Facebook kündigt neuen Algorithmus an:Wie Facebook an der Schraube dreht

Der Facebook Newsfeed ist sehr wichtig für das Unternehmen, und "FB Purity" stört.

Medienbeiträge könnten mit dem neuen Facebook-Algorithmus künftig aus den Timelines verschwinden.

(Foto: Dado Ruvic/Reuters)
  • Künftig sollen Facebook-Nutzer mehr Privates und weniger Nachrichten in ihren Timelines vorfinden.
  • Mit einem neuen Algorithmus sollen Inhalte von Freunden priorisiert werden.
  • Verlage und Medienunternehmen stehen damit vor einem Problem.

Analyse von Johannes Boie

Facebook wird in den kommenden Wochen an der Schraube drehen, die bestimmt, was Facebook-Nutzer zu sehen bekommen. Es wird dabei, kündigt der kalifornische Konzern in einer Botschaft an die Nutzer an, vor allem darum gehen, die Bilder, Videos und Texte von "Freunden, die dir wichtig sind" mit höherer Priorität anzuzeigen. Die Schraube, die in Wahrheit ein komplexer Algorithmus ist, den Informatiker programmieren, gibt es nur deshalb, weil es für jeden einzelnen Facebook-Nutzer zu viele Informationen gibt, als dass er sie alle anschauen könnte.

Der Algorithmus muss ordnen, sortieren, vorenthalten. Dementsprechend werden Inhalte, die nicht von "Freunden, die dir wichtig sind" stammen, künftig weniger angezeigt werden. Das wird vor allem Verlagsinhalte betreffen, denn Facebook ist längst der größte Verbreiter von Nachrichten geworden - das gilt für die gesamte Welt mit Ausnahme von China und abgeschotteten Staaten wie Nordkorea und überdies für die gesamte Geschichte der Menschheit.

Je mehr Leser, umso höhere Anzeigenpreise

Facebook hat schon häufig an dieser Schraube gedreht. Der Konzern kann damit ganze Medienkonzerne ins Abseits schießen, sind die doch mittlerweile sehr stark auf Leser angewiesen, die durch Facebook auf Nachrichten aufmerksam werden und sich dann zu den Angeboten der Verlage und Redaktionen durchklicken. Je mehr Leser ein Verlag auf seinen Nachrichtenseiten verzeichnet, umso höhere Preise kann er von Werbekunden verlangen, die auf diesen Nachrichtenseiten Anzeigen schalten möchten.

Einzelne Nachrichten-Texte können auch in Deutschland weit über 50 Prozent aller Leser von Facebook bekommen, der Durchschnittswert für Nachrichtenseiten insgesamt liegt in der Regel darunter, in Europa oft bei 20 bis 30 Prozent, in den USA oft höher. Google, mit der Suche und dem Angebot "Google News" einst größter externer Zuträger von Lesern für die Verlage, ist seit Jahren abgehängt.

Diese Zahlen schwanken auch je nach Ausrichtung einer Nachrichtenseite. Grundsätzlich sind General-Interest-Portale mehr von Facebook abhängig als spezialisierte Medien, jüngere Medien wie Buzzfeed noch mehr als klassische Marken wie die New York Times. Auch die Frage, wie gut eine Redaktion ihre Homepage bestückt und wie gut diese technisch funktioniert - kurz: wie attraktiv sie für Leser ist - spielt eine Rolle.

Für alle Verlage aber, auch für den Süddeutschen Verlag, ist das Verhältnis zu Facebook grundsätzlich problematisch. Weil man auf die Plattform nicht verzichten kann, geben Redaktionen die Hoheit über ihre Inhalte teilweise an das Netzwerk ab. Der Autoritätsverlust betrifft bei vielen Verlagen nicht nur die nun von Facebook erneut demonstrierte Macht über mehr oder weniger Leser und damit mehr oder weniger Umsatz, sondern geht soweit, dass Artikel physikalisch auf den Servern von Facebook gespeichert sind. Nämlich dann, wenn es sich um "Instant Articles" handelt. (Die Süddeutsche Zeitung bietet derzeit keine Instant Articles an.) Außerdem bietet Facebook Verlagen an, die Reichweite einzelner Texte auf Facebook manuell zu erhöhen - gegen Geld.

Der Konzern weiß um die eigene Macht und formuliert in der aktuellen Mitteilung vorsichtig: "Es ist nicht unser Job, auszuwählen, was die Welt lesen sollte. Stattdessen verbinden wir Menschen und Ideen - und wir suchen für die Menschen jene Inhalte, die sie selbst am bedeutsamsten finden." Dank verschiedener Funktionen wie "entfolgen" oder "zuerst anzeigen" habe der Nutzer selbst die Möglichkeit, zu beeinflussen, was er zu sehen bekomme. Diese Darstellung ignoriert allerdings, dass Facebook wiederum die Werkzeuge als solche programmiert, und dass ihre exakte Funktion wie auch die der Algorithmus-Schraube vollkommen undurchsichtig ist. Wenn Facebook wollte, könnte der Konzern selbstverständlich längst global Wahlen beeinflussen und Meinungen manipulieren. Täglich nutzen über eine Milliarde Menschen Facebook, um sich zu informieren. Auch die Entscheidung, mehr Privates und weniger Nachrichtliches in den Nachrichtenstrom all dieser Menschen einzuspeisen, kann letzten Endes zumindest zum Teil beeinflussen, wie sich eine Gesellschaft kurzfristig entwickelt.

Erst vor wenigen Wochen sah sich Facebook heftiger Kritik ausgesetzt, als ehemalige Mitarbeiter berichteten, dass sie angehalten worden seien, konservative Nachrichten zugunsten von tendenziell eher linken Meldungen weniger zu verbreiten - und das in einem Teil von Facebook, der angeblich automatisiert zustande kommen soll. Facebook streitet die Vorwürfe ab und nimmt auch in der aktuellen Ankündigung noch mal Bezug darauf: "Wir favorisieren keine Quellen oder Ideen über andere."

So absolut die Aussage daherkommt - auch bei ihr stellt sich die Frage, ob sie inhaltlich richtig sein kann: Auch Algorithmen sind stets ein Produkt derjenigen, die sie programmiert haben.

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