Stilkritik: Ballerinas:Zum Watscheln verdammt

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Nie gab es in der westlichen Modewelt so viele Arten von Schuhen. Warum um Himmels willen müssen es ausgerechnet solche sein, die aus Frauenfüßen Entenfüße machen?

Bernd Graff

Liebe Damen! Damen sind jetzt mal alle, die - sagen wir - das 14. Lebensjahr erreicht haben. Also: Die Lebensform der Dame ist menschlich, sie ist intelligent. Damen sind der beste und eigentlich einzige Beleg dafür, dass der Homo sapiens tatsächlich auf diesem Planeten existiert. Damen gehören demnach nicht zur biologischen Familie der Anatidae.

Die Anatidae sind natürlich auch eine ganz wunderbare Lebensform, nur eben keine menschliche, und intelligent möchte man die wenigsten ihrer Vertreter nennen. Darum macht es also überhaupt gar keinen Sinn, dass viele, viele, allzu viele Damen schon bei zartestem Anbruch gemäßigteren Wetters und milderer Temperaturen eine anatomische Verbundenheit mit den Anatidae belegen wollen, die nicht existiert, die nicht existieren kann.

Ach so ja, die Anatidae sind die Familie der Entenvögel, eine sehr artenreiche Familie. Sie gehören neben Gänsen und Schwänen zur Ordnung der Gänsevögel oder Anseriformes. Allen ist eine dezidierte Anpassung an aquatisches Leben gemein. Darum haben die Anseriformes samt und sonders Schwimmhäute zwischen den Zehen, die ihre Füße sehr breit machen, was Schwimmvögeln auch gut ansteht. Außerdem sieht man die Entenfüße ja nicht, wenn der Anatidenkörper auf den Wogen unserer Stadtparks so vor sich hin wogt.

Aber bei euch, liebe Damen, ist es anders. Da sieht man Entenfüße. Entenfüße, die ihr gar nicht habt, die nur so aussehen - und zwar immer, wenn ihr Ballerinas tragt. Alles kann perfekt sein an eurem Outfit, alles komponiert, ausgewogen, abgestimmt. Ballerinas jedoch versauen jeden Auftritt. Und das nicht nur wegen des darin stets zum Watscheln tendierenden Gangs. Damen, die Ballerinas tragen, wirken, als ob sie um den Fuß herum zu kurz gekommen wären. Ballerinas machen zudem klein und hutzelig und verunstalten einfach die Gesamterscheinung. Ganz gleich, aus welchem Material, aus welcher Preisklasse und in welcher farblichen Gestaltung man sich Ballerinas antut. Wer sich Ballerinas antut, tut sich nichts Gutes.

Ballerinas sind einfach keine Schuhe für erwachsene Damen, auch wenn Salvatore Capezio, dieser Halunke, den elastischen Lederhauch Ende des 19. Jahrhunderts als Damenschlupfschuhmodell entwarf und damit auch noch reüssierte. Gut, bei Tänzerinnen des Staatsballetts mag man sie verzeihen, bei ganz, ganz jungen Mädchen auch noch. Denen nimmt man Ballettstunden und den Wunsch nach geschmeidiger Sohle auf dem Tanzboden ja auch ab.

Aber im Straßenbild? Wenige Modegrausamkeiten sind je wieder so grausam gewesen wie Ballerinas, die pinkfarbene Latzhose bei Männern zu Beginn der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts einmal ausgenommen. Doch Ballerinas, die wir fortan Schläppchen nennen wollen, Schläppchen also, kommen anders als die Latzhose jedes Jahr wieder. Und sie bleiben alle Jahre wieder ganz, ganz fürchterlich. Und dann womöglich auch noch kombiniert mit Röhrenhosen und glitzernden oder noch schlimmer: blickdichten Hospital-Nylons? Liebe Damen, was denkt ihr euch dabei?

Selbstverständlich reden wir hier nicht dem Absatz das Wort, jedenfalls nicht immer und schon gar nicht jedem, und wir verstehen ja auch, dass Schläppchen ganz toll bequem und so unmittelbar irdisch sind. Das waren sie beim Bodenturnen ja auch schon immer. Und, ja, der Orthopäde wird vermutlich auch zuraten, obwohl der Fuß jeden Schritt damit ungepuffert bis zur Wirbelsäule durchreicht.

Aber bitte, die Vorzeigeschläppchenträgerinnen: Brigitte Bardot und Audrey Hepburn hin oder her ... Liebe Damen, habt ihr mal darauf geachtet, wie der absatzlose, plan auf die Erde gezwungene Gesamtfuß so wirkt, zumal mit diesem großrundigen Oberfußdekolleté, das sich nicht bis an die Zehen traut, sondern mit einem albern-sinnlosen Fadenschleifchen abschließt, das völlig unangemessen eine Aufmerksamkeit heischt, die weder Schläppchen noch Schlupfrund ernsthaft rechtfertigen können.

Der weibliche Fuß wirkt platt so, patschig und breitmaulig. Zu groß. Eben entig. Und dabei ist er es gar nicht. Damen, eure Füße haben Besseres als Ballerinas verdient!

Watscheln in Entengrützesaatkisten

Im Englischen heißen die Ballerinas übrigens ballet flats. Flats, das ist auch das Wort für Saatkisten. Und so sehen sie ja eben aus: wie Saatkisten für Entengrütze. Damen, warum wollt ihr mit Entengrützesaatkisten an den unteren Extremitäten auflaufen?

Das Erste, was man sofort hört, wenn man auf den alljährlichen Trauerfall der Schläppchen hinweist, ist - neben dem Vorwurf: "Ihr wollt ja doch nur Highheels!" - immer die Frage: "Was sollen wir denn sonst anziehen? Es gibt nichts, das sooo bequem, sooooooo wunderbar kombinierbar und soooooooooo herrlich im Sommer tragbar wäre."

Liebe Damen, ich weiß nicht, was ihr sonst anziehen sollt. Ich weiß nur zweierlei. Erstens: Der westlich zivilisierten Welt hat es bislang nicht an Damenschuh-Modellen gemangelt. Das Warendiktat des Kommunismus existiert nicht mehr. Also gibt es da draußen mehr als Ballerinas. Vor allem für Geld. Und vor allem für das Geld, das diese Schläppchennichtse doch auch kosten. Gehet also hin und traget gute, bequeme, meinetwegen auch komplett flache Schuhe, solange sie keine Entenfüße machen!

Und zweitens. In jedem Fall von Bekleidungsnotstand gilt: Schläppchenballerinas, liebe Damen, sind das Problem, nicht die Lösung.

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