Nachrichten auf dem Tablet-Computer:Die iPad-Illusion

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Tablet-Computer sollen die Zeitungsbranche retten, weil Nutzer Geld für Nachrichten zahlen. Doch eine Zwischenbilanz zeigt: Der Traum könnte sich als Chimäre entpuppen.

Johannes Kuhn

Diese Worte werden Matthias Döpfner noch verfolgen, wenn das iPad längst ein Museumsstück ist: "Jeder Verleger der Welt sollte sich einmal am Tag hinsetzen, um zu beten und Steve Jobs dafür zu danken, dass er die Verlagsbranche rettet", hatte der Springer-Chef im Frühjahr 2010 erklärt. Doch die Euphorie weicht in vielen Verlagshäusern derzeit der Ernüchterung: Ein Allheilmittel für die Probleme der Branche ist der Jobs'sche Flachcomputer nicht.

Das  iPad als Rettung für die Verlagsbranche - so sicher wie Springer-Chef Matthias Döpfner sind sich bei weitem nicht alle in der Branche. (Foto: dpa)

Dies zeigen jüngst veröffentlichte Statistiken aus den USA: Demnach müssen viele iPad-Magazine herbe Verkaufsrückgänge hinnehmen. Bekanntestes Beispiel ist die App des US-Magazins Wired, die für ihre Multimedialität großes Kritikerlob einheimste: Verkaufte sich die iPad-Debütausgabe im Juni noch 100.000 Mal, lag die Zahl im November nur noch bei 22.000. Auch andere US-Magazine wie Vanity Fair, GQ oder Glamour mussten seit dem Sommer Verkaufsverluste von bis zu 20 Prozent hinnehmen.

Das ist an sich noch wenig aussagekräftig: Die Zahl der verkauften Tablet-Computer - dazu zählen neben dem iPad auch Geräte mit anderen Betriebssystemen wie Googles Android - dürfte 2011 deutlich ansteigen und somit auch den Umsatz mit Medien-Apps wachsen lassen. Dennoch wird der Chor von Stimmen lauter, die Verleger vor zu großen iPad-Hoffnungen warnen und ihnen Versäumnisse verwerfen.

Die Haken am iPad-Verlegertraum im Einzelnen:

Verfehlte Preispolitik: Bislang versuchen die Verlage häufig, ihre iPad-Editionen für den gleichen Preis wie am Kiosk zu verkaufen - oder sogar teurer, wie zum Beispiel das Wall Street Journal: Ein Wochenabo kostet auf dem Apple-Gerät 3,99 Dollar, ein Wochenabo der Papierausgabe inklusive Zugang zu den hinter einer Paywall versteckten Online-Inhalten jedoch nur 2,69 Dollar.

Allerdings führt auch ein niedriger Preis nicht zwangsläufig zu besseren Verkäufen: So bietet Springer die Welt als HD-App deutlich günstiger als das gedruckte Produkt an. Mit 7700 verkauften Abos in knapp acht Monaten (von 7,99 Euro pro Monat bis 79,99 Euro pro Jahr gelang dem Verlag bei 430.000 verkauften Tablet-Computern in Deutschland 2010 jedoch kein Kassenschlager - allerdings auch kein wirklicher Flop. Niedrige Preise haben allerdings eventuell einen anderen Nachteil: Schenkt man einer Umfrage des Reynolds Journalism Institute (RJI) der Universität Misouri Glauben, führen iPad-Apps zu einer ...

Kannibalisierung: 1600 iPad-Nutzer waren für die RJI-Studie befragt worden. Die frohe Botschaft dabei: 84,4 Prozent der Befragten gaben an, das iPad für den Konsum von Nachrichten zu verwenden. Die schlechte: 58 Prozent der Nutzer, die ausgiebig eine Nachrichten-iPad-App verwendeten und noch das Abo einer gedruckten Zeitung besaßen, gaben an, dies höchstwahrscheinlich in den kommenden sechs Monaten zu kündigen. Gefragt, unter welchen Umständen sie ihr Print-Abo sofort aufgeben würden, nannten die meisten einen klaren Zeitpunkt: In dem Moment, in der der Preis für ein App-Abo unter das eines Print-Abos fällt.

Fehlende Experimentierfreude: "In einer App-Wirtschaft zu konkurrieren bedeutet, etwas mehr als die digitale Version eines Magazins anzubieten", forderte jüngst Darrell Etherington von der bekannten Technologieseite Gigaom,"und das bedeutet nicht, einfach ein bisschen Audio und Video in eine eingescannte Seite einzubauen." Sein Urteil, dass viele Magazin- und Zeitungs-Apps bislang hinter den Möglichkeiten zurückblieben, teilen viele Beobachter. Die Zögerlichkeit der Branche ist allerdings auch der Tatsache geschuldet, dass noch niemand weiß, wie ertragreich das Tablet-Geschäft tatsächlich einmal sein wird - und eine iPad-Ästhetik sich gerade erst herausbildet.

Die Reader-Denke: In ihrer iPad-Euphorie haben viele Medienmacher nicht bedacht, dass ihre Produkte nun mit ganz anderen Formaten konkurrieren: Tablet-Computer sind nicht nur Lesegeräte für Magazine, Zeitungen und Bücher, sie fungieren auch als Internet-Surfgeräte, Spielekonsolen, Musik- und Videoplayer. Bisherige Studien zeigen, dass Games eine überraschend große Rolle bei der Nutzung des iPads spielen. Das Zeitbudget der Nutzer ist nur begrenzt - und Medien-Apps werden künftig im Kampf um die Gunst der Leser gegen ausgefeilte Tablet-Spiele, hochauflösende Filme, Programme zur Produktion von Musik oder bildender Kunst oder einfach optisch ansprechenden Internetseiten im neuen Webstandard HTML 5 antreten. Zumindest ein fünftes Problem könnten die Verleger bald von ihrer Liste streichen: Sowohl Apple als auch Google sind einem Bericht des Wall Street Journals zufolge bereit, ihnen beim Verkauf von App-Abos entgegen zu kommen und bestimmte Nutzerdaten weiterzugeben.

Auf eine solche Abonnentenkartei, die im Printgeschäft aus Marketinggründen eine große Rolle spielte, mussten viele Verlage bislang verzichten. Allerdings dürften die Voraussetzung für die Weitergabe auch Datenschützer interessieren: Während Apple bislang dem Bericht zufolge darauf besteht, dass Kunden bei der Weitergabe von Namen und E-Mail-Adresse zustimmen müssen, spekuliert MG Siegler vom US-Technologieblog Techcrunch, dass Google für seinen geplanten Online-Zeitungskiosk für Android-Geräte das Opt-Out-Verfahren wählt. Dies würde bedeuten, dass Kunden der Datenweitergabe aktiv widersprechen müssen, um sie zu verhindern.

Verleger, die häufig die fehlende Kompromissbereitschaft von Google kritisieren, könnten solche Zugeständnisse zur schnelleren Entwicklung von Apps für Android-Tablets ermutigen. Weil iPad-Nutzer Untersuchungen zufolge häufig an Nachrichten interessierte Gutverdiener sind, die auch Werbeanzeigen in Kauf nehmen, dürfte die Branche die Hoffnung auf das Tablet-Wunder nicht so schnell aufgeben.

Ob die Flachcomputer wirklich der Königsweg sind, im Netz ein Finanzierungsmodell für Informationen mit häufig beschränktem Haltbarkeitsdatum zu finden, dürfte maßgeblich das Schicksal der Branche bestimmen - weit über 2011 hinaus.

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