Mikrozensus zur Haushaltsstruktur in Deutschland:Bitte keine Mitbewohner

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Wohnblock in Berlin: In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg wohnen in mehr als 80 Prozent aller Haushalte maximal zwei Menschen (Foto: dpa)

Die Deutschen sind zunehmend allein zu Haus. Wie der Mikrozensus zeigt, bestehen drei Viertel aller Haushalte in der Bundesrepublik aus maximal zwei Personen, 41 Prozent sind Single-Haushalte. Zwei Bundesländer scheren aus.

Von Jana Stegemann

Was wird in Hamburg, München und Berlin geächzt und gejammert: Die Mieten sind zu hoch, es gibt kaum noch bezahlbaren Wohnraum, die Kosten explodieren, alles wird immer teurer. Und doch leben dort immer weniger Menschen zusammen. Die Zahl der Frauen und Männer, die in diesen Großstädten allein in einer Wohnung leben, steigt drastisch. Das zeigen die Ergebnisse des Mikrozensus, der größten jährlichen Haushaltsbefragung in Deutschland und Europa.

Während im Kindergarten ein beliebtes Spiel Vater-Mutter-Kind heißt und die konservativen Parteien das klassische Familienideal hochhalten, sieht die Realität in Deutschland offenbar anders aus. Denn drei Viertel aller Haushalte bestehen mittlerweile maximal nur noch aus zwei Personen. Kurz nach der Wiedervereinigung waren nicht einmal zwei Drittel aller Haushalte so klein, berichtet das Statistische Bundesamt in Wiesbaden.

Zu diesem Zuwachs kleiner Haushalte haben insbesondere die Einpersonenhaushalte beigetragen. Von den 40,7 Millionen privaten Haushalten waren im vergangenen Jahr 41 Prozent Einpersonenhaushalte. 1991 lag ihr Anteil mit knapp 34 Prozent noch deutlich niedriger. Größere Haushalte mit vier und mehr Personen gibt es hingegen immer seltener. Der Anteil dieser Wohngemeinschaften ging zwischen 1991 und 2012 von 18 auf 12 Prozent zurück.

Im Vergleich der Bundesländer gibt es allerdings gravierende Unterschiede, was die Haushaltsgröße betrifft. In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg wohnen in mehr als 80 Prozent aller Haushalte maximal zwei Menschen. Anteilsmäßig die meisten Großfamilien leben Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, diese Bundesländer wiesen 2012 den niedrigsten Anteil an kleinen Haushalten auf.

Rückgang im Osten stärker als im Westen

In den vergangenen zwölf Jahren sank auch die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland: 1991 lebten durchschnittlich 2,27 Personen in einem Haushalt, 2012 waren es nur noch 2,01. Besonders auffallend ist, dass der Rückgang im Osten stärker als im Westen ist. In den neuen Bundesländern leben demnach mehr Menschen als sonstwo in Deutschland allein in einer Wohnung. Mutter, Vater, Kind - das war einmal. Das klassische Familienbild scheint passé, im Osten noch häufiger als im Westen.

Jürgen Dorbritz, Wissenschaftlicher Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden, betont: "Generell lässt sich sagen, dass im Osten durch wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen schon immer kaum Zwang zur Versorgungsehe bestand." Dobritz erkennt sogar, "ein gewisses Misstrauen in Ostdeutschland gegenüber sozialen Insitutionen des Westens, wie der Ehe".

Doch das ist nicht der einzige Grund. Junge Menschen in ganz Europa entscheiden sich immer öfter gegen Kinder, weil sie es sich schlichtweg nicht mehr leisten können oder wollen. Die Angst vor Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Zukunftsängste spielen eine große Rolle bei der Familienplanung im 21. Jahrhundert. Deutschland ist dabei, statistisch gesehen, gegenüber etwa Spanien zwar noch klar im Vorteil. Doch auch hier, und gerade im Osten, ist die Jugendarbeitslosigkeit ein Problem.

Andere wollen schlichtweg keine Kinder: "Man hat ohne Kinder mehr Geld und mehr Zeit. Deshalb sinkt der Kinderwunsch." Diese These vertritt Psychologe Rainer Dollase. Für die Selbstverwirklichung und die Optimierung seiner eigenen Lebenschancen seien Menschen heutzutage nicht mehr auf das Kinderhaben angewiesen, ohne Kinder könne man "die im Wohlstand angebotenen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung, die Waren und Dienstleistungen sogar noch besser nutzen".

Die Daten des Mikrozensus sagen allerdings nichts über die Freiwilligkeit der Lebensumstände der untersuchten Personen aus. Seien es Eltern, deren Kinder aus dem Haus sind, Alleinerziehende mit einem Kind, Senioren oder Verwitwete - auch diese zählen wieder zu Ein- und Zwei-Personen-Haushalten. Der Mikrozensus zeichnet die Lebensumstände nur nach.

Was Schiller schon im 18. Jahrhundert formulierte, bringt der aktuelle Mikrozenus jetzt jedenfalls schwarz auf weiß auf Dutzenden Seiten statistischer Auswertung auf den Punkt: "Es kämpft jeder seine Schlacht allein."

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