Whatsapp:Nicht tippen, nicht quatschen - Screenshot schicken

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Null Tippaufwand; kein Emoji-Herzchen-Overload: Der Screenshot im Chat. (Foto: Jessy Asmus/ SZ.de)

Ein Displayfoto per Whatsapp zu versenden geht schneller als tippen und ist weniger peinlich als Sprachnachrichten zu diktieren. Im schlimmsten Fall aber auch gemeiner.

Von Tanja Mokosch

Wenn ich das Whatsapp-Medienarchiv öffne, das ich mit einer Freundin teile, erscheint auf meinem Smartphone-Display - wie auf jedem anderen, nehme ich an - ein gekacheltes Muster. Es setzt sich zusammen aus chronologisch geordneten Miniversionen der letzten 20 Fotos, die wir uns geschickt haben. Nur: Sechs der Bilder sind keine echten Fotos. Es sind Screenshots, grafisch abgespeicherte Zustände unserer Handydisplays. Zum Beispiel mit geöffneter Facebook-App: Eine gemeinsame Urlaubsbekanntschaft ist in der Stadt. Eine Antwortmail auf eine Bewerbung ist auch dabei, genau wie ein Chatverlauf mit einem Arbeitskollegen, den ich nur aus ihren Geschichten kenne. Und ein Auszug aus dem Chatprotokoll mit einer gemeinsamen Freundin.

In dieser gekachelten Bildvorschau machen die Screenshots mehr als ein Viertel der versendeten Medien aus. Die Freundin, deren Kachelmuster auf ihrem Smartphone genauso aussieht, sehe ich oft. Wir telefonieren regelmäßig. Ich weiß, was in ihrem Leben los ist und andersherum.

Der Screenshot alleine kann nichts

Wofür also die Fotos vom eigenen Handydisplay? Der Screenshot kann, wenn er alleine dasteht, ganz ohne Kontext, nicht viel. Denn die meisten der oben aufgezählten Screenshots wären für Außenstehende nutzlos: Der Screenshot kann nicht erzählen, wie man jemanden gemeinsam im Urlaub kennengelernt hat und warum es deshalb von Bedeutung ist, ob dieser Mensch in der Stadt ist. Oder, dass man sich auf eine Stelle beworben hat, die man wirklich gerne hätte - und warum es deshalb von Bedeutung ist, wenn man zum Telefoninterview eingeladen wird. Nur vom Screenshot weiß ich auch nicht, was es wirklich heißt, wenn der Kollege schreibt "Na, geht's dir wieder besser?" (Sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie blau gemacht hat.) oder die gemeinsame Freundin fragt, ob man nicht zusammen in den Urlaub fahren will (Der letzte Urlaub mit ihr war aufgrund spezieller Essgewohnheiten ihrerseits ein bisschen anstrengend).

Wertvoll wird der Screenshot also durch Hintergrundinformationen. Er wird zur Frage nach der Abendplanung: "Wollen wir den Nico aus Portugal nicht vielleicht fragen, ob er Lust auf ein Bier hat?", sagt er nämlich eigentlich. Oder zum Ausdruck von Freude: "Juhu, ich bin zum Vorstellungsgespräch eingeladen." Oder zum Insider: "Weißt du noch, wie die versucht hat, in Marokko auf Französisch Salami-Pizza zu bestellen?"

Was der Screenshot im richtigen Zusammenhang noch kann, ist Authentizität schaffen, sagt Mediensoziologe Florian Muhle von der Universität Bielefeld. "Ein Gespräch läuft ab und hinterher wissen wir gar nicht mehr, was wir gesagt haben", sagt er. "Die Screenshots aber fixieren etwas, das gewesen ist und halten es genau so fest, wie es gewesen ist." Das kann praktisch sein: Die Einladung zur Geburtstagsfeier oder der Konzerttermin werden garantiert fehlerfrei weitergegeben. Drin steht schon wann, wo und was man sonst noch alles wissen muss. Null Tippaufwand. Es kann schön sein: In faden Momenten noch mal im Chatverlauf hochscrollen: "Guck mal, das haben wir uns vor einem Jahr geschrieben. Hach." Null Tippaufwand. Kein Emoji-Herzchen-Overload.

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E-Mails und - ganz undigital - Briefe, könnte man jetzt einwenden, erfüllen doch die gleiche Funktion: wichtige Infos, immer wieder abrufbar. Ja, sagt Muhle. Der Unterschied ist: Sie sind als archivierbare Schriftstücke gedacht - nicht umsonst überlegt man sich beim Verfassen manchmal lange, welche Anrede die richtige ist und sucht nach den richtigen Formulierungen. Nicht so bei der Whatsapp-Konversation. Da gilt oft: Der Daumen war wieder schneller als das Hirn. Hinzu kommt: "Die E-Mail ist Kommunikation zwischen zweien, Whatsapp ist ein soziales Netzwerk. Da ist die Nutzungsanweisung, Nachrichten zu verbreiten - am besten schnell", sagt Muhle.

Der Screenshot als Lästertool

Und so kann der Screenshot zum Problem werden. Er kann auf dem Smartphone so schnell geschossen und verschickt werden wie nie zuvor. Der Screenshot ist ehrlich, ja. Der Screenshot ist aber auch ungeschönt, Geschriebenes kann seinetwegen im Nachhinein nur schwer zurückgenommen oder relativiert werden. Im Zweifelsfall ist der Screenshot ein Totschlagargument: "Da steht aber ..." Und: Er kann innerhalb von Sekunden an Dritte weitergeleitet werden und sagen: "Guckt mal alle, was XY mir eben geschrieben hat." Der Screenshot als unschlagbares Lästertool, sicher seine dunkelste Seite. Die scheinbar unabstreitbare Authentizität des Displayfotos machen sich sogar Apps zunutze. Whatsfake fürs iPhone und Yazzy für Android sind nur zwei Beispiele, mit denen täuschend echte Screenshots erstellt und verschickt werden können, die Nutzerzahlen halten sich zum Glück in Grenzen.

Im richtigen Zusammenhang und natürlich mit den richtigen Whatsapp-Partnern ist der Screenshot aber die wohl ökonomischste Kommunikationsweise überhaupt. Knips. Letztes Foto auswählen. Senden. Eine ganze Bildschirmseite voller Informationen entsteht. Ohne Daumenkrampf und nervige Autokorrekturfehler - abgesehen von den fotografierten vielleicht - ohne, wie ein Verrückter in ein flaches Kästchen diktierend auf der Straße herumzueiern. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Was sagt dann erst ein Bild mit tausend Worten? Alles? Vielleicht nicht. Aber immerhin: "Wollen wir den Nico aus Portugal nicht vielleicht fragen, ob er Lust auf ein Bier hat? Der scheint gerade in München zu sein. Steht zumindest bei Facebook." 155 Zeichen gespart.

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