Berlin:Die Frau, die Kapitalismus "mit gutem Geld" besiegen will

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Die Berliner Kommunalpolitikerin Monika Herrmann ist eine der Letzten ihrer Art. Solche Grünen galten schon als ausgestorben. (Foto: Lene Münch)

Monika Herrmann polarisiert wie wenige Politiker in Berlin. Die Bezirksbürgermeisterin will die Welt verbessern - ihre Gegner finden sie gefährlich, naiv und verantwortungslos.

Von Verena Mayer und Jens Schneider, Berlin

Wie zeigt man, dass man keine Drogen will? Dass man einfach nur spazieren gehen und nicht bei jedem Schritt Cannabis oder Crystal Meth angeboten haben möchte? Kommt man unbehelligt durch den Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg?

Ein Spätsommernachmittag, im Café "Edelweiß" im Görlitzer Park hat Monika Herrmann "Club Mate" bestellt und widmet sich der Frage, was normal ist und was verrückt. Es geht sofort zur Sache, das mag sie. Die Berliner Kommunalpolitikerin ist eine der letzten Grünen der Art, die schon als ausgestorben gelten. Wenn vor der Bundestagswahl von der Partei die Rede ist, klingen viele Sätze wie Nachrufe. Spießig geworden seien die Grünen. So brav, dass sie niemanden mehr aufregen.

SZ MagazinGörlitzer Park
:Letzte Chance für den Görli

Im Görlitzer Park in Berlin versucht man, mit neuen Ideen den Kampf gegen Drogen und Gewalt zu gewinnen. Unser Autor hat auch mit jener Gruppe gesprochen, die sich sonst eher bedeckt hält - den Dealern.

Von Patrick Bauer

Monika Herrmann, 53, regiert und regt auf. Ihre Gegner finden sie verrückt, im Sinne von: gefährlich, naiv, verantwortungslos. Sie lacht. Sie weiß, dass sie polarisiert wie wenige andere Politiker in Berlin. Herrmann ist zwar nur Bürgermeisterin eines von zwölf Bezirken der Hauptstadt, in Friedrichshain-Kreuzberg zuständig für das Hyperlokale: Parkplätze, Grünflächen, Hundehäufchen. Aber sie sieht in jedem noch so kleinen Thema Weltpolitik. Und sie will das tun, wofür die Grünen mal angetreten sind: die Welt besser machen. Dass dabei ungewöhnliche Ideen herauskommen, ist für sie ein Ausdruck von Pragmatismus: "Wenn die alten Rezepte nicht funktionieren, muss man was Neues probieren."

Das lässt sich im Görlitzer Park besichtigen, mitten in der Hauptstadt. Eine kurze U-Bahn-Fahrt, aber eine Reise in eine Welt mit eigenen Regeln. Hinter der Einbiegung in den Park stehen junge Männer am Rand der Wiese. Sofort löst sich einer aus dem Kreis. Er signalisiert mit einer Geste, dass er was anzubieten hat. Auf Heimlichkeit legt er keinen Wert. Man versucht es mit einem Kopfschütteln, blickt in eine andere Richtung. Dann dreht er ab, wendet sich dem nächsten möglichen Kunden zu.

Ist das nicht Wahnsinn? Nein, findet Monika Herrmann. So sei der Park, Kreuzberger Normalität: "Wenn es so läuft, ist das doch erst mal in Ordnung." Sie ist Hunderte Male durch den Park gegangen, ihr sei nie was angeboten worden. So sind die Regeln dieser Welt: "Wenn man Nein sagt, und sie lassen einen in Ruhe, dann haben wir viel gewonnen."

Dieser Park wäre eigentlich ein innerstädtisches Paradies. Jogger und Radfahrer ziehen ihre Kreise, Leute machen Picknick, es gibt einen Kinderbauernhof mit Schafen und Ziegen. Zugleich bekommt man Drogen so leicht wie eine Currywurst bei Konnopke, nur mit weniger Anstehen. Dies ist kein Geheimtipp, sondern ein offener Drogenumschlagplatz, selbst im Sandkasten hat man Kokain gefunden.

