Nach der Verurteilung von John Galliano:Gestürzt, aber nicht zerstört

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John Galliano stieg vom schüchternen Klempnersohn zum Star der Haute Couture auf und stürzte dann ab wie ein verglühender Komet. Seine Ausfälle wirkten wie beruflicher Selbstmord. Seine wüsten Pöbeleien in einem Pariser Lokal, die in dem Satz "Ich liebe Hitler" gipfelten, sind nicht zu entschuldigen. Aber sie lassen sich vielleicht erklären.

Stefan Ulrich

Glamourös, flamboyant, exzentrisch - für diesen Mann werden die schillerndsten Adjektive benutzt. John Galliano stieg vom schüchternen Klempnersohn zum Star der Haute Couture auf und stürzte dann ab wie ein verglühender Komet. Als Modeschöpfer liebte er das Spiel mit den Rollen, war genial und manchmal untragbar. Er ließ sich inspirieren von der Historie, fremden Kulturen und tabuisierten Milieus. Die Branche vergötterte ihn. Als er zuletzt in die Rolle des Rassisten schlüpfte, ließ sie ihn angeekelt fallen.

John Galliano macht ohne Dior weiter - doch kommt das Haus auch ohne ihn aus? (Foto: AP)

Der 50 Jahre alte, schmächtige Mann mit dem schmalen Bärtchen ist längst gerichtet, seine Karriere zerstört. Ein Gericht in Paris sprach am Donnerstag das Schlusswort und verurteilte ihn. Seine wüsten Pöbeleien in einem Pariser Lokal, die in dem Satz "Ich liebe Hitler" gipfelten, sind nicht zu entschuldigen. Aber sie lassen sich vielleicht erklären.

Juan Carlos, so sein Taufname, wurde als Sohn eines Angloitalieners und einer Spanierin in Gibraltar geboren. Als er sechs Jahre alt war, zog die Familie in eine Vorstadt Londons um, wo viele Afrikaner und Asiaten lebten. Die kosmopolitische Atmosphäre sei für ihn "eine phantastische Quelle kultureller Bereicherung" gewesen, meinte er später.

Der junge Galliano entdeckte seine Homosexualität, musste vielen Vorurteilen begegnen und liebte es, sich zu kleiden und zu verkleiden. Er jobbte in Boutiquen, besuchte das Saint Martin's College of Art and Design. Seine Abschlussarbeit orientierte sich an der französischen Revolution.

Danach ging es steil nach oben auf dem Laufsteg der Mode. 1987 wurde Galliano als britischer Designer des Jahres ausgezeichnet. 1990 zeigte er seine erste Kollektion in Paris, sechs Jahre später wurde er Kreativdirektor bei Dior. Sein erstes Kleid für das Modehaus trug Prinzessin Diana.

Seine Auftritte waren legendär

Der Brite in Paris verjüngte und erneuerte Dior. Mal orientierte er sich an der Kleidung Obdachloser, mal an Drogensüchtigen oder der Sado-Maso-Szene. Legendär wurden die Auftritte des Meisters selbst. Am Ende der Schauen sprang er in kuriosen Kostümen über den Laufsteg, als Astronaut oder Napoleon, Pirat, Torero, Indianerhäuptling. Tout Paris war verzückt. Galliano wurde umschwärmt, entwarf immer mehr Kleider. Dior boomte. Der Preis: frenetische Arbeit hinter den Kulissen einer brutal harten Branche.

Galliano sagt, er habe bei der Beerdigung seines Lebensgefährten und am Todestag seines Vaters gearbeitet. Im Prozess erzählte er, wie er immer mehr Alkohol, Schlafmittel und Valium zu sich nahm. Irgendwann wusste er offenbar nicht mehr, was er da tat. Als ihm vor Gericht ein Video gezeigt wurde, das ihn bei seinen antisemitischen Pöbeleien zeigt, sagte er: "Das ist der Schatten von Galliano, eine leere Hülle."

Womöglich wollte er mit den Ausfällen ein Tabu brechen oder unbewusst beruflichen Selbstmord begehen. Aus dem Paradiesvogel der Modeszene ist so ihr schwarzes Schaf geworden. Doch Galliano ist nicht am Ende. Er hat eine Entziehungskur gemacht und im Sommer ein Kleid entworfen - die Hochzeitsrobe von Kate Moss. Das Haus Dior dagegen, das sich im März von ihm trennte, sucht noch einen Nachfolger.

© SZ vom 09.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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