Klatschpresse:Die Eindringlinge

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Respektlose Recherche muss sein, wenn es um gesellschaftlich relevante Dinge geht. Erbärmlich aber ist der Journalismus dort, wo er privates Fehlverhalten oder Leid ausspioniert, als lebte man im Überwachungsstaat. Der Abhörskandal um "News of the World" rüttelt in Großbritannien zurecht Politik und Gesellschaft auf. Der Fall zeigt: Absolute Transparenz kann menschenverachtend sein.

Nicolas Richter

Medien, die sich seriös nennen, hat Rupert Murdoch immer als Zumutung empfunden. Sie seien, erklärte er gern, versnobt, elitär, ohne jedes Gefühl für das, was das Volk interessiere. Murdoch liefert lieber Sport, Unterhaltung, Klatsch und Sex, seine Ware fand, besonders im schadenfrohen Großbritannien, reißenden Absatz. Vor zwei Wochen hat der Guardian, eine Zeitung, die nach Murdochs Maßstäben grau, unpopulär, vor allem aber wirtschaftlich trostlos ist, Murdochs Schlagzeilenbeschaffer als Spitzel enttarnt und das Volk so in Rage versetzt, dass es Murdoch zu verjagen droht.

Selten haben sich in Europa Bürger und Politiker so gegen einen Konzern aufgelehnt. Der Auslöser, der Fall Milly Dowler, erklärt die Revolution gegen den einst Allmächtigen nur zum Teil. Dass Murdochs Zeitungsagenten die Mailbox einer 13-Jährigen manipulierten, während sie ermordet wurde, ist auch deswegen so verstörend, weil Murdochs Blätter sich immer rühmten, die Anwälte der kleinen Leute zu sein. Die Zeitung News of the World hat sich also an einer derjenigen versündigt, die sie zu beschützen vorgab. Das Volk erkennt: Die Presse spioniert nicht nur, wenn Max Mosley SM-Party feiert, sondern bei uns allen.

Recht auf Privatheit

Für Murdoch sind die Konsequenzen nicht mehr abzusehen. Besorgniserregend ist für ihn - jenseits der Straftaten, die seine Leute begangen haben - erstens, dass die britische Politik, die ihm hörig war, jetzt mit ihm bricht. Zweitens befeuert der Skandal eine grundsätzlichere Kontroverse, die in Großbritannien seit Monaten schwelt, und die dem Boulevard die Geschäftsgrundlage entziehen könnte: Die Briten suchen ein neues Gleichgewicht zwischen Privatem, dem öffentlichen Recht auf Information ( right to know) und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. In diesem Streit gewinnt das Gut des Privaten stets neue Kraft. Das ist eine giftige Entwicklung für das Boulevardgeschäft, das im Wesentlichen ermitteln möchte, wer es gerade mit wem treibt.

Der Mensch habe in modernen Zeiten das Bedürfnis nach Rückzug, doch dringe die Medienindustrie in sein Zuhause ein und füge ihm durch ihren Tratsch Schmerzen zu; der Mensch benötige folglich das Recht auf Privatheit, das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Diese Diagnose haben angelsächsische Juristen in der Harvard Law Review veröffentlicht - im Jahr 1890. Inzwischen hat sich die Technik entwickelt, Handys können filmen, mit ein paar Tasten lässt sich die Welt über jeden Vorgang in Echtzeit informieren. Unverändert ist hingegen der Drang der Menschen, zu erfahren, wer gerade seine Frau betrügt (oder, noch besser, den eigenen Bruder mit dessen Frau).

Der Schutz des Privaten aber hat im britischen Recht erst vor 13 Jahren überhaupt Erwähnung gefunden, als das Land die Europäische Menschenrechtskonvention übernahm. Privatsphäre, auch für Prominente und Politiker: Das war aus Sicht der Briten eine jener verdächtigen Skurrilitäten, die die europäische Einigung ihnen zumutete und die nur von den katholischen, also sündigen Franzosen stammen konnte, die schon immer gute Gründe dafür hatten, sich nicht ins Schlafzimmer spähen zu lassen. Nun verfängt die Idee auch unter Briten.

Erst zaghaft, zuletzt aber immer entschiedener, haben sich die Gerichte auf den Schutz des Privaten berufen, um Berichte über bestimmte Sexaffären zu verbieten. Fred Goodwin, der die Royal Bank of Scotland in den Kollaps gewirtschaftet hatte, erwirkte einen Beschluss, wonach sein Verhältnis mit einer Kollegin nichts für die Presse sei. Der Boulevard zitterte vor Empörung. Sinngemäß: Wenn der Steuerzahler schon die Bank retten muss, so hat er wohl noch einen Anspruch zu wissen, mit wem der Chef ins Bett geht. Nach dieser Logik müsste man, bevor man zur Wahl geht, auch Rechenschaft über die sexuellen Vorlieben der Kandidaten fordern.

Hier offenbart sich die ganze Absurdität dieses Informationsanspruchs: Der Boulevard tut so, als schütze er die Demokratie, kontrolliere die Mächtigen, entlarve die Prominenten. In Wahrheit interessiert sich die Zunft aber eben nicht für die Gründe der Bankenpleite, sondern dafür, wo und wie der Boss seiner Kollegin näherkam. Überlebenswichtig für den Boulevard ist das Recht, sich - unter Verweis auf Ethik und Transparenz - mit Sex zu beschäftigen, weil dieses Thema Auflage und Geld bringt. Skurril wird es, wenn Chefredakteure dann erklären, das Land sei wegen seiner vorlauten Presse weniger korrupt. In Wahrheit ist es die Boulevardpresse (nicht nur Murdochs), die ein System geschaffen hat, in dem keine Krankenakte mehr davor sicher ist, an Klatschreporter verkauft zu werden.

Zu viel Schnüffelei: In Großbritannien ist nach dem Ende der News of the World eine Diskussion um die Recherchemethoden der Presse entbrannt. (Foto: dapd)

Schlimmer noch ist, wie käuflich die Politik war. So sehr etliche Abgeordnete und Minister jetzt Murdoch schmähen, so sehr haben sie dessen Geschäft toleriert, gar geschützt, aus Angst oder Opportunismus. Premierminister David Cameron ließ sich von einem Mann beraten, der selbst für die News of the World nicht mehr tragbar war. Cameron war es, der sich gegen ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre wehrte. Der Boulevard hätte Vergeltung genommen für dieses Gesetz, weshalb Cameron lieber die Richter in der Schusslinie stehen ließ, als sie ohne klaren rechtlichen Rahmen die Grenzfälle lösen mussten. Der Staat also kapitulierte vor den Lobbyisten - eine Tatsache, die Journalisten gerne den Politikern vorwerfen, es sei denn, sie sind selbst die Lobbyisten.

Das obskure Gekungel in Paris

Unlängst immerhin konnten sich die britischen Verfechter des Voyeurismus über ihre Kollegen auf dem Festland lustig machen: Als der Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn unter Hausarrest stand, weil er angeblich ein Zimmermädchen vergewaltigt hatte. Hatten es die französischen Journalisten nicht jahrelang und trotz etlicher Hinweise versäumt, auf die Charakterschwäche Strauss-Kahns hinzuweisen? Aus falscher Rücksicht auf das Private, aus der Sorge, jene Pariser Kreise zu stören, zu denen sie selbst gehörten? Hätten die Franzosen nicht fast einen Mann mit schwer kontrollierbarem Trieb zum Präsidenten gewählt, weil die Medien sich anbiederten? In der Tat: Die Presse hat in diesem Fall versagt. Aber diese Feststellung rechtfertigt es nicht, jeden Fußballspieler oder Kinostar zu verfolgen, der sich einen Seitensprung erlaubt.

Respektlose Recherche muss sein, wenn es um gesellschaftlich relevante Dinge geht. Die britische Presse protestiert denn auch zu Recht, wenn jetzt Unternehmen vor Gericht versuchen, unter Verweis auf Geheimhaltungsinteressen eine kritische Verdachtsberichterstattung über ihre Geschäfte zu verhindern. Erbärmlich aber ist der Journalismus dort, wo er privates Fehlverhalten oder Leid ausspioniert, als lebte man im Überwachungsstaat. Absolute Transparenz kann menschenverachtend sein.

Murdochs Journalisten haben diese Art der Transparenz vollstreckt, und die Briten fühlten sich bestens unterhalten. Jetzt erkennen sie, dass Murdoch ein Vermögen damit gemacht hat, sie gegeneinander auszuspielen.

© SZ vom 16.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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