Herrmann findet das nicht gut. Sie habe noch nie Drogen genommen, sagt sie. "Aber es gibt Leute, die hierherkommen, um zu kaufen. Sonst gäbe es die Dealer nicht. Damit müssen wir umgehen." Seit Kurzem gibt es ein "Handlungskonzept Görlitzer Park". Sie hat es sich nicht selbst ausgedacht, das wäre nicht ihre Idee von Politik. Herrmann hat die Anwohner eingeladen, eine Lösung zu suchen. Monatelang hielten sie, wie Herrmann es nennt, "Palaver". Nun soll jeder im Park sein dürfen, Jogger, Kinder, Schafe, keiner soll vertrieben werden, auch die Dealer nicht. Ein Parkmanager ist angestellt worden, er soll vermitteln. Nur wenn es heftig wird, will man die Polizei holen.

"Der Rechtsstaat wird im Görlitzer Park zur Farce", findet Kurt Wansner, Abgeordneter der CDU, der für das gutbürgerliche Kreuzberg steht. Wenn er über Herrmann spricht, klingt er, als habe ein grüner Springteufel den Bezirk gekapert, um seine Ideologien auszuleben. Herrmann habe das Quartier zu einem links-grünen Experimentierfeld gemacht, sagt Wansner. Seine Partei holt hier allerdings noch weniger Prozente als die SPD in Bayern.

"Klar kann ich begründen, warum man grün wählen sollte. Ist nicht schwer"

"Herzlich willkommen in der toleranten Zone" heißt ein Slogan, mit dem die Kreuzberger Grünen in den letzten Wahlkampf gezogen sind, ein anderer begrüßte die Wähler "im grün-links-versifften Sektor". Darin lag Selbstironie, aber auch Stolz. Die Feministin, lesbisch, seit Jahren in einer festen Beziehung, gewann haushoch.

Ein Jahr später hat Herrmann Erklärungsnöte, wenn jemand fragt, warum er noch die Grünen wählen soll. "Na ja, auf die Frage kann man schon kommen", sagt Herrmann. "Ist auch schwer zu erklären." Sie will nicht so tun, als wäre alles gut bei den Grünen. "Die Partei muss aufpassen. Klar kann ich begründen, warum man grün wählen sollte. Ist nicht schwer." Aber wenn sie manche Parteifreunde höre, eben doch.

Einer wie Winfried Kretschmann, Ministerpräsident einer grün-schwarzen Koalition in Baden-Württemberg, kommt für sie aus einer anderen Galaxie. Sie malt sich einen Tausch aus und lacht: Kretschmann würde in Kreuzberg nicht ankommen, sie nicht im Ländle, mit ihrer großen Klappe. Dass er die Autokonzerne retten will und sich für den Diesel einsetzt - "Irrsinn!" Sie versteht das so wenig wie die Idee von Parteifreunden, dass man Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben könne. "Ich kann und werde diese Leute nicht verteidigen. Da ist fraglich, was da grün sein soll."

Man müsse Grüne noch als Grüne erkennen, sonst habe Politik keinen Sinn. Sie hat in der Hinsicht wenig ausgelassen. Sie hat auf kommunalen Plakatflächen Werbung verboten, wenn sie sexistisch war, und einige neue Kneipen, wenn es zu laut wurde. Sie setzte sich dafür ein, dass man seine Wohnung nicht als Ferienunterkunft vermieten darf, weshalb der Kolumnist Harald Martenstein im sonst so liberalen Kreuzberg eine Verbotskultur "wie bei den Taliban" am Werk sieht.

Und als vor einigen Jahren immer mehr junge Männer aus Afrika nach Berlin kamen, da hat Herrmann sie monatelang auf dem Oranienplatz mitten im Bezirk kampieren lassen, so, als könne man die globale Flüchtlingskrise organisieren wie ein Protestcamp gegen Atomkraft. Danach hat die Gerhart-Hauptmann-Schule die Kommunalpolitikerin in die Schlagzeilen katapultiert. Es ist heute ein eingezäuntes Gebäude, das noch so verfallen aussieht wie 2014, als der Bezirk dort Hunderte Leute hausen ließ. Männer aus Afrika, Obdachlose, Roma-Familien, traumatisierte Flüchtlinge im Dreck, die sich selbst verwalten sollten, aber sich selbst überlassen blieben. So lange, bis ein Flüchtling einen anderen im Streit um die Dusche mit zahlreichen Messerstichen tötete. Die Bilder, wie die Schule schließlich geräumt werden sollte, gingen dann um die Welt. Hunderte Polizisten umlagerten das Gebäude, auf dem Dach standen junge Männer, die drohten, sich in die Tiefe zu stürzen.

Die Schule wurde zum Symbol dafür, wie einer Kommune alles aus dem Ruder laufen kann, aus Naivität und Selbstüberschätzung. "Damals ist viel schiefgelaufen", sagt Herrmann. Eine Grenzerfahrung sei es gewesen. "Das sollte niemand erleben." Dann verstummt sie, ihr Körper scheint zu erstarren. Ja, sie wollte die beste Lösung, menschlich sein. Aber schlimmer hätte es kaum kommen können. Irgendwann handelte man einen Kompromiss aus, die Männer verließen das Dach. Einige halten die Schule bis heute besetzt, der Bezirk versucht nun, sie hinauszuklagen, allein der Wachdienst kostet Millionen. Herrmann träumt noch immer von einem Ort, der "für alle da ist", von einem Flüchtlingszentrum mit Garten, Bibliothek und Café. Sie ist so, wie das grüne Kreuzberg sein möchte: Es geht ihr um Radwege, günstige Wohnungen, Minderheiten und immer auch um "die bessere Welt", wie sie sagt.

Das ist mindestens anstrengend, Kritiker werfen ihr missionarischen Eifer vor. Herrmann, so viel lässt sich im Gespräch feststellen, lacht mehr als die meisten Menschen, die man in Berlin trifft, und lauter, auch über sich. Ist die Bezirksbürgermeisterin zum Schweigen verdammt, etwa in Sitzungen, entlädt sich die Energie in einem Twittersturm. Was sie im Netz liest und interessant findet, schickt sie weiter über ihren Twitter-Account, Nachrichten, Kätzchenbilder, Witze über tollpatschige Männer. Dazwischen Sokrates: "Hast du deine Meinung schon durch die drei Siebe gegossen? Jenes der Wahrheit, jenes der Güte, jenes der Notwendigkeit?"

Die Twitterflut verstärkt die Neigung manch Berliner Bürger, die Bürgermeisterin für überdreht und peinlich zu halten. Auf der anderen Seite stehen die linken Aktivisten, denen nichts radikal genug sein kann. Einmal waren sie schon bei Herrmann im Hausaufgang, beschmierten ihre Wohnungstür. Eine "Autonome Zelle Umzug" stellte ihr Umzugskartons in den Flur. Zwischen diesen Fronten ist sie unterwegs, während sich Kreuzberg noch schneller verändert als der Rest der Hauptstadt.

"Es ist dieses Leckarsch-Ding. Dieses: Ich schmeiß meinen Scheiß da einfach hin. Das hat zugenommen."

Der Kiez hat immer weniger mit dem Mythos zu tun, der einst auch Herrmann als Studentin der Politischen Wissenschaften anlockte. Sie kam aus einen bürgerlichen Berliner Elternhaus in ein Viertel, in dem zu Mauerzeiten alles erlaubt schien, was nicht ausdrücklich verboten war. Hier sammelten sich Künstler, Aussteiger, Wehrdienstverweigerer, türkische Migranten, Studenten, Autonome. Den Platz zum Wohnen besetzte man, wenn man Geld brauchte, ging man einmal im Monat kellnern. Wer den Mut zum Besetzen eines Hauses nicht hatte, fand eine billige Wohnung.

Im Gespräch taucht das alte Kreuzberg noch auf, wie ein fast verlorenes Paradies. Hier erlebte Herrmann eine Nachbarschaft, die zwischen engen Straßenschluchten die Vorzüge eines Dorfs bot. Das klinge kitschig, sagt Herrmann, aber damals habe es zum Leben gehört, "dass man halt mal geklopft hat, wenn die Oma aus dem vierten Stock drei Tage lang nicht aus der Wohnung rausgekommen ist". Heute beobachtet sie, dass viele Leute einfach ihren Müll auf die Straße werfen. "Stört mich das, weil ich alt werde?", fragt sie. "Oder hat sich das wirklich verändert?" Sie zögert, ist im Gespräch überhaupt zögerlicher, als man es erwartet hätte. "Doch, es ist anders", sagt sie, "und es sind nicht nur die Touristen. Es ist dieses Leckarsch-Ding. Dieses: Ich schmeiß meinen Scheiß da einfach hin. Das hat zugenommen."

An dieser Stelle ist es unvermeidlich, über Kotze zu reden. Irgendwann hebt Monika Herrmann ein unsichtbares Kind in die Luft und setzt es ein Stück weiter vor sich ab. Das sei eine klassische Handbewegung von Müttern oder Vätern, wenn sie morgens aus dem Haus gehen und die Kinder unten erst mal über "den Siff und die Kotze" heben müssen, die Spuren der Partygänger. An den Wochenenden gehört der Bezirk den Partytouristen aus aller Welt. Kreuzberger Nächte sind noch immer lang, aber selten lustig für die Alteingesessenen. Herrmann dachte mal über ein Alkoholverbot nach, für bestimmte Stunden oder Straßen, es ging nicht. Einfach weitermachen geht aber auch nicht.

Sie will den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen schlagen. Mit "gutem Geld"

Und es sind ja nicht nur die Touristen. Die Mieten in dem am dichtesten besiedelten Berliner Quartier explodieren. In ein altes Umspannwerk will Google einziehen, selbst hässliche Sozialbauten werden von Investoren aufgekauft. "Das geht im Zeitraffer", sagt Herrmann, "man redet und redet und schwupp ist schon wieder ein Haus weg." Manche Investoren kommen von so weit her, dass sie nicht wissen, mit was für einem Viertel sie es zu tun haben. Für einen Fonds aus USA ist das erst mal egal, Hauptsache, es ist die Boomtown Berlin, dabei im internationalen Vergleich spottbillig.

Herrmann will jetzt den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen schlagen, "mit gutem Geld" nämlich. Ist ein Haus vom Aufkauf bedroht, soll der Bezirk ein Vorkaufsrecht anmelden und sucht dann selbst einen Käufer, eine Wohnungsbaugesellschaft, eine Stiftung, eine Genossenschaft oder einen Mieterverein. "Die Frage ist: Wie kaufen wir Friedrichshain-Kreuzberg zurück? Die Antwort: Wir müssen schneller kaufen als die Investoren", sagt sie. Wer eine Immobilie entmieten will, um Renditen erwirtschaften zu können, müsse merken, dass da Widerstand kommt. So erlebt Kreuzberg einen neuen Häuserkampf, in dem wieder um jede Häuserzeile gerungen wird. Nur dass statt Besetzen bei den linken Grünen jetzt Besitzen das Prinzip ist.

Im Görlitzer Park wird es Abend. In einer Ecke drückt ein Dealer einer jungen Frau ein Päckchen Irgendetwas in die Hand. Monika Herrmann kann immerhin für sich reklamieren, dass eine konventionelle Politik hier auch nichts gebracht hat. Ihr schärfster Gegner ist darüber auf der Strecke geblieben, CDU-Innensenator Frank Henkel. Er hat eine Null-Toleranz-Politik gegen die Dealer versucht. Polizisten stürmten in den Park und nahmen alle mit, die nicht schnell genug wegliefen. Viel anhaben konnten sie den Dealern nicht, am Abend standen sie wieder da. Für die Polizisten waren die Einsätze eine Zumutung, nicht mal die Anwohner fanden sie gut. Der CDU-Politiker verlor die Wahl in Berlin, die Razzien gibt es nicht mehr, und Herrmann setzt ein demonstratives Grinsen auf.

Wie bei der Sache mit den Coffeeshops: Zwei Jahre ist es her, da kam Herrmann bundesweit in die Schlagzeilen mit ihrer Idee, unter staatlicher Kontrolle Marihuana an Erwachsene zu verkaufen. Sie hofft, so dem Drogenhandel den Boden zu entziehen. "Ich finde Drogen nicht harmlos. Ich finde es auch nicht gut, wenn jemand sie nimmt oder damit Geld macht. Aber es gibt die Nachfrage." Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte lehnte ihren Antrag ab, in Kreuzberg Coffeeshops einzurichten. Eine kalkulierte Niederlage. Jetzt soll ein Modellprojekt vorbereitet werden, das steht im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Berliner Senats, auch die SPD ist dafür. Hey, sagt Herrmanns Blick: Ich habe so viel Prügel kassiert - und nun? "Geht in meine Richtung." Aber kann das auch die Lösung sein?

Es habe "im Park schon schlimmere Zeiten gegeben", sagt Herrmann, Überfälle auf Touristen, Frauen wurden belästigt, Familien trauten sich nicht mehr hinein. "Heute machen die Leute Yoga, die Kinder gehen allein herum. Jetzt haben wir den größten Ärger durch spontane Partys, wenn der Park hinterher aussieht wie Sau." Sie ist nicht mehr da, als im Görlitzer Park die Dunkelheit anbricht und weitere Dealer ihre Plätze einnehmen. Es kommen jetzt auch immer mehr Kunden.

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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