Partnerschaft:Sex, Lügen und Romane

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Doris Knecht ist wohl die bekannteste Kolumnistin Österreichs: Sie seziert in ihren Büchern das Beziehungschaos der Großstädter - und damit auch ihr eigenes Leben.

Von Cathrin Kahlweit

Eigentlich wollte sie ihn vor ein Auto schubsen, und ehrlich, er hätte es verdient. Viktor ist, man kann es nicht anders sagen, ein Arschloch. Sorry für die rüde Sprache, aber seine Erfinderin Doris Knecht, die ihn zur Hauptfigur ihres neuen Romans gemacht hat, nimmt auch kein Blatt vor den Mund. Sie mag Viktor nicht sonderlich, findet aber sympathische Hauptfiguren eh fad, im literarischen wie im wirklichen Leben. Am Ende von "Alles über Beziehungen" lässt sie ihren Protagonisten dann doch nicht sterben, aber wie gesagt: Verdient hätte er es.

Viktor, Kulturmanager, Festival-Intendant, Glatze, Bauchansatz, ist nämlich ein Mistkerl, ein Angeber, ein Selbstüberschätzer, ein Lügner, ein Verdränger, wehleidig, pubertär, unzuverlässig, untreu. Als Liebhaber eher durchschnittlich. Ein Antityp ohne Kern und Mitte, ein Schicki-Micki-Strizzi, der behauptet, super innovatives Theater zu machen, Flüchtlingsthematik, irre aktuell, skandalträchtig und damit schlagzeilensicher. Dabei schert er sich einen Dreck um Flüchtlinge oder Politik.

Knecht, als gelernte Wienerin mit Vorarlberger Wurzeln moderat sarkastisch, nennt solche Männer "Kulturposer"; sie kennt sie zur Genüge. Österreichs Hauptstadt, in der die Autorin und Kolumnistin seit vielen Jahren mit ihren Zwillingstöchtern lebt, ist, wie jede Stadt, die auf sich hält, voll davon. Eigentlich interessiert sich Viktor, der Sieger, sorry noch einmal für die rüde Sprache, vor allem für seinen Schwanz. Und die Frauen lieben ihn dafür. Das ist das Besondere an Viktor, und vielleicht noch mehr an den Frauen, die ihn umkreisen, ihn vereinnahmen, ihn benutzen, wie er sie benutzt, und von diesen Frauen gibt es viele in Knechts Roman: Viktor ist, neutral formuliert, hypersexuell.

Wenn Frauen ihr eigenes Geld verdienen, können sie schlafen mit wem sie wollen, sagt Knecht

Bei Frauen würde man das nymphoman nennen, da gilt es im Zweifel als interessante Störung. Viktor findet sich vielleicht erotoman, in jedem Fall aber erotisch. Er lässt sich wegen seiner Hypersexualität von einer Therapeutin behandeln, doch in Wahrheit ist das Show: Er will keine Heilung, er will Spaß und Bestätigung. Aber er will sich vor den Frauen, mit denen er schläft und die er belügt, sowie vor sich selbst rechtfertigen können dafür, dass er so ein Mistkerl ist. Immerhin macht er eine Art Treue-Therapie, oder?

Die Frauen wiederum wissen, bis auf einige wenige, dass er sie benutzt; sie spielen das Spiel mit. Und so ist die Familienaufstellung in Knechts unterhaltsamem Roman "Alles über Beziehungen" letztlich eine Win-win-Situation auf dem Spielfeld der Großstadt-Bobos - mit einigen Opfern an der Seitenlinie. So macht man das heutzutage: Man geht fremd, man hat Sex mit dem Mann der Freundin, dem angesagten Theatermacher, dem Liebhaber der Schwester, dem Freund des Freundes, dem Promi, der Urlaubsbekanntschaft - alles das ist Viktor, aber man spricht nicht darüber und wahrt die Form.

Doris Knecht findet das paradox: Der moderne Großstadtmensch sei ein "Freidenker", sagt sie, lebe aber trotzdem ein Familienleben, wie Eltern und Großeltern es gelebt hätten. Nominell traditionell. Alle probierten aus und herum, auch die Jungen, die Sex-ohne-Liebe-Propagandisten, und ergingen sich doch gleichzeitig in "Hochzeitshysterien vom Traum in Weiß" und, am Ende des Weges, im Traum von der Silberhochzeitsparty im Landhausstil.

