Oscar-Verleihung:Wie man ein guter Verlierer wird

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Für sie gab es in diesem Jahr einen Oscar aus Lego-Steinen: Clint Eastwood (re.), Meryl Streep und Bradley Cooper (li.). (Foto: AFP)

Man hat für diese Rolle gekämpft, sich stundenlang gestylt und bis zuletzt gehofft - und dann das: Der Oscar geht - an einen Kollegen! Jetzt heißt es: Zähne zusammenbeißen, strahlen, Beifall klatschen. Wie gelingt es, ein guter Verlierer zu sein? Und warum erwartet die Öffentlichkeit das von uns? Neurologin Déirdre Mahkorn weiß um den Erfolgsdruck, unter dem Künstler häufig stehen. Und auch, wie sie ihre Emotionen verbergen. Als Psychiaterin hat sich die Kölnerin auf die Behandlung von Lampenfieber und Bühnenangst spezialisiert. Ein Gespräch über Selbstschutz und die Inszenierung von Gefühlen.

Von Violetta Simon

Bei Veranstaltungen wie der Oscar-Verleihung hat man oft den Eindruck, dass sich die Verlierer fast noch mehr für ihre Kollegen freuen als die Gewinner selbst. Wie bringen die Schauspieler das fertig: ihre Enttäuschung so glaubwürdig zu verbergen?

Diese Menschen sind darin ausgebildet, Emotionen zu simulieren. Sie haben dafür verschiedene Techniken. Nehmen Sie zum Beispiel das "Method Acting", das ein Maximum an Intensität bringt. Ob es der Schauspieler in dem Moment wirklich schafft, das eigene Gefühl auszuschalten, hängt davon ab, wie sehr er in der Lage ist, sich zu distanzieren. Dazu muss er das traurige Gefühl, abgewertet worden oder gescheitert zu sein, von sich abspalten können. Ich bin davon überzeugt, dass jeder steuern - und auch inszenieren - kann, wie er von außen wahrgenommen wird. In dem Moment muss man sich bewusst sagen: Ich entscheide, dass die Millionen Zuschauer meine Enttäuschung nicht sehen sollen.

Warum bemühen sich Menschen in der Öffentlichkeit so verzweifelt, ihre wahren Gefühle zu überspielen - selbst, wenn sie dem Konkurrenten die Oscar-Statue am liebsten in den Rachen stopfen würden?

Das hat mit gesellschaftlichen Normen und sozialer Akzeptanz zu tun. Ein schlechter Verlierer wirkt unattraktiv. Wer durchblicken lässt, dass er beleidigt ist, handelt sich schnell den Ruf ein, sich nicht im Griff zu haben. Ein guter Verlierer strahlt hingegen Souveränität und Reife aus. Ein Schauspieler ist nun mal eine öffentliche Figur, jede kleine Regung wird von Millionen Zuschauern verfolgt. Es ist daher reiner Selbstschutz, zu entscheiden, wie viele Emotionen ich zeige und wie viel Persönliches nach außen gelangen soll. Manchmal ist dann die Flucht nach vorne sogar die Rettung. Durch die Gratulation beweist der Verlierer persönliche Größe - hier geht es ja immer auch um PR in eigener Sache.

Kinder werfen manchmal wütend das Brettspiel durchs Zimmer, wenn sie verlieren. Als Erwachsene gewöhnen wir es uns also ab, Gefühle zu zeigen?

Natürlich kann ein Verlierer in der Öffentlichkeit zeigen, wie verletzt er ist - doch sollte er sich in dem Moment darüber im Klaren sein, dass er damit die Kontrolle abgibt. Und dass diese Reaktion womöglich ausgeschlachtet und gegen ihn verwendet wird. Dies zu vermeiden, ist ein wichtiger Akt der Selbstbestimmung. Gerade als öffentliche Figur sollte ein Erwachsener das unbedingt lernen, das gilt für Schauspieler ebenso wie für Politiker - vor allem für weibliche, zum Beispiel die Kanzlerin. Nach meiner Erfahrung bewahren gerade Frauen oft den kühleren Kopf. Sie sind sich bewusst, was man von ihnen erwartet. Und dass man sie sonst nicht ernst nimmt.

Sogar eine Oscar-Gewinnerin wagt es oft nicht, die Anerkennung in vollem Umfang zu genießen, sondern weist in ihrer Dankesrede minutenlang darauf hin, wem sie die Auszeichnung zu verdanken hat - allen anderen, nur nicht sich selbst.

Tiefstapeln und Bescheidenheit wirken natürlich attraktiver als Großspurigkeit. Es belegt aber auch eine starke Abhängigkeit. Hinter dem Erfolg eines Menschen steckt oft eine ganze Apparatur an Managern, Coaches und Mitarbeitern, die eine solche Auszeichnung als einen Moment des Glanzes miterleben. Je nachdem, wie die Gewinnerin diese innere Abhängigkeit bewertet, zollt sie mit der Dankbarkeitsbezeugung in ihrer Rede Anerkennung - und stellt zugleich sicher, dass diese Personen ihr wohlgesonnen bleiben.

Die schönste Lösung wäre natürlich, echte Freude zu empfinden. Und nicht nur zu heucheln.

Stimmt. Es ist aber eine Frage der persönlichen Reife, ob es gelingt, sich zu freuen. Dazu braucht es eine bestimmte innere Haltung, die sagt: Was ich gebracht habe, ist auch so gut genug. Und es stimmt ja: Selbst wenn ein nominierter Schauspieler den Oscar nicht bekommt, gehört er trotzdem dazu, er hat es - fast - ganz nach oben geschafft. Das alleine ist eine sehr große Auszeichnung. Dass einer die Auszeichnung erhält und andere leer ausgehen, ist ein gewöhnlicher Vorgang. Es bedeutet nicht, dass alle anderen Verlierer sind.

Psychiaterin Déirdre Mahkorn arbeitet oft mit Künstlern zusammen - sie hat sich auf Lampenfieber spezialisiert. (Foto: Marco Borggreve)

War es in unserer Gesellschaft schon immer so wichtig, ein guter Verlierer zu sein?

Noch nie war das so wichtig wie heute - eine Dosierung von emotionalen Attributen wird geradezu erwartet. Menschen zeigen in der Öffentlichkeit immer häufiger sozial erwünschtes Verhalten, gerade wenn sie wissen, dass ihr Auftritt millionenfach wahrgenommen wird und alle auf sie schauen. Denn durch die neuen Medien wird man mit seinen Verfehlungen wieder und wieder konfrontiert. Obwohl Emotion etwas Flüchtiges ist: In dem Moment, wo sich jeder beliebig oft ansehen kann, ob jemand weint oder gekränkt ist, gerät sie zu einem bleibenden Eindruck. Die Reaktion wird assoziiert mit der Person, die sie gezeigt hat. Sie hat keine Rückzugsmöglichkeit, kann sich im Nachhinein nicht mehr schützen.

Dann sollte man also am besten gar nicht erst zugeben, dass man etwas unbedingt haben möchte - und dafür belohnt werden will?

Erlaubt ist alles. Doch wer seine Enttäuschung anschließend zur Schau stellt, wird womöglich danach gefragt, ob er seine Arbeit nur der Preise wegen macht. Erfahrenere Schauspieler tragen meist gar nicht so viel nach außen - auch ihre Freude nicht. Sehen Sie sich etwa Oscar-Preisträger Jeremy Irons an: Er war schon immer etwas reduzierter in seinen Reaktionen und emotionalen Äußerungen. Das hat auch mit Erfahrung zu tun.

Mit schlechter Erfahrung?

Ich würde es nicht Argwohn nennen, aber Vorsicht. Es ist interessant zu beobachten, wie manche Schauspieler mit der Zeit lernen, ihre Emotionen zu dosieren, wie sie vorsichtig werden, nichts Privates mehr preisgeben. Dazu tragen die eigenen Erfahrungen bei, aber auch, was Kollegen erlebt haben. Junge Menschen haben oft das Bedürfnis, ihre intimen Emotionen in die Welt hinauszutragen, sie wollen von allen gemocht werden, alles mit allen teilen. Mit zunehmendem Alter wirken starke Emotionen befremdend, werden als hysterisch wahrgenommen.

Aber ist das nicht traurig?

Zum Beruf eines Schauspielers gehört es, Emotionen darzustellen. Andererseits leiden viele darunter, keine Privatsphäre mehr zu haben und beklagen sich darüber. Deshalb ist dieser Selbstschutz sehr wichtig. Sonst halten sie das auf Dauer nicht aus.

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