Medizin und Wahnsinn (121):Geborgen in der Markenpraxis

Auch beim Gespräch zwischen Arzt und Kassenpatient gilt: Der Ton macht die Musik. Ein Franchise-Modell soll nun Harmonie garantieren.

Werner Bartens

Es gibt neuerdings Ärzte, die wollen von ihren Patienten sehr persönliche Sachen wissen und nicht nur, wie früher, Namen und Versicherungsstatus. Die Sozialanamnese liefert schließlich manchen Hinweis auf den Grund der Beschwerden.

Wer mit einem Messerwerfer verheiratet ist oder im Sägewerk arbeitet, bietet an der Schnittstelle zwischen beruflichem und familiärem Hintergrund eine plausible Erklärung für Verletzungen aller Art. Eine ehemalige Tätigkeit im asbestverarbeitenden Gewerbe kann die Ursache für den Tumor des Rippenfells sein. Seltene Leiden in der Nachbarschaft sprechen für langjährig gepflegte Inzucht in engen Tälern. Stress mit dem Partner und Angst vor dem Chef (oder umgekehrt) sind Auslöser für Beschwerden wie Bluthochdruck, chronisches Kopfweh oder phobischen Schwankschwindel.

Werden die oft heiklen privaten und persönlichen Eigenarten der Patienten angesprochen, kommt es auf eine behutsame Wortwahl des Arztes an. Besonders wichtig ist dabei, die Sprache der Patienten zu sprechen. Zu erwähnen ist hier unbedingt jener einfühlsame Zahnarzt, der seiner Patientin klargemacht hat, dass der Zahnersatz, den sie sich wünschte, für sie nicht infrage käme. "Warum sollen wir über einen Flug zum Mond reden, wenn Sie nicht mal das Geld für eine Bahncard haben?", beschied er der älteren Dame, ohne lang herumzureden. Das sind klare Ansagen, das verstehen die Menschen.

Weil viele Patienten die schlechten Nachrichten und Diagnosen der Ärzte nicht gleich wahrhaben wollen und wieder verdrängen, hat der sensible Dentist eine weitere, detailliertere Erklärung nachgeschoben. "Die Anatomie Ihres Mundes ist nicht kompatibel mit der Grundversorgung der Kasse", sagte er. "Das ist Ihr persönliches Pech." Besonders den letzten Satz sollte man sich merken. Es ist wichtig, dass Ärzte ihren Patienten keine Schuldvorwürfe machen, sondern Krankheit immer auch als ein ebenso unerwartetes wie schicksalhaftes Ereignis darstellen, wofür weder der Kranke noch die Kasse etwas können. Sind wir nicht alle Opfer unserer Anatomie?

Damit sich solch segensreiches Wirken von Ärzten und Zahnärzten verbreiten kann, muss hier auf einen weiteren innovativen Vorschlag aus der Wunderwelt der Medizin hingewiesen werden. Im niederrheinischen Kamp-Lintfort wurde vor kurzem eine der ersten "Markenpraxen" in Deutschland eröffnet.

Die Markenpraxis gilt als "neues Franchisesystem für Ärzte" und bietet in Praxen ähnliches Interieur und eine abgestimmte Farbwahl. Man kennt das aus Gaststätten, die von derselben Brauerei ausgestattet werden und von der Sitzgarnitur bis zur Speisekarte in Kunstleder zum Verwechseln gleich aussehen. Bei Arztpraxen könnte man sich die Angleichung der Außengestaltung vorstellen wie bei jenen überall in der Republik identisch aussehenden Tankstellen oder Bulettenbratereien. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der erste McDoc eröffnet.

Wenn die intime Beziehung zwischen Arzt und Patient zum Franchisemodell wird, müssen auch die einfühlsamen Eigenschaften der Ärzte besser synchronisiert werden. Im Schnellimbiss wird man auf immergleiche Weise gefragt, ob es ein Happy Meal sein soll. Ikea schafft durch permanentes Zwangsduzen eine gewisse Nähe zum Kunden.

Daher sollte auch der Arzt über ein Repertoire an ritualisierten Wohlfühlaussagen verfügen. Sätze wie "Diese Therapie ist zu teuer für Sie", "Das zahlt die Kasse nicht" oder "Das lohnt sich nicht mehr für Sie" mögen auf den ersten Blick verstören, dauerhaft helfen sie, dass der Patient sofort erkennt, dass er wieder den Arzt seines Vertrauens vor sich hat. Bei der Markenpraxis unseres Vertrauens haben wir keine Zweifel am Kuschelambiente. Sie hat noch das altmodische Motto im Angebot: "Im Fokus steht der Patient."

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