Regeln, bestätigt Knecht, gäben Sicherheit. Und doch "kann man sich Verlässlichkeit und Treue nicht anheiraten, nicht mit hundert Dokumenten. Das funktioniert alles nicht. Und in Wahrheit will man es ja auch gar nicht." Heraus kommen nur leider, weil Verzeihen und Offenheit nicht im Regelbuch stehen, hohe Scheidungsraten und verwirrte Patchwork-Familien, Sorgerechtskriege und verlassene Kinder. Um all das also kreist "Alles über Beziehungen": um zahlreiche Frauen, um kaputte und weniger kaputte Beziehungen und im Wesentlichen um einen Mann.

Die Einzige, die ihn wirklich liebt, die mit ihm Kinder hat und immer noch denkt, alles werde gut, wenn Viktor sie endlich heiratet, heißt Magda. Als sie irgendwann versteht, dass nichts gut wird, zieht sie ihre Konsequenzen. Magda ist nett und naiv, sie hat versucht wegzuschauen, aber das ging irgendwann nicht mehr. Sie hätte beschließen können, so zu tun, als sei und bleibe es ein Geheimnis, dass ihr Viktor mit anderen Frauen schläft, sie hätte die Augen davor verschließen können. Aber so ist das mit den Regeln: Wenn sie zu lange nicht eingehalten werden, fallen sie zusammen wie bröselnde Mauern. Und am Schluss steht da ein Arschloch, das weitermacht wie bisher, und eine kaputte Familie. Weil man nämlich, sagt Doris Knecht, eben doch kein falsches Leben im richtigen Leben ertragen kann. Als Frau. Als Mann vielleicht schon eher.

Kennt sie das? Hat sie das selbst erlebt? Klar hat sie, hat doch jeder. Sie könne, sagt Knecht heiter, während sie aus ihrem knallroten Pulli strahlt, weil Rot gute Laune macht und gut aussieht, sie könne ja doch nur über Menschen und Erlebnisse schreiben, die im eigenen Leben oder zumindest in der eigenen Lebenswelt verankert sind. Über die sie beim Surfen auf Facebook oder im Alltag mit ihren zwei Teenager-Töchtern stolpert, mit Luise und Rosa, genannt "die Mimis".

Andere Autoren könnten sich vielleicht am Schreibtisch etwas ausdenken, das dann recherchieren, akribisch, fast dokumentarisch, aber das kann nicht jeder, sie jedenfalls nicht. Andererseits hat sie ja selbst einiges erlebt: mit 19 von zu Hause weg, als Erste in der Familie Matura gemacht, und immer wollte sie schreiben. "Schriftstellerin ist kein Beruf", sagte die Mutter, trotzdem hat sie alles ausprobiert, was mit Schreiben zusammengeht: hat im Architekturbüro Coop Himmelb(l)au und beim Stand ard als Sekretärin gearbeitet, hat daheim kistenweise Lyrik und Kurzprosa fabriziert, war beim Wiener Stadtmagazin Falter mit 28 stellvertretende Chefredakteurin, ging dann zum Nachrichtenmagazin Prof il, schrieb für die Neue Zürcher Zeitung über Musik, machte Piratenradio, sang in einer Punkband, schrieb für das Magazin des Tagesanzeigers, lebte eine Weile in Zürich, kehrte zurück. Trennun g vom Partner, alleinerziehend.

Heute ist sie die wohl bekannteste Kolumnistin des Landes. Sie schreibt seit vielen Jahren Kolumnen für den Falter, selbst im Kindbett, selbst im Urlaub, 5000 dürften es mittlerweile sein, denn dazu kommen Kolumnen im Kurier, im Servus-Magazin, in den Vorarlberger Nachrichten, im Bordmagazin der Austrian Airlines, manchmal schrieb sie fünf Kolumnen pro Woche. Da muss auch eine Frau, die einiges erlebt, viel aufgreifen, aufspießen, zuhören, mitnehmen; aber sie kann das, sagt sie, denn sie sei "unglaublich fleißig" und ja, sie mache keine Kunst, sondern Gebrauchsliteratur. "Ich sage mir oft, der eine oder andere Text ist good enough, der ist nicht für die Ewigkeit." Lebenskunst für Pragmatiker sozusagen, in dieser typischen Knecht-Sprache, in welcher der Frühling auch schon mal zu "so viel blüh" oder "das Huhn mit der Suppe ausgeschüttet" wird. Oft lustig, oft auch sehr banal, schließlich hält der Wiener Alltag ja nicht täglich ein Drama bereit, stattdessen Normalität und Mistkerle.

