Parlament nannte: Es sei "unpraktisch, 75 000 Twitter-Nutzer ins Gefängnis zu schicken", sagte er und berief sich auf ein Privileg, das Volksvertreter von Strafverfolgung ausnimmt. Unter Berufung auf Hemming konnte nun auch die Presse berichten. Dennoch bekräftigten die Richter des High Court Stunden später die Verfügung.

Nun schaltete sich Premierminister David Cameron ein. "Unhaltbar" sei es, wenn Zeitungen nicht veröffentlichen dürften, worüber alle Welt spräche. Er setzte eine überparteiliche Kommission ein, die sich bis Herbst Gedanken machen soll über ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre, das moderne Technologien berücksichtigt. Bis dahin würde das Recht von Gerichten formuliert, nicht vom Gesetzgeber. Auch Prominente dürften sich mittlerweile eine neue Rechtsgrundlage wünschen. Die Affäre des Fußballers ist zum abschreckenden Beispiel geworden: Was sonst eine schnell vergessene Boulevard-Story gewesen wäre, ist zum internationalen Skandal geworden - trotz der Unsummen, die der Spieler seinen Anwälten gezahlt hat.

© SZ vom 26.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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