Nach dem Rücktritt von Benedikt XVI.:Verdienste und Versäumnisse

Mit seiner Regensburger Rede verärgerte Benedikt XVI. die Muslime, sein Umgang mit dem Holocaust-Leugner Williamson verprellte die Juden. Doch er setzte auch Akzente für den Fortschritt. Ein Überblick über das Vermächtnis des scheidenden Papstes.

Von Matthias Drobinski

Papst Benedikt XVI in den Dolomiten

Acht Jahre Amtszeit - was hat Benedikt XVI. verändert? Welche Fehler gemacht? Was bleibt von seiner Amtszeit?

(Foto: dpa)

Fast acht Jahre lang war Benedikt XVI. Papst; verglichen mit seinen Vorgängern Johannes Paul II. (26 Jahre Amtszeit) oder Pius XII. (fast 20 Jahre zwischen 1939 und 1958) ist das eine kurze Zeit - doch Papst Johannes XXIII. schrieb in kürzerer Zeit Kirchengeschichte: In den nur viereinhalb Jahren, in denen er regierte, berief er das Zweite Vatikanische Konzil ein. Was wird bleiben von Papst Benedikt, dem ersten deutschen Papst seit fast 500 Jahren, dem Gelehrtenpapst?

Was hat er in der Kirche geändert?

Der Gedanke, wie ein Politiker Reformen durchzusetzen, ist Papst Benedikt XVI. fremd. Ihm geht es ums Grundsätzliche, und so behandeln seine drei Lehrschreiben Grundsatzfragen: "Deus Caritas est" philosophiert über die Liebe Gottes zu den Menschen und die Liebe der Menschen untereinander. "Spe salvi" kritisiert rein innerweltliche Erlösungskonzepte und blinde Fortschrittsgläubigkeit, "Caritas in Veritate" tritt für eine gerechte Sozial- und Wirtschaftsordnung ein. Auch als Papst zeigte er sich als konservativer Denker, der den Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft und der Subjektivierung in Philosophie und Theologie misstraut, auch wenn er das nicht so scharf formulierte wie als Präfekt der Glaubenskongregation. Als wichtigste innerkirchliche Neuerung bleibt die Aufwertung der tridentinischen, auf Latein gehaltenen Messe. Entsprechend hat er die Hoffnungen vieler Katholiken auf eine Kirchenreform enttäuscht. Im Vergleich zu Johannes Paul II. hat er jedoch Akzente verschoben: Beim Thema Sexualmoral hat er sich viel stärker zurückgehalten als sein Vorgänger und sogar angedeutet, dass er die Benutzung von Kondomen für vertretbar hält, wenn so eine Aids-Ansteckung verhindert wird.

Hat er die Kurie reformiert?

Johannes Paul II. war lieber auf Reisen, als sich mit den höfischen Merkwürdigkeiten der Kurie herumzuschlagen - von daher vermuteten viele, dass sein Nachfolger die Verwaltung im Vatikan reformieren würde. Dieses Vorhaben ist jedoch in den Ansätzen steckengeblieben. Noch immer sind die Räte der Kurie keine professionell geführten Ministerien, die dem Papst zuarbeiten, noch immer herrschen Intransparenz und Höflingskultur statt klarer Kompetenzen. Auch deshalb erreichte zum Beispiel die Nachricht den Papst nicht, dass der um Aufhebung der Exkommunikation bittende Traditionalistenbischof Richard Williamson den Holocaust geleugnet hatte. Änderungen hat es in Teilbereichen gegeben: So hat Benedikt die Bischofssynode als Beratungsgremium aufgewertet und die Vatikanbank neu geordnet.

Welche Fehler hat er gemacht?

Immer wieder hat sich Papst Benedikt zwar als hochgebildet, aber doch politisch unbedarft erwiesen. In Auschwitz erweckte er in einer ansonsten bewegenden Rede den Eindruck, die Nationalsozialisten seien quasi als Besatzungsmacht über die Deutschen gekommen. In Brasilien verärgerte er die Ureinwohner, als er ihnen erklärte, die Indios hätten sich im 16. Jahrhundert im Grunde die Taufe herbeigesehnt. In der Regensburger Rede empörte er die Muslime, beim Streit um die Piusbrüder musste er zugeben, dass es besser gewesen wäre, sich im Internet über Bischof Williamson zu informieren. Als Fehler gilt auch, dass der Papst nur wenigen Beratern vertraute - und da oft den falschen. So hielt er bis zum Schluss an Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone fest, obwohl der wenig glücklich agierte und vielen Beobachtern als überfordert galt.