Dabei hat sie durchaus eine Message gehabt, soweit sie auf Messages steht: Frauen, sagt die sehr autonome Doris Knecht, die sich, wie gesagt, mit irre viel Fleiß, aber auch mit der nötigen Portion Selbstsicherheit ein gutes, buntes Leben aufgebaut hat, in dem der Vater ihrer Kinder eher weniger vorkommt, Frauen, sagt sie also, hätten nur ihre Freiheit, wenn sie autonom seien. Wenn sie ihr eigenes Geld verdienen, können sie schlafen, mit wem sie wollen. "Freiheit existiert nicht in Abhängigkeit."

Im klassischen Feuilleton ist sie eher weniger vertreten. Sie sagt, das ist ihr egal

Hat sie das erlebt? Klar hat sie, hat doch fast jede. Es ist eine eher simple Regel, die es im Leben zu überprüfen gilt. Knecht, Anfang 50, überprüft sie im Leben - und in ihren Büchern. Sie hat diese Regel in dem ganz wunderbaren Roman "Wald" überprüft, in dem die ehemalige Modedesignerin und Großstädterin Marian nach einem Bankrott im geerbten Haus auf dem Land verarmt und einsam, irgendwann auch seltsam, einen Neuanfang versucht. Das ist manchmal herb, manchmal derb, oft komisch. Marian schläft mit dem Großbauern Franz - für Feuerholz, für Essen. Sie benutzt ihn, er benutzt sie. Sie ist abhängig und dann doch nicht. Wie simpel also ist die Regel der Interdependenz von Autonomie und Freiheit?

Auch im Roman "Gruber geht", mit dem Doris Knecht 2011 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises landete, geht es letztlich um eine starke Frau und einen Mistkerl. Gruber hat Krebs, er hat das lange vor sich selbst verheimlicht, weil ihm der Preis des Verzichts auf sein schönes, egomanes Lotterleben zu hoch war. Typ Porschefahrer mit dicken Hosen , auch er ein Aufreißer. Hilft ihm aber zum Schluss alles nichts. DJ Sarah zeigt ihm, was fehlt, an ihm und seinem elendsleeren Leben. Und dass er "kein guter Mensch" ist. Das alles erzählt Knecht wunderbar lässig, nicht immer zwingend schlüssig, aber in jedem Fall schnell, klar, porschemachomäßig sozusagen, so, wie sie Marians Geschichte im Wald lakonisch, ironisch, zickig erzählt. Aber letztlich sucht sie, Stil hin, Ironie her, auch in diesen früheren Büchern "alles über Beziehungen".

Mutmaßlich auch deshalb, glaubt Knecht, sei sie nicht sehr oft im sogenannten seriösen Feuilleton vertreten. Sie werde unter "Frauenliteratur" verbucht. "Wenn Männer über Beziehungen schreiben, ist das Literatur. Wenn Frauen über Beziehungen schreiben, ist das Frauenliteratur." Das sei ihr aber egal, sagt sie, und egal auch, dass ihr häufig unterstellt werde, sie blase eh nur ihre zahlreichen Kolumnen auf für ihre Romane. Man kann ihr glauben, dass ihr das seriöse Feuilleton egal ist, man muss es nicht. Jeder, der Schreiben zum Beruf machen wollte, wird gern gewürdigt. Andererseits spricht sie über ihre Literatur wie über ihr Leben oder über ihr Leben wie über ihre Literatur. Sie habe, sagt sie vergnügt, festgestellt, dass sie "das kleine Leben" möge. Ihre Wohnung in der Wiener Josefstadt mit den zwei Mädchen, die bisher kein einziges ihrer Bücher gelesen haben, den vielen Freunden, dem überschaubaren Ruhm. Und mit dem geliebten Haus im Waldviertel, grillen und chillen, kochen und lesen, lachen und reden. Und "ganz viel blüh".

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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