Jan Böhmermann:Er bleibt dabei

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In der Debatte um sein Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdoğan lehnt Jan Böhmermann eine Unterlassungserklärung ab. Die Grünen wollen derweil den Paragrafen zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter abschaffen.

Von Carolin Gasteiger und Claudia Tieschky

Wer Jan Böhmermanns Gedicht "Schmähkritik" anschauen möchte, kann das ganz leicht tun. Man findet es im Netz und unter anderem auch bei Bild.de. Die FAZ hat die Passage aus der Sendung Neo Magazin Royale am Mittwoch im Wortlaut in ihrem Politikteil abgedruckt. Nur beim ZDF selbst ist die "Schmähkritik" am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan seit 1. April nicht zu finden; die Sendung vom 31. März steht ohne die entsprechende Passage in der Mediathek, weil sie nicht die Ansprüche erfülle, "die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt", wie der Sender zur Begründung mitteilte.

Nun haben ZDF-Mitarbeiter die Löschaktion und damit die Entscheidung der Senderführung offen angegriffen. In einem im Haus verteilten Brief verlangt der Redaktionsausschuss, die "Schmähkritik" wieder in der Mediathek zu zeigen - "als Dokument der Zeitgeschichte", wie Spiegel Online aus dem Schreiben zitierte. Die offizielle Reaktion des ZDF ist knapp. Es sei "das gute Recht des Redakteursausschusses, diese Meinung zu vertreten", man bleibe aber dabei, diesen Teil der Sendung nicht mehr zu verbreiten, er entspreche nicht den Qualitätsansprüchen und den Regularien. Gespalten sei das ZDF nicht, teilt ein Sprecher mit, "aber selbstverständlich wird so ein Thema lebhaft diskutiert".

Im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mainz gegen Böhmermann hat das ZDF inzwischen eine Stellungnahme abgegeben. Der Sender hält das Schmähgedicht demnach für "rechtlich zulässig". Das habe ein vom ZDF beauftragtes anwaltliches Gutachten ergeben. Die grundsätzlich garantierte Satirefreiheit umfasse auch den Einsatz grober Stilmittel unabhängig von Geschmacksvorstellungen.

Jan Böhmermann jedenfalls steht zu seiner Aktion, die zum Politikum geworden ist; er erhält inzwischen Polizeischutz. Eine Unterlassungserklärung, die Erdoğans Anwalt verlangt hat, hat er nicht abgegeben. Das bestätigten die Anwälte beider Seiten der SZ. Böhmermanns Anwalt Christian Schertz sagt: Es sei "offensichtlich übersehen worden, dass das Gedicht nicht solitär verbreitet wurde, sondern in einer Gesamtdarstellung über das, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht". Tatsächlich wirft der Fall die Frage auf, inwieweit das Gedicht, das viele Beleidigungen enthält, von seinem Kontext isoliert betrachtet werden kann. Böhmermann hatte in der Sendung immer wieder darauf hingewiesen, dass das, was er nun sage, in Deutschland nicht gesagt werden dürfe. Der deutsche Anwalt Erdoğans, Michael-Hubertus von Sprenger, rechnet jetzt damit, dass es zum Prozess kommt. Der türkische Präsident hat persönlich Strafantrag gestellt, die Bundesregierung muss zudem entscheiden, ob sie dem Ersuchen der Türkei nach Strafverfolgung auf Grundlage von Paragraf 103 Strafgesetzbuch nachkommt, der die Beleidigung von Oberhäuptern ausländischer Staaten unter Strafe stellt, wenn diese es verlangen. Die Türkei hat es verlangt.

Die Bundestagsfraktion der Grünen will nun genau diesen Paragrafen 103 abschaffen; ein entsprechender Gesetzesentwurf von Renate Künast und Hans-Christian Ströbele ist am Donnerstag eingebracht worden und liegt der SZ vor. "Diese Strafnorm ist ein Relikt aus uralten Zeiten und gehört abgeschafft. Ausländische Staatsvertreter, egal ob demokratisch gewählt, diktatorisch oder irgendwie dazwischen, brauchen keinen höheren strafrechtlichen Schutz als alle anderen Menschen", erklärte Künast. Sie hoffe bei einer möglichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Mainz darauf, dass Jan Böhmermann "seine Mega-Popularität nutzt, um auf die Situation inhaftierter Journalistinnen und Journalisten in der Türkei aufmerksam zu machen".

Sollte der Bundestag Paragraf 103 abschaffen, müsste das neue Gesetz vom Bundespräsidenten unterschrieben und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden, bevor es gültig ist. Erst dann könnte sich die Änderung auf einen Prozess gegen Böhmermann auswirken, in dem Kunst- und Satirefreiheit zur Verhandlung stehen. Der von Erdoğan persönlich gestellte Strafantrag wäre von einer solchen Gesetzesänderung nicht berührt.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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