Was tat Benedikt XVI. für die Ökumene?

Papst Benedikt setzte fort, was er als Joseph Ratzinger begonnen hatte - und verwirrte immer wieder die Protestanten. So hatte er sich als Präfekt der Glaubenskongregation sehr für die Einigung in der Rechtfertigungslehre eingesetzt; wenig später teilte er im Dokument "Dominus Jesus" den evangelischen Kirchen mit, sie seien keine Kirchen "im eigentlichen Sinn", formuliert in einem Ton, den viele evangelische Christen als abwertend empfanden. Immer wieder hat er betont, wie wichtig das gemeinsame Christuszeugnis der Konfessionen sei, hat er Protestanten wie Joachim Gauck überaus freundlich empfangen. Als er aber bei seinem Deutschlandbesuch 2011 im ehemaligen Augustinerkloster in Erfurt, wo einst Martin Luther Mönch war, die Vertreter der evangelischen Kirche traf, herrschte am Ende wieder Verwirrung: In einer nicht öffentlichen Ansprache würdigte er Martin Luthers Gottessuche - um dann in der öffentlichen Rede zu verkünden, er habe keine Gastgeschenke für die evangelischen Glaubensgeschwister mitgebracht.

Hat er andere Religionen verärgert?

Muslime wie Juden. Viele Muslime empfanden die Regensburger Rede mit der Kritik des Byzantinerkaisers Manuel am Propheten Mohammed als abwertend; 138 muslimische Gelehrte aus allen Richtungen des Islam riefen den Papst zu einem fairen Dialog auf. Papst Benedikt entschuldigte sich für Missverständliches, besuchte später demonstrativ die Blaue Moschee in Istanbul - und traf sich mit den Gelehrten zum Gespräch, was als historisches Ereignis gilt. Viele Vertreter des Judentums erzürnte der Papst, als er für die alte, tridentinische Messe eine Karfreitagsfürbitte formulierte, die für die Bekehrung der Juden betet - und wenig später mit der Aufhebung der Exkommunikation für den Holocaust-Leugner Williamson. Der Protest traf den Papst sehr, hatte er sich doch immer für die Aussöhnung zwischen Christen und Juden eingesetzt. Zum Rücktritt immerhin gab es versöhnliche und anerkennende Statements von jüdischer Seite.

Hat er den Missbrauchsskandal aufgearbeitet?

Er hat den Kurs Johannes Pauls II. beendet, dessen Politik es war, Fälle sexueller Gewalt möglichst nicht öffentlich zu behandeln - und der Täter deckte, zum Beispiel den Gründer der Legionäre Christi, Marcial Maciel. Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er diesen Kurs allerdings lange mitgetragen. In einem Hirtenbrief an die Katholiken in Irland sprach er im März 2010 von einer "tiefen Wunde" der Kirche und von "schwerer Sünde". Er verschärfte weltweit und in der Kurie die Regeln für den Umgang mit Fällen sexueller Gewalt, er traf sich auf fast allen seinen Reisen mit Opfern. Vertreter der Betroffenen jedoch warfen ihm vor, bei aller echten Reue die Frage nach den tieferen Ursachen der Gewalt zu scheuen, die in den Strukturen der Kirche zu suchen sei.

Was der Nachfolger tun muss?

Er übernimmt von Benedikt XVI. eine Kirche im Übergang mit vielfältigen Problemen. Als sich im vergangenen Oktober die Bischöfe der Welt in Rom trafen und darüber diskutierten, wie sie Menschen für den Glauben neu gewinnen könnten, da berichteten fast alle von unterschiedlichen Säkularisierungsprozessen: Die Zeit des selbstverständlichen Traditionskatholizismus scheint vorbei zu sein, die katholische Kirche muss ihre Grundsätze und Regeln einer zunehmend skeptischen Umwelt erklären. Gleichzeitig wächst der Wunsch vieler Menschen nach Halt und spiritueller Begleitung. Benedikts Nachfolger kann darauf reagieren, indem er mehr Debatten zulässt als seine Vorgänger, indem er die Stellung von Laien und da vor allem von Frauen aufwertet, den Reformstau auflöst, den seine Vorgänger haben wachsen lassen. Es könnte aber auch ein Papst kommen, der den Kurs seiner Vorgänger eher noch verschärft - der müsste dann die Konflikte mit dem Rest der Welt und großen Teilen des Kirchenvolks aushalten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: