Loblied auf das Geisterspiel:Die Ränge sind leer, unsere Herzen voll

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Pep Guardiola, Trainer des FC Bayern München, vor leeren Rängen: Mal ehrlich, ist das denn so schlimm? (Foto: dpa)

Der FC Bayern musste ohne Publikum gegen ZSKA Moskau ran - und die Aufregung darüber ist groß. Unser Autor meint: zu Unrecht. Geisterspiele sind sein natürlicher Lebensraum, denn er ist Fan des TSV Waldtrudering.

Von Gerhard Matzig

"Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge", der übrigens eher Karl-Heinz als Bayern-Boss mit Vornamen heißt, ärgert sich laut Focus über das heutige "Geisterspiel" in der Champions League: "Dort", in Moskau, wenn sich am Abend der ZSKA und der FC Bayern gegenüberstehen, "werden bis auf ein Häuflein Funktionäre und Journalisten keine Menschen im Stadion sein. Das ist einfach nur schade, das braucht niemand." Das Vorrunden-Duell muss tatsächlich vor beinahe leeren Rängen ausgetragen werden, denn der russische Verein ist wegen rassistischer Äußerungen seiner Fans von der Uefa dazu verurteilt worden. Und zwar zu Recht. Was nämlich absolut niemand niemals nirgendwo braucht, das ist: Rassismus.

Eh klar. Aber was ist mit der Empörung über das Geisterspiel als solches? Das ist jenes Phänomen, über das auch "Bayern-Trainer Pep Guardiola" (eher Pep als Bayern-Trainer mit Vornamen, aber das nur nebenbei) sagt: "Das habe ich noch nie erlebt, und das ist hoffentlich das letzte Mal."

An jedem verdammten Samstag

Also, Leute, ist es denn so schlimm? Die Sache mit dem Rassismus: ja, absolut; die Sache mit dem Geisterspiel dagegen: hmm... Es ist nämlich so, dass wir das ehrlich gesagt schon oft erlebt haben und noch viel öfter erleben werden. Sehr, sehr, sehr oft - wie Pep das wohl formulieren würde. So oft, bis unsere Jungs (und immer öfter auch Mädels), die in viel zu großen Trikots bedruckt mit Werbung des örtlich ansässigen Feinkosthändlers stecken, den Jugendmannschaften entwachsen sind.

Wir: Das sind all die Mütter und Väter und ehrenamtliche Jugendtrainer und ehrenamtliche Hobby-Schiedsrichter und ehrenamtliche Wurstsemmelmitbringer, die an jedem verdammten Samstag dabei sind, wenn unsere D- oder E-Jugend die Erzrivalen von JFG M'Schwabener Au, die Schurken vom SC Arcadia Messestadt 2 oder die Feinde vom SV Helios-Daglfing plattmacht. Wir sind nicht viele. Aber wir sind treu. Zwangsläufig. Denn wir sind Eltern. Das ist Südkurve pur. Und das Geisterspiel ist unser natürlicher Lebensraum.

Wir harren an der Linie aus

An jedem Samstag sind wir da, um acht oder neun Uhr. Mal zuhause an der Stoppelwiese neben der Autobahn, mal beim Gegner und auf dessen Acker hinter dem Gehölz. Die Kinder haben schlecht geschlafen vor Aufregung. Wir haben schlecht geschlafen, weil die Kinder schlecht geschlafen haben. Peps Nervosität ist nichts dagegen.

Nebelschwaden umwabern unsere vor Kälte schlotternden Knie. Manchmal schlottern die auch aus Angst, das Söhnchen, sonst eine herausragende 6, der in seiner Spielanlage (herhören, ihr Talentsichter!) an den frühen Lahm erinnert, könnte heute unter seinen Möglichkeiten bleiben - denn dann ist das Familienglück für ein ganzes Wochenende zum Teufel.

Wir harren an der Linie aus, sind bereit, dem Schiedsrichter Schiebung vorzuwerfen und dem gegnerischen Trainer zuzubrüllen, er solle hier nicht so rumbrüllen. Meist sind wir zu viert oder fünft, und einer hat zum Glück immer Kaffee dabei. Ein zweiter weiß, dass der Gegner zu tief steht, während eine dritte ahnt, dass unsere Jungs zu offensiv über die Flanken kommen.

Geisterspiel ist unser zweiter Vorname

Nach fünf Minuten sind wir von den Geisterrängen immer heillos zerstritten. Aber dann gibt es Kaffee und dann muss man gemeinsam darüber rätseln, ob es jetzt schon 7:2 oder 8:1 steht. Und für wen eigentlich? Was aber auch nicht wirklich wichtig ist im frühmorgendlichen Schlotternebel. Jedenfalls: Geisterspiel ist unser zweiter Vorname, denn für Bayern-Boss oder Bayern-Trainer hat es nicht gereicht.

Das ist nicht schlimm. Unsere Ränge sind zwar fast leer, aber die Herzen voll. Und falls der Bayern-Boss und der Bayern-Trainer mal vorbeischauen möchten, irgendwann mal, zwischen gut besuchtem Audi Cup und ausverkauftem Telekom Cup, zwischen der sensationellen Champions League und der spektakulären Bundesliga, zwischen Wahnsinns-WM und Irrsinns-EM, zwischen Fußball-Tsunami und Fußball-Terror . . . also, wenn es euch einfach mal zu voll wird auf euren vollen Rängen: Kommt doch rüber zu uns und bringt noch ein Häuflein Funktionäre und Journalisten mit. Denn hier, am Rande der großen Fußballwelt, leben die wahren Fans.

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