Debatten über Feminismus:Die schreckliche Macht der fiktiven Horrortussi

Debatten über Feminismus: Endlose Feminismusdebatten ändern nichts daran, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind (Symbolbild)

Endlose Feminismusdebatten ändern nichts daran, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind (Symbolbild)

(Foto: dpa)

Achselhaarassoziation, Ekelhürde, Männerfeindlichkeit: Über Feminismus wird viel diskutiert, doch viel zu sehr darüber, wie und worüber geredet werden sollte. Damit dreht sich die Debatte um sich selbst - und viel zu wenig um Gerechtigkeit.

Von Meredith Haaf

Unsere Gesellschaft ist reich, demokratisch und modern, aber sie ist nicht gerecht, und warum das so ist, beschäftigt die Öffentlichkeit immer mehr. Der Erfolg des kapitalismuskritischen Bestsellers von Thomas Piketty ist nur der aktuellste Hinweis darauf.

Umso erfreulicher könnte sein, dass sich in diesem Frühjahr zwei Bücher der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern widmen: Julia Korbiks "Stand Up! Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene" und "Tussikratie. Warum Frauen nichts falsch und Männer nichts richtig machen können" von Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling. Beide Bücher haben den Anspruch, Schwung in eine Debatte zu bringen, die ihrer Ansicht nach falsch geführt wird - und hinterlassen bei der Lektüre vor allem das Gefühl tiefer Lähmung.

Was sie spannend macht, ist vor allem ihre symptomatische Bedeutung: Es läuft etwas schief in dem, was sich "Feminismusdebatte" nennt - und überhaupt in der Art und Weise, wie heute gesellschaftspolitisch gestritten wird. Auch ich selbst habe Anteil an dieser unerfreulichen Entwicklung: Ich bin Co-Autorin des 2008 erschienenen Buchs "Wir Alphamädchen". Inzwischen scheint mir, dass ich damit nicht - wie erhofft - schon Teil der Lösung, sondern noch Teil des Problems war, um das es hier geht.

Feminismus zwischen Rettung und Kritik

Zunächst ein paar Worte zu den beiden Büchern. Wie so manche vor ihnen fallen auch sie in zwei etablierte Kategorien: hier die euphorische Rettung des Feminismus, dort die männerversteherische Feminismuskritik. "Stand Up!" wird als "cooles Manifest für junge Frauen" beworben. Julia Korbik behauptet, dass junge Menschen beim bloßen Gedanken an den Feminismus unter "Pickel und Gänsehaut" und akuter Achselhaarassoziation litten und will dieses miese Image endlich aufpolieren.

Jugendgerecht präsentiert sie zu diesem Zweck auf Youtube die Gründe, warum Deutschland "mehr Feminismus" brauche: Weil der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern immer noch nicht verschwunden sei, weil in den Arabischen Emiraten mehr Frauen in Führungspositionen arbeiteten als hierzulande, und "weil Angela Merkel erst der Anfang ist" (was gerade für manche Feministinnen eher wie eine Drohung klingen dürfte, aber das ist ein anderes Thema).

In "Tussikratie" wiederum beschreiben die Autorinnen ein gesellschaftliches Klima, in dem sich Männer dauernd dafür entschuldigen müssten, überhaupt zu existieren, und Frauen als die besseren, aber stets benachteiligten Menschen gefeiert würden. "Toll" sei es zwar, dass "mit uns so viele andere" über die Geschlechterverhältnisse reden wollten, "Unbehagen" bereite es ihnen jedoch, wie darüber geredet würde. Schließlich seien ja heute gar nicht mehr alle Männer unterdrückerisch gesinnt, viele fühlten sich sogar sehr "ausgeschlossen, ausgeschlossen von der eigenen Familie". Feministische Frauen machten einen großen Fehler, und deswegen klappe das auch nicht mit der Geschlechtergerechtigkeit: Sie richteten sich immer nur gegen "die Männer", statt mit den Männern gemeinsam eine längst fällige Klassendiskussion zu führen.

Die Erfindung der Horrorfrau

Man möchte den Autorinnen bei der ein oder anderen These sogar zustimmen - wäre "Tussikratie" nicht in seiner ganzen Konzeption so misslungen. Auf 300 Seiten schaffen es Knüpling und Bäuerlein nicht ein einziges Mal zu veranschaulichen, welche Auswirkungen die von ihnen behauptete Männerfeindlichkeit hat, abgesehen von der kuriosen Behauptung, kleine Jungs würden mittlerweile dazu genötigt, Altenpflege als Berufsperspektive in Erwägung zu ziehen.

Stattdessen konstruieren sie einen Idealtypus, die "Tussi", deren liebster Zeitvertreib es ist, cocktailschlürfend von Chefpositionen und emaskulierten Hausmännchen zu phantasieren: Die Tussi "fühlt sich verarscht, (. . .) die gesellschaftlichen Strukturen sind ihr zu männlich, (. . .) es geht ihr um Macht und Revanche am Mann." Diese "Tussi" kommt immer dann zu Wort, wenn gezeigt werden soll, wie materialistisch-misandrisch die Frau von heute ist.

Schon merkwürdig: Die Autorinnen versichern in ihrer Einleitung, "weder frauenfeindlich noch antifeministisch" zu sein - nur um dann alles, was sie schlecht finden, in einer Horrorfrau zu versinnbildlichen, die es gar nicht gibt. Auf Maskulistenforen und der Facebookseite der Alternative für Deutschland, jener Partei des missverstandenen deutschen Mannes, wird das Buch entsprechend gefeiert.

Was ist nun - abgesehen von manchen inneren Widersprüchen der Bücher - das symptomatische Problem? Es ist schlicht dieses: Alle drei Autorinnen schreiben im Dienst ihrer Thesen am Gegner vorbei.

Vermeintliche Probleme statt reales Gesellschaftsabbild

Ohne Zweifel reüssiert eine Art "Frauen vor!"-Feminismus, der vor allem betriebswirtschaftlich motiviert zu sein scheint. Das zeigt zum Beispiel der große Anklang, den die Facebook-Geschäftsführerin und Multimilliardärin Sheryl Sandberg voriges Jahr mit ihrem Buchprojekt "Lean In" fand. Sandberg ist die perfekte Stichwortgeberin für eine Frauenpolitik, die sich an den Interessen von Top-Frauen mit Top-Ressourcen orientiert. Doch dass diese Politik gemacht wird, ist gerade nicht dem feministischen Diskurs geschuldet, wie Bäuerlein und Knüpling meinen, im Gegenteil. Feministische Kritikerinnen behandelten "Lean In" zumeist als das, was es ist: eine Selbstoptimierungsfibel im Gewand eines Manifests der Geschlechtergerechtigkeit.

Für die feministische Debatte viel wichtiger war da schon Alison Wolfs "Der XX Faktor". Die Langzeitstudie zeigt, dass der massenhafte Eintritt von Frauen auf den Arbeitsmarkt bisher vor allem denjenigen genutzt hat, die ohnehin sozioökonomisch privilegiert sind. Es gibt genügend mehr oder weniger prominente Feministinnen - Laurie Penny, Nancy Fraser oder Susan Faludi - die sich mit der Verstrickung weiblicher Emanzipation und kapitalistischer Interessen auseinandersetzen. Seltsamerweise findet sich in "Tussikratie" kein einziger Hinweise auf eine dieser Autorinnen. Offenbar waren Bäuerlein und Knüpling zu sehr damit beschäftigt, sich die schreckliche Macht einer fiktiven Horrortussi vorzustellen, um sich mit der Debatte zu beschäftigen, die von denen geführt wird, die tatsächlich etwas ändern wollen.

Auch Korbiks Prämisse einer vermeintlichen Ekelhürde, die junge Menschen überwinden müssten, um sich mit feministischen Inhalten auseinanderzusetzen, liest sich in Zeiten einer blühenden jungen Feminismuskultur im Netz reichlich absurd. Mehr Wiedererkennungswert als den jener frischen jungen Frauen, die zuletzt sexistische Alltagsstrukturen unter dem Hashtag #Aufschrei in aller Öffentlichkeit zum Thema machten, könnte keine Marketingkampagne bieten. Wieder fragt man sich: Wer ist hier eigentlich gemeint?

Beschwörung einer angeblichen Feminismuspanik

Um diese Probleme zu kaschieren, arbeiten die Autorinnen beider Bücher wiederum mit der "Nichts darf man mehr sagen"-Prämisse, die in der deutschen Verlagslandschaft derzeit ja eine Art Allround-Zutat zu sein scheint. Ähnlich wie es Thilo Sarrazin oder Akif Pirinçci in ihren populären Büchern oder Harald Martenstein in seiner wöchentlichen Kolumne in der Zeit tun, erschaffen die Autorinnen eine Welt, in der permanent Maulkörbe verteilt werden an diejenigen, die vermeintlich unbequeme Wahrheiten aussprechen. Dass Korbik immerhin für eine Sache streitet, statt es bei Feindbildern zu belassen, ehrt sie. Es ändert aber nichts daran, dass auch sie mit dem fiktiven Szenario einer Feminismuspanik arbeitet, um die Notwendigkeit ihres "radikalen" Manifests betonen zu können.

Das Gefühl, weil alle anderen so viel sagten, bekäme man selbst keinen Satz mehr unter die Leute, ist allerdings offenbar selbst unter denen weitverbreitet, die dafür bezahlt werden, ständig Sätze in Leitmedien unterzubringen. Ein begeisterter Rezensent schrieb etwa für Spiegel Online, man laufe ja dauernd Gefahr, beim Thema Feminismus "Ärger auf sich zu ziehen", da sei es wohltuend, dass Knüpling und Bäuerlein das "ernüchternde, einschüchternde Klima" rund um die Geschlechterdebatte ins Visier nähmen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung lobte "Tussikratie" dafür, dass es versuche, die "feministische Diskursherrschaft" zu durchbrechen.

Nur beweist ja gerade der Ton dieser Bücher und Besprechungen, wie weit entfernt wir von etwas wie einer feministischen Diskursherrschaft sind. Hätten feministische Ideen auch nur den Bruchteil des Einflusses, den man ihnen zuschreibt, dann wäre Feminismus nicht mehr die Sache von Feministinnen. Dann gäbe es etwa längst ernst gemeinte Versuche, Vollzeitarbeit auf 32 Wochenstunden zu verkürzen. Es gäbe eine Debatte darüber, ob es wirklich im Sinne der Menschheit ist, die Bundeswehr zu einem familienfreundlichen Arbeitgeber zu machen. Es gäbe nicht ein paar Dutzend Frauenhäuser, sondern bundesweit flächendeckende Gewaltpräventionsprogramme.

Lebendige Feminismusverbesserungs-Industrie

Überhaupt würden weniger Bücher und Zeitungsartikel veröffentlicht, die sich mit den Defiziten "des Feminismus" beschäftigen und dafür viel mehr, die sich - mit feministischen Analysewerkzeugen ausgestattet - Fragen der Sozial-, Kultur- oder Außenpolitik widmeten. Diese Artikel wären dann im Übrigen auch von Männern geschrieben: Denn in einer feministisch durchdrungenen Welt wäre das Geschlecht nicht mehr nur Frauensache.

All das ist aber nicht der Fall. Stattdessen bekommen wir eine "Feminismusdebatte" nach der anderen serviert, und jede beginnt bei null. Kein anderer Bereich der Gesellschaftskritik ist so anfällig für intellektuelle Sabotage: Wer schreibt schon Bücher darüber, warum Kapitalismuskritiker an den Verwerfungen unserer Wirtschaftsordnung schuld sind?

Die Forderungen nach einem Feminismus mit mehr oder weniger Kapitalismuskritik, mehr oder weniger Männerfreundlichkeit weisen so auf eine klaffende Leerstelle hin, die sich dort auftut, wo "Feminismusdebatte" getitelt wird: Wie ein Parasit hält sich eine publizistische Feminismusverbesserungs-Industrie am Leben, indem sie jene große Frage, wie die Gesellschaft gerechter werden kann, umwälzt auf die ungleich leichter zu beantwortende Frage, was am "Feminismus" unangenehm, abschreckend oder kompliziert ist.

Der Feminismus als Idee und Bewegung wird dabei zum Sündenbock einer ungerechten Gesellschaft degradiert. So diskursmächtig kann er nicht sein. (Diese Erkenntnis ist zugegeben umso bestürzender, wenn man selbst eines der Bücher geschrieben hat, die offensichtlich zyklisch wieder neu aufgelegt werden, von anderen Autorinnen, mit anderen Titeln, aber mit derselben wohlgesinnten Verachtung.)

Wahre Probleme geraten aus dem Blickfeld

Und auf diese Weise wird in der Feminismusdebatte der "Feminismus" stets nur als reformbedürftig behandelt, verkommt also von einer kritischen Perspektive, aus der heraus prinzipiell jedes Thema zu verhandeln wäre, zu einer nervigen Baustelle, an der es immer etwas zu tun gibt. Für diejenigen, die sich als Feministinnen engagieren, kann das nur entmutigend wirken. Wie kommt man darauf, dass ausgerechnet sie eine Klassendiskussion zu entfachen haben, die bislang ja auch niemand anderer führen wollte?

Dass sich Feministinnen entscheiden müssen, ob sie innerhalb der bestehenden Wirtschaftsordnung oder gegen diese arbeiten wollen, versteht sich von selbst. Dass frauenpolitische Ziele nicht automatisch zu besseren Verhältnissen führen, ist ein Thema, das unbedingt Beachtung verdient. Dass Feministinnen nun aber für die - von den Deutschen mehrheitlich als ungerecht empfundene - Wirtschaftsordnung irgendwie verantwortlich gemacht werden, zeigt vor allem, dass die "Feminismusdebatte" kaum feministisch ist.

Man sollte also das destruktive Potenzial eben dieser Debatte nicht unterschätzen: Denn in der wohlfeilen Meta-Forderung danach, endlich die "richtige" Diskussion zu führen, also diejenige, in der es um Klasse geht statt um Geschlecht, steckt auch die Vorstellung, dass gesellschaftlicher Fortschritt nur noch als Produkt einer totalen Diskussion möglich ist. Durch die eine, einzig richtige Debatte, die alle anderen Debatten beendet - und endlich all diejenigen zum Schweigen bringt, die es nicht kapiert haben, was auch immer "es" ist. Wie dabei noch irgendetwas tatsächlich geschehen soll, ist eine Frage, die von dem, was hierzulande unter "Feminismusdebatte" läuft, wohl so schnell nicht geklärt werden wird.

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