Smartphones:Kalter Entzug

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Für viele Jugendliche ist es ein Menschenrechtsverstoß, wenn sie ihr Handy mal abgeben müssen. Aber zum Glück gibt es weise Richter.

Von Christian Mayer

Viele Eltern haben finstere Träume, sie träumen davon, wie es wäre, endlich mal etwas skrupelloser zu sein, man muss es ja nicht gleich so machen wie die Finsterlinge in den Netflix-Serien, die bei jedem kleinen Problem gleich ein Massaker anrichten. Aber etwas mehr Härte wäre schön: Schließlich geht es um das Leben der eigenen Kinder. Den ganzen Tag und oft die halbe Nacht starren sie in ihr Gerät, mit dem sie längst verwachsen sind, und nimmt man ihnen das Ding weg, nur für ein, zwei Stunden, dann schreien und toben sie, als hätte man ihnen ohne Narkose sämtliche tippfähigen Finger amputiert. Neuerdings pochen sie sogar darauf, dass es ein "Menschenrecht" sei, die Youtube-Kanäle ihrer Lieblingsnervensägen 24 Stunden am Tag zu verfolgen oder im Klassenchat 120 Whatsapp-Nachrichten in einer Viertelstunde zu verschicken.

Wie oft hat man davon geträumt, das Handy der 13-jährigen Tochter feierlich von der Wittelsbacherbrücke in die Isar zu werfen oder mit dem Hammer so lange darauf einzuschlagen, bis nur noch Fasern und Drähte übrig sind; stattdessen schickt man eine freundliche Whatsapp kurz vor Mitternacht ins Kinderzimmer, mit der Bitte, das Ding jetzt mal lieber auszuschalten. Und so wird aus einem heroischen Akt der Befreiung ein müde grinsender Smiley.

Ein Lehrer in Berlin hat jetzt gezeigt, wie man es besser macht: Er nahm einem besonders starrsinnigen Schüler freitags im Unterricht das Smartphone ab, am Montag drauf durften es die Eltern wieder abholen. Der Fall landete vor Gericht, weil der 18-Jährige dagegen klagte: Durch den Entzug des Handys fühlte sich der Jugendliche "in seiner Ehre verletzt" und durch seine "plötzliche Unerreichbarkeit" zutiefst erschüttert. Das Gericht jedoch gab nun dem Lehrer recht. Die Wegnahme des Mobiltelefons sei "kein schwerwiegender Grundrechtseingriff", lautete die Begründung.

Was für ein Urteil! Man möchte diese Richter gerne umarmen. Schon an diesem Wochenende könnten wir dem Vorbild des Berliner Lehrers folgen: Sicherungsverwahrung für sämtliche Blubbergeräte im Haus, kalter Entzug für 48 Stunden, und dieses Netflix kriegt auch gleich den Saft abgedreht. Sollten uneinsichtige Familienmitglieder ihr Menschenrecht einklagen wollen, können sie jederzeit versuchen, ihren Anwalt zu verständigen - wenn sie das schaffen, ohne Handy.

Klingt abgefahren